Pipilotti Rist«Ich finde Schönheit nie harmlos.»

Sie ist die berühmteste Gegenwartskünstlerin der Schweiz, doch verehrt wird sie meist woanders. Dabei ist es nicht Pipilotti Rist selbst, sondern ihre Kunst zu der die Schweizer oft keinen Zugang finden. Denn diese kluge und herzige Frau muss man einfach mögen. Diese Tage wurde sie 50. Happy Birthday, Pipi!

Pipilotti Rist ist die berühmteste Gegenwartskünstlerin der Schweiz

An einem sonnigen Tag im Juni feierte die famose Videokünstlerin und Experimentalfilmerin Pipilotti Rist aus St. Gallen, Grabs ihren 50. Geburtstag. Und St. Gallen Kinderfest. Das hat der Frau, die sich nach ihrer Kindheitsheldin Pippi Langstrumpf benannt hat, sicherlich gefallen. Aber ein Fest für Pipilotti feierte die Schweiz nicht. Da müsste sie schon Roger Federer sein.

Wenn man hier nicht aufgewachsen ist, kann einem das eigentümliche Verhältnis zu Schweizer Volkshelden, Schweizer Marken oder irgendetwas, das mit der Schweiz zu tun hat schon etwas merkwürdig vorkommen. McDonalds, die amerikanischste aller Esskulturen, wirbt erfolgreich mit «100% Rindfleisch aus der Schweiz» (obwohl das Fleisch nachweislich von Österreich stammte). Michelle Obama wird vom Blick am Abend gleich eingeschweizert, weil in ihrem Küchengartenbuch Mangold erwähnt wird, der fälschlicherweise in den USA Swiss chard genannt wird. Und es ist noch nicht so lange her, da schied die Schweiz im Halbfinal des Eurovision Song Contest aus. Um doch noch irgendwie an diesem Low-Level-Spektakel teilzuhaben, drückte 20min der dänischen Künstlerin die Daumen, weil ihre Mutter Schweizer Wurzeln hat.

Gleichzeitig hat man eine echte High-Level-Frau in den eigenen Reihen und die Schweiz müsste eigentlich ausrasten vor Stolz. Doch als der Kunstkompass 2011 veröffentlicht und Pipilotti Rist zu den zehn bedeutendsten Künstlern der Welt gezählt wird, ist das den Schweizer Medien vielfach nicht einmal eine Fussnote wert. Dabei ist Rist ihrer Heimat so verhaftet, wie man es sich für eine Künstlerin von Weltruhm gar nicht vorstellen kann. Und bietet so viel Stoff, die sie zu den interessantesten Figuren und sowieso Frauen der Schweiz machen müsste.

Rist in Retrospektive

Blutbetriebene Kameras und quellende Räume ist Pipilotti Rists erste Werkrückschau in der Schweiz – und zugleich eine vorübergehende Heimkehr der Künstlerin.

2. Juni – 25. November 2012 im Kunstmuseum St. Gallen, weitere Infos: kunstmuseumsg.ch

«Rist ist die Künstlerin, die hundert Stunden Arbeit in eine Minute Film steckt, weil sie will, dass Menschen in einer Minute mit hundert Stunden beschenkt werden. Rist ist die Frau, die auf der Straße jeden so freundlich grüßt, als wäre sie mit ihm verwandt», schreibt Muscionico, Kunstkritikerin und Weggefährtin von Pipilotti Rist, kürzlich in der Zeit. Rist ist auch die Frau, die amerikanische Multmillionäre im Museum zum Schuhe ausziehen überredet, indem sie vorgibt, sich für die Farbe ihrer Socken zu interessieren. Und Rist ist die Kunstkompass-Topten-Frau, die sich vom Schweizer Onkel für ein Videoprojekt die Schafe ausleiht und dann in ihren nächtlichen Träumen fürchtet, es könnte ihm nicht gefallen. Fleissig, qualitätsbewusst, höflich, bescheiden, schuldbewusst. Schweizerischer geht es kaum. Und doch hat sie eine Tugend, die mehr zu wiegen scheint und mehr entfremdet als alle anderen verbünden können.

Pipilotti Rist hat Mut. Mut zu Träumen, Mut zu Farben, Mut zum Überschwang und Mut zu zeigen, für was man sich schämt. Denn Pippilotti Rist malt keine schönen Bilder von Landschaften, sondern sie erforscht mit ihrer Kamera vor allem immer wieder den menschlichen, meist weiblichen Körper. Kronleuchter aus Unterhosen, Nahaufnahmen vom Anus oder Apèros mit Menstruationsblut. Das ist eklig, wenn man mit moralschwangeren Augen darauf schaut, belanglos, wenn man nur den Gegenstand sieht und doch so viel mehr, wenn man wagt, die Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Allein dafür lohnt es sich Pipilottis Werke zu betrachten. Noch fehlt vielen Pipis Mut dazu.

Pipilotta Rist muss man einfach mögen. Ihre Kunst deshalb noch lange nicht. Sie deshalb nicht kennen zu lernen, wäre schade.

Die schonsten Zitate von Pipilotti Rist

«Meine Augen (türkis) sind 2 blutgetriebene Kameras. Je offener und knallharter wir den andern Menschen in ihre Augen schaue, desto brillanter werden die Bilder.»

«Ich finde Schönheit nie harmlos. Schönheit ist ja das, was wir selber konstruieren. Physiologisch brauchen wir Dinge im Leben, die wir als schön empfinden, damit sich unser Prozessor erholen kann. (...) Sie brauchen wir, sonst drehen wir durch.»

«Diejenigen, die sich nach der Kunst bücken, ziehe ich an der Hand in die Hölle.»

»Wir haben starke Backlashs im Feminismus, viele sind von Frauen selber getragen.  Frauen lieben es scheinbar, hart zu sich zu sein.»

«Auf die Frage, ob ich Feministin bin, habe ich immer zwei Antworten. Wenn mich ein guter Mensch fragt, bin ich keine Feministin. Wir Frauen haben einiges erreicht, und immer nur auf das Recht der eigenen Gruppe zu pochen, scheint mir zum Teil egoistisch. Aber wenn mich ein Macho fragt, sage ich natürlich sehr wohl, ich bin Feministin.»

«Jedes Quäntchen, das wir an Unschuld verlieren, müssen wir mit einem Kilo Können gutmachen.»

«Ich würde gerne daran glauben, dass Kunst die Welt verändern kann.»

«Melancholie heisst für mich auch Versöhnung mit dem Unperfekten.»

«Das Handwerk in den USA ist brutal lausig. Amerika ist made in China.»

«Video ist die Synthese von Musik, Sprache, Malerei, Bewegung,miesen-fiesen Bildern, Zeit, Sexualität, Erleuchtung, Hektik und Technik. Das ist das Glück des Fernsehschauenden und der Videokünstler.»

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