Mode Suisse x femelleVon Kunst und Authentizität
Manches lässt man sich am besten aus dem Nähkästchen erzählen. Darum gewähren Les Amis de Mode Suisse jede Woche kleine Einblicke in ihren Kosmos. Diese Woche als letzte «Amis de Mode Suisse» unserer Serie Mode Suisse x femelle für diese Edition mit der Unternehmerin und Kuratorin Michelle Nicol.

Im Januar landeten sie einen der Werbecoups schlechthin: Fünf orangefarbene Schutzjacken sind in einem Raum so drapiert aufgehängt, dass sich die Kapuzen wie die Finger eines Ahornblattes organisch formieren. Die Skulptur wurde von niemand Geringerem als dem chinesischen Künstler Ai Weiwei für den Baumarkt Hornbach entworfen. Die Idee: jedermann und jedefrau kann Kunst schaffen, so Weiweis Philosophie, und allen sollte Kunst zugänglich sein.
Hinter dem Konzept stecken Michelle Nicol und ihre Agentur Neutral, gegründet mit Partner Rudolf Schürmann. Seit 19 Jahren sind sie bekannt für Kollaborationen, die die Kunst aus den gewohnten vier Wänden hinaus in die Welt tragen und mit Design zusammenbringen. Die Kunsthistorikerin und Moderatorin des Luxury Innovation Awards steht seit Kurzem auch als Beirätin der Mode Suisse beratend zur Seite.
Mit deiner Agentur Neutral überraschst du immer wieder mit interdisziplinären Konzepten; für den Baumarkt Hornbach konntet ihr den Chinesischen Künstler Ai Weiwei gewinnen – wie habt ihr das geschafft?
Unsere Kampagnen-Idee hiess «Demokratisierung der Kunst». Jeder soll die Möglichkeit haben, Kunst im Museumsformat zu besitzen und sich von Kunst inspirieren zu lassen. Ai Weiwei war sofort begeistert und hat in seinem Berliner Studio, einer ehemaligen Bierbrauerei, gleich fünf Skulpturen entwickelt, die alle mit Materialien aus dem Baumarkt Hornbach gebaut werden können. Wir haben uns für eine Skulptur entschieden und diese kann mit dem Manual immer wieder gebaut werden. Sogar ein signiertes und abgestempeltes Zertifikat ist in der Handlungsanleitung enthalten. Ai Weiwei sagt: Kunst macht die Welt nicht zu einem besseren Ort. Aber sie kann jeden und jede zu einem besseren Menschen machen.

Künstler Ai Weiwei vor seiner für das Bauunternehmen Hornbach entworfenen Skulptur
Ist Interdisziplinarität das neue Zauberwort für Erfolg?
Der Austausch zwischen den kreativen Disziplinen Kunst, Architektur, Design, Wissenschaft, aber auch Technologie ist notwendig und dringend, um den Herausforderungen der Jetztzeit zu begegnen. Er steigert die Qualität von Leben und Arbeiten.
Wie sollte sich ein Brand heute positionieren - worauf ist derzeit nicht zu verzichten?
Marken und Menschen müssen gleichermassen authentisch, sich selbst sein, wenn sie Einfluss haben wollen. Das gilt für das Produkt, für die Absicht, für jede Aussage.

Kampagnenbild für Pringle mit Schauspielerin Tilda Swinton. Fotograf: Ryan McGinley
Welches Schweizer oder auch internationale Label ist für dich momentan das spannendste und warum?
Der Weg von Bottega Veneta fasziniert mich. Der Kreativdirektor Daniel Lee vermengt Luxus und Heritage mit einer Punk-Haltung und kreiert Produkte, die seltsam schön sind und etwas Wahrhaftiges und Positives ausstrahlen. Logisch, dass das Label kommerziell unglaublich erfolgreich ist. Bei Neutral lieben wir auch CasellaMeyer, ein junges Schweizer Mode-Kollektiv mit Wurzeln in Kunst, Musik und Design. Sie bringen das Gefühl der Strasse mit perfekter handwerklicher Textilveredelung zusammen. Ihr erster Drop mit Seidenfoulards ist auf ihrer Website zu sehen. Eine weitere Schweizer Marke, die wir lieben, ist Valerio Olgiati. Seine Methode ist die nichtreferentielle Architektur. Mit dem Baloise Learning Center in Basel hat er ein Scheibenhochhaus mit einer Vielzahl von pyramidalen Obelisken realisiert.

Aus dem Self Service Magazin: Künstler Richard Phillips mit seiner Inszenierung der roten Cartier Box im Hintergrund. Eine frühe Neutral-Kampagne.
Du wohnst neuerdings in Basel und nicht mehr in Zürich: Warum Basel und was ist anders im Vergleich zu Zürich?
Gemeinsam mit meinem Agentur- und Lebenspartner Rudolf ziehen wir nach Basel und werden in Basel auch eine Neutral-Agentur eröffnen. Basel ist das neue Zürich und Zürich ist das neue Basel! Im Februar nächsten Jahres ist es soweit.
Die 18. Edition der Mode Suisse startete am 7. September 2020 in Zürich und hätte am 21. November 2020 in Genf enden sollen. Zwischen dem 31. Januar und 2. Februar wird im Museum für Gestaltung die 19. Edition der Mode Suisse stattfinden. Mehr Informationen auf modesuisse.com. Speziell hier auch noch ein Shout-out und Merci an die Schweizerische Textilfachschule.
Portraitbild: Esther Mathis, Artikelbilder: All images courtesy the artist