SelbstversuchWie ist es, sich ein Tattoo stechen zu lassen?

Tausend Nadelstiche, die tief unter die Haut gehen und deren Spuren für immer bleiben: Ein Tattoo ist intensiver als jede Romanze. Unsere Redakteurin weiss, wovon sie spricht, denn Sie hat beides probiert. Ein Selbstversuch mit lebenslangen Folgen.

Mein erstes Tattoo: Ein Selbstversuch mit lebenlangen Folgen

Das erste Tattoo ist keine Entscheidung, die man aus dem Ärmel schüttelt. Ich jedenfalls nicht. Echte Bad Boys vielleicht schon. Ich hingegen prüfe, wenn ich mich auf ewig binde. Gewiss ist das nicht ganz so cool wie ein tintenblaues Anker- oder Herzmotiv, das als unvergessliche Erinnerung an eine durchzechten Nacht auf dem Unterarmen so manchen Bikers prankt. Doch ich brauche mehr als einen überhöhten Promillegehalt, um eine Entscheidung für die Ewigkeit zu fällen. Ich brauche Zeit.

Die Idee

Ich liess die Idee wachsen und blätterte währenddessen in dutzenden Tattoo-Zeitschriften und einschlägigen Blogs, um das mit dem Tattoo dann doch immer wieder als Hirngespinst zu verwerfen. So richtig los lassen wollte mich mein Wunsch jedoch nie. Und wenn ich wirklich ganz ehrlich bin: Die Entscheidung  ob, war eigentlich bereits seit dem ersten Geistesblitz vor circa sechs Monaten gefallen. Es ist wie beim Verlieben: Es kommt plötzlich und ich wusste(!), dass ich es will. Das ist einfach so. Sämtliche Pro- und Kontra-Überlegungen geschahen fortan eigentlich nur noch anstandshalber. Das muss ich mir rückblickend wohl eingestehen.

Die Stelle und das Motiv

Handgezeichnete Tattoo-Vorlagen sind oft die schönsten.

Auch der Platz, an dem sich die Tinte in meinem Körper verewigen sollte, stand schnell fest. Linker Unterarm, innen, dicht bei der Armbeuge: die Crème de la Crème Stelle der Tattoos, wie mir mein Tattowierer später verriet. Es sollte ein Schriftzug werden, der hier meinen Körper ziert. Fraglich war nur noch, was er aussagen soll. Es ist ja nicht so, dass ich nicht viel zu sagen hätte. Aber was ist so zeitlos und aussagekräftig, dass es ein Leben lang Gültigkeit behält? Bei mir ist es das Wort «Glückskind». Jedenfalls hoffe ich das. Ich bin eines und will eines bleiben. Und wenn mir Fortuna vielleicht einmal nicht mehr hold sein sollte, ist mein Arm wenigstens Zeuge, dass es einmal so war. Bis dahin bleibe ich optimistisch.

Der Termin

So weit, so gut. Doch obwohl die Entscheidung stand, traf mich der Termin - den ich wegen des hohen Andrangs übrigens bereites seit vier Wochen im Voraus vereinbaren musste  (soviel zu der These, dass gute Tattoos spontan entstehen) - irgendwie unerwartet. Um 14 Uhr sollte es losgehen. Warum fühlte ich mich dann schon ab halb acht so unvorbereitet und nervös? Woher kammen diese Bauchschmerzen? Ob all die tätowierten Biker vor ihrem ersten Nadelstich auch so oft die Toilette rennen mussten? Dabei habe ich doch alles gründlich überlegt. Oder kann man Lebensentscheidungen vielleicht einfach nicht gründlich überlegen? Vielleicht bringt auch genau dieses Restriskio den Kick. Ich beschloss jedenfalls draufgängerisch zu bleiben und fuhr mit weichen Knien Richtung Tattoo-Studio.

Das Tattoostudio – und Fritz

Dort erwartet mich eine Kulisse, die besser aussieht als in einem Hollywoodstreifen. Das Tattoo Studio ist dunkel und rauchig. Die Wände sind voll behangen mit handgezeichneten Tattoo-Vorlagen und am Tresen empfing mich Fritz. Fritz ist klein, „packed“ (Szene-Vokabel für tättowiert) bis zum Hals und an wohl keiner Stelle seines Körpers ungepierct. Er scheint zu den harten Jungs zu gehören. Dabei ist er aber absolut gutherzig und höflich. Nach der netten Begrüssung werde ich ins Hinterzimmer geführt. Zwar ist es sauber und riecht nach Desinfektionsmittel – aber es ist ein Hinterzimmer! Ich werfe noch mal einen Blick auf die Tattoos, die Fritz am Körper trägt. Sie sind wuchtig und omnipräsent, aber in sich filigran und überaus kunstvoll gezeichnet. Eine Tatsache, die mich ruhiger werden lässt.

Das Stechen

Tattoos ab jetzt nur noch mit Fritz

Ab da lief alles recht schnell: Fritz liess mich den Schriftzug «Glückskind» mehrere Male auf Papier schreiben. Er fand (womit er Recht hat), dass die eigene Handschrift oft schöner sei als irgendwelche Vorlagen. Das schönste Exemplar war schnell gefunden und via Blaupause auf meinen Arm transportiert. Noch ein kurzer Blick in den Spiegel und schon hörte ich es summen: Fritz startet die Nadeln vor. Au weia! Als er dann die spitzen Metalle an meine Haut ansetzt war die letzte Chance für einen Ruckzieher vertan. Ab jetzt heisst es: Lebenslänglich! Komischerweise ein gutes Gefühl. Sehr gut sogar. Fast wie ein Rausch. Selbst die Schmerzen der Nadel versprühten plötzlich etwas Euphorisches in mir. Gedacht habe ich in diesem Moment nichts, gefühlt umso mehr. Alles, was ich wusste war: Es wird nicht mein Letztes gewesen sein. Es stimmt also doch: Tattoos machen high und süchtig. Fortsetzung folgt . Ganz gewiss. Und ganz sicher mit Fritz.

Text: Linda Freutel

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