Falsch verhütetWarum die Pille für den Mann nicht kommt

Die hormonelle Verhütung für den Mann wirkt, trotzdem wird ihre Entwicklung verschleppt. Die Nebenwirkungen seien zu stark, als dass sie einem gesunden Körper zumutbar wären. Dabei schlucken Frauen diese bittere Pille schon seit Jahrzehnten.

Wann kommt endlich die Pille für den Mann?

Um zu verstehen, wie die sogenannte «Pille für den Mann» wirkt, die eigentlich eine Hormonspritze ist, stellen wir uns vereinfacht vor, der Mann besteht aus Hirn und Hoden. Wird dem Mann das Hormon Progesteron injiziert, stoppt das Hirn die Testosteronproduktion in den Hoden und damit auch die Spermaproduktion. Das führt schlussendlich zu trockenen Orgasmen: Der Mann kommt, aber das Sperma nicht.

Nach der letzten, gross angelegten Studie von 2011 mit 320 Testpersonen im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist diese Verhütungsmethode sehr zuverlässig. 95 Prozent aller Versuche waren erfolgreich. Das Problem sind die Nebenwirkungen. 10 Prozent der Teilnehmer klagte über milde bis moderate Stimmungsschwankungen. Etwas weniger, aber für ein pharmazeutisches Mittel doch relativ häufig, wurde auch eine gesteigerte Libido, Akne und lokale Schmerzen durch die Injektion der Spritze festgestellt.

2011 wurde die laufende Studie von der WHO abgebrochen, da ein Medikament mit derartigen Nebenwirkungen einem gesunden Körper nicht zugemutet werden sollte.

Unzumutbar?

Aber warum findet die WHO ein Verhütungsmittel bei Männern inakzeptabel, das Frauen seit Jahrzehnten zugemutet werden kann? Denn die Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung für Männer sind absolut vergleichbar mit der bekannten Pille für Frauen. Aufgrund der erhöhten Gefahr von Thrombosen, Lungenembolien und Hirnschlägen ist die Anti-Baby-Pille für Frauen sogar lebensbedrohlich – trotzdem schlucken sie Millionen von Frauen jeden Tag.

Betrachtet man Nutzen und Nachteile beider Verhütungsmethoden, gibt es objektiv keinen Grund, die Pille für den Mann nicht weiter voranzutreiben, dennoch gilt sie in der jetzigen Form als gescheitert. Weil sie scheinbar niemand wirklich will: weder die Männer noch die Frauen, weder die Mediziner noch die Pharmaindustrie.

Männer finden, Verhütung ist Frauensache.

Ganz so einfach ist es nicht. Aber für viele Männer ist es durchaus ein Problem, dass durch die Hormonspritze auch die Testosteronbildung gehemmt wird, weil es neben der Spermaproduktion auch Einfluss auf die Potenz, die Stimmung und die Muskelbildung hat. Und weil wohl kein Hormon so für Männlichkeit steht wie das Testosteron.

Der Hormonspritze beigefügte Testosteron-Ersatzhormone stellen zwar sicher, dass sich neben der unterdrückten Spermaproduktion kein Muskelschwund oder Erektionsstörungen einstellen, aber dass der normale Hormonhaushalt manipuliert wird, bleibt bei dieser Verhütungsmethode eine Tatsache.

Laut dem Guardian, zeigten aber verschiedene Studien, dass sich mehr als die Hälfte der Männer die sogenannte «Pille für den Mann» trotzdem wünscht und Verantwortung für die Verhütung übernehmen möchte. Schliesslich haben Männer bislang nur zwei funktionierende Verhütungsoptionen: Kondome, die als unsicher und unbeliebt gelten, oder eine Vasektomie, die momentan nur als endgültige Option in Frage kommt.

Auch die Nebenwirkungen scheinen für die Männer tolerabel. Zumindest gaben drei von vier Testpersonen der WHO-Studie an, sie würde sich die Verhütungsspritze trotz Nebenwirkungen weiter geben lassen. Das Problem scheint deshalb vor allem die Dringlichkeit. Sich die Pille für den Mann zu wünschen ist nicht dasselbe wie sie zu fordern.

Frauen finden, Verhütung ist Frauensache.

Und selbst wenn, würden Frauen den Männer so etwas Existentielles wie Verhütung anvertrauen? Schliesslich sind sie es, die schwanger werden. Zumindest, solange Frauen die Männer noch nicht lange kennen. Aber stimmt das auch für Paare in einer Langzeitbeziehung? Haben Frauen etwas dagegen, wenn ihr Partner sagt: «Schatz, du hast unser Kind geboren, jetzt kann ich etwas für uns tun. Ich nehme jetzt die Pille!» Wahrscheinlich nicht.

Auch Ärzte wollen die Pille für den Mann nicht.

Schwangerschaftsuntersuchungen, Abtreibungen oder Vasektomien sind nur einige Behandlungen, die Ärzten mehr und mehr entgehen könnten, sollte eine sichere Verhütungsalternative für den Mann auf dem Markt sein. Eberhard Nieschlag, ehemaliger Direktor des Instituts für Reproduktionsmedizin der Universität Münster, forscht seit Jahren an der Pille für den Mann und glaubt, dass ihre Entwicklung auch bewusst von Medizinern hintertrieben wird.

Die Wissenschaft hat bislang einfach keinen überzeugenden Durchbruch erzielt.

Auch nicht. Tatsächlich wird seit den 1970er Jahren an der Pille für den Mann geforscht. Und nicht nur die zuletzt 2011 abgebrochene WHO-Studie konnte zeigen, dass die hormonelle Verhütung für den Mann effektiv ist, viele weitere vielversprechende Ansätze warten darauf weiterverfolgt zu werden. Deshalb ist sich nicht nur Richard Anderson, Professor für Reproduktive Wissenschaft an der Universität von Edinburgh, sicher, dass es möglich wäre eine Pille für den Mann zu entwickeln, deren Nebenwirkungen akzeptabel sind, wenn sich ein grosses Pharmaunternehmen mit ausreichend Budget und Leidenschaft der Entwicklung widmen würde.

Aber die Pharmaindustrie hat kein echtes Interesse an der Pille für den Mann...

Scheint zumindest so. Schliesslich hat sie nicht nur die Anti-Baby-Pille auf den Markt gebracht, deren Nebenwirkungen immer wieder in grossen Justizprozessen gerechtfertigt werden, sondern auch die Zulassung hormoneller Präparate mit weit weniger Vorteilen und mindestens genauso heftigen Nebenwirkungen vorangetrieben.

Das seit einigen Monaten erhältliche Hormonpräparat Addy, das sogenannte «Viagra für Frauen», hat beispielsweise nur eine geringe lustfördernde Wirkung, aber vergleichsweise heftige Nebenwirkungen wie Ohnmachtsanfälle, Schwindel und Müdigkeit.

Ethische Gründe sind es deshalb wohl nicht, die die Entwicklung der Pille für den Mann bremsen. Wahrscheinlich ist, dass sich eine Pille für den Mann schlicht nicht rechnet. Vermutet wird, dass die Gewinnspannen zu gering wäre und sich die Pharmaindustrie mit einer Alternative zur Anti-Baby-Pille sich nicht selbst Konkurrenz machen will.

Selbst ist der Mann

Und schliesslich haben nicht nur globale Pharmariesen wie Schering oder Organon ihre Forschung an der Pille für den Mann eingestellt, sondern auch Non-Profit-Organisationen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Dabei könnte die männliche Pille nicht nur helfen mehr Gleichberechtigung herzustellen, sondern auch die Überbevölkerung bremsen und vor dem HIV-Virus schützen.

Deshalb machen Nieschlag und seine Kollegen vorerst selbst weiter. Gemeinsam haben international führende Hormonforscher jüngst  ein Manifest verabschiedet, indem sie die Wiederaufnahme der Erforschung hormoneller wie nicht-hormoneller Verhütungsmethoden für den Mann einfordern. Ziel ist es, bis 2026 eine Alternative zur Pille für die Frau entwickelt zu haben.

Einer der grössten Hoffnungen liegt dabei auf einem Hormongel, das täglich aufgetragen wird. Das tut bestimmt auch nicht weh.

Titelbild: iStock

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