KEINE FALSCHE SCHAMWarum wir jetzt über Intimrasur sprechen

Sie haben sich ihren Platz zurück in die Gesellschaft gewuchert. Schamhaare sind wieder in aller Munde. Sagen jedenfalls Stars und Mode-Experten. Und schon haben alle wieder die Hose voll! Aber keine falsche Scham. Linda Freutel zur Intimrasur-Debatte.

Unten ohne? Über Intimrasur

Die Mode diktiert wie wir uns anziehen, wie wir wohnen und sogar wie wir wachsen oder waxen lassen. Seltsam eigentlich, schliesslich handelt es sich um den Körperbereich, der privater ist als jeder andere. Trotzdem ist die Intimrasur – oder besser gesagt Intimbehaarung – derzeit in aller Munde. Und das ist im schlimmsten Fall wörtlicher gemeint, als es klingen sollte. Denn Schamhaare sind angeblich wieder zurück, wie die New York Times jüngst unter dem Titel «Bush is back» verkündete, als das Modegeschäft American Apparel seine Schaufensterpuppen mit Schamhaar-Toupets ausstattete.

Und plötzlich sprachen alle über Schamhaare. Ich auch. Vor allem beschäftigt mich eine Frage, wie kommt es eigentlich, dass wir heute sagen müssen: «Intimrasur oder Nicht-Intimrasur, das ist hier die Frage?»

Schamhaar-Zeitgeist

Da ist sie also wieder. Die Intimrasur. Lange Zeit war sie ja verschwunden. Zuerst aus den Pornos und dann auch aus dem eigenen Schlafzimmer. Denn galt das intime Buschwerk zwischen den Beinen und unter den Achseln in den wilden 70er Jahren noch als Bekennungszeichen für Naturverbundenheit, merkte man rund zehn Jahre später, wie viel mehr Einblicke man(n) in die Natürlichkeit einer Frau haben kann, wenn man zuvor die Klinge walten lässt.

Der freie Blick auf die intimsten Winkel der Vagina war ebenso ein Argument für die Intimrasur, wie die verminderte Wundanfälligkeit beim Geschlechtsakt. Letzteres war zwar vor allem Hardcore-Porno-Darstellerinnen vorbehalten, doch nach und nach kamen auch immer mehr Laien-Betthasen auf den Geschmack und entdeckten die Lust an absoluter Nacktheit. Ohne Schamhaare sei der Intimbereich empfindsamer, der Sex fühle sich besser an und überhaupt sei es hygienischer ohne Busch, verlautbarte die Kahlschlagfraktion.

Über den Standpunkt der Hygiene streiten sich Mediziner allerdings bis heute. Zwar haben Filzläuse und einige Bakterien ohne die Schamhaare keinen Unterschlupf mehr, dafür hätten Genitalwarzen freie Bahn. Spätestens ab dem Sex-and-the-City-Kult der 90er Jahre waltete die Rasierklinge auch bei all den Ladies, die nicht auf Pornos, sondern Promis hören. Die Betonung liegt wohl gemerkt auf «Ladies». Enthaarung war bis dato Frauensache.

Liebe auf den zweiten Blick: Männer und Intimrasur

Denn als der Kahlschlag bei den Damen in den 90ern bereits Gang und Gebe war, wucherte es bei den Herren der Schöpfung noch lange Zeit weiter. Der Grund ist simpel: In unserer Vorstellung haben Haare oft etwas Animalisches. Und Animalisch finden wir sexy. Beim Mann. Bei Frauen finden wir dagegen häufiger, dass eine nackte Vagina reinlich, unschuldig, zart sei - und damit ebenfalls sexy, aber eben auf typisch weibliche Art.

Und genau das war und ist auch das Problem für einige Feministinnen wie zum Beispiel die Schweizer Politikwissenschaftlerin Regula Stämpfli, die 2008 in der Emma den rasierten Schambereich einer Frau als «Kindermösen» bezeichnete. Sie gesellte sich damit zu einer langen Tradition von Feministinnen, die in der Intimrasur der Frau eine Imitation des kindlichen Schambereichs erkennen wollen und damit eine Selbsterniedrigung des weiblichen Geschlechts. Oder schlimmer noch: Mann und Frau mussten sich teilweise dem Vorwurf der pädophilen Neigung aussetzen, wenn sie auf unten ohne standen.

Nichts desto trotz blieb die Frage, Intimrasur oder Nicht-Intimrasur bis in die 2000er eine Sache, die man als Frau machte, aber nicht gross thematisierte. Danach unterlag die Schamhaarfrisur einem erneuten Image-Wandel: Aus einem bisher noch recht stillen Tuschelthema wurde ein laut propagierter Kult. Victoria Beckham soll sogar gefordert haben, dass unten ohne ab 18 Pflicht werden sollte. Waxingstudios spriessten wie Pilze aus dem Boden. Es wurde gezupft, gesugart und gewaxt, was das Zeug hielt. Als Perversling ging ab sofort nur noch durch, wer stehen liess. Und zwar auch bald beim starken Geschlecht.

Die ursprünglich so anziehende Triebhaftigkeit, die von männlicher Naturborste ausging, wurde gegen das neue Ästhetik-Empfinden des Purismus getauscht. Als schön galt ab sofort – und zwar sowohl bei Männlein als auch bei Weiblein – was glatt, jung und frisch wirkte. Der Trend zur Intimrasur folgt dabei wohl dem übergreifenden Körperkults der letzten Jahre, der den Körper zum menschlichen Gestaltungsobjekt erklärt hat. Wer sich nicht fit, gesund und glatt hielt, entsprach nicht dem Zeitgeist. Einhergehend mit der Jagd nach absoluter Perfektion boomten Liftings, Extensions, Piercings, aber auch die Intim-Operation zur optischen Korrektur der nun sichtbaren Schamlippen. Credo: Unser Körper ist zwar von Gott gegeben, aber erst von Menschenhand zu dem gemacht, was er ist. Ein nacktes, schlankes und straffes Kunstwerk. Mutter Natur hatte nichts mehr zu melden.

Natur pur: Schamhaare als Statement

Das Karussell der Mode und Trends hat sich weiter gedreht. Wir schreiben das Jahr 2014 und entdecken etwas, was sich vor einem halben Jahr noch keiner getraut hätte: Haare! Und zwar die borstigen schwarzen. Nicht nur im Schritt besagter New Yorker Schaufenster-Puppen, sondern auch in den Achseln von Madonna. Und nach eigener Aussage auch zwischen den Beinen von Gwyneth Paltrow, Kate Moss, Lilly Allen und Lady Gaga. Es scheint, als orientiere sich der Trend wieder back to basic. Zurück zum Busch. Zurück zum Anfang. Vielleicht sind wir inzwischen wirklich satt von all dem Plastik und Perfektionismus mit dem wir unsere Körper in Extremformen gepresst haben? Vielleicht wollen wir endlich wieder durchatmen und selbst bestimmen, wie wir aussehen und wer wir sind. Und dafür lassen wir jetzt haarige Statements sprechen. Das klingt doch mal nach einer echten Revolution. Nach Power und Selbstbestimmung. YES, we can. Madonna macht es vor. Und wir machen es nach. Das ist doch Selbstbestimmung, oder?

Bild: iStock

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