ES IST KOMPLIZIERTWarum die Generation 2.0 nie Schluss macht

Wir teilen nicht mehr das Bett mit ihnen, doch wenn sie wollen können sie immer wieder in unserer Hose landen. Und zwar dann, wenn uns unsere Exen eine Nachricht auf das Smartphone schicken. Wie wir 20-Somethings Social-Media-Masochisten wurden oder warum wir lieber länger leiden, als den Kontakt mit unseren Ex-Lovern ganz zu verlieren.

Trennungen in der Generation Social Media

«Hallo Mike, hier ist Lydia. Ist Tom da?...Dachte ich mir, der Feigling! Du hast ja sicher mitbekommen, dass Tom gestern per W-H-A-T-S-A-P-P mit mir Schluss gemacht hat !!!! :( Ich muss noch meine Klamotten abholen. Bist du später zuhause?? ... Ach so und ich hab Tom und dich aus meiner WhatsApp und Facebook-Liste gelöscht. Sorry, wenn du jetzt sauer bist, add ich dich wieder. Gegen dich habe ich ja eigentlich nichts :)»

WTF? Denkt sich Mike, der Lydia nie wirklich mochte und insgeheim froh war, dass sich Tom, wenn auch auf eine sehr arme Weise, getrennt hatte. Aber das mit Facebook und so, war einfach lächerlich. Da steht man doch drüber.

Wirklich? Maureen O’ Connor hat für einen Essay im New York Magazine in ihrer Freundesliste nachgeforscht mit wie vielen ihrer heutigen Facebook-Kontakte sie einmal mehr als platonische Freundschaft verband. Sie kam auf 36. Dazu zählte sie ihre Ex-Freunde, Affären, Urlaubsflirts, einmaligen Abenteuern, schiefgelaufene Dates und einige sehr heisse, aber nie physisch gewordene Flirts. Wenige davon hatte sie wahrscheinlich einmal geliebt, etwa genauso wenige hatten sie geliebt, einigen davon hatte sie bestimmt das Herz gebrochen, andere ihr, viele bedeuteten ihr vermutlich nichts, waren aber gut fürs Ego und einem davon schreibt sie vielleicht heute noch eindeutige Nachrichten, wenn sie etwas angeschickert ist.

Mit diesen 36 Menschen verbindet Maureen ganz unterschiedliche Geschichten und doch haben sie alle etwas gemeinsam: Wenn sie wollen, können sie auf verschiedenen sozialen Netzwerken, mit verschiedenen Nachrichtenformen und auf verschiedenen Endgeräten alle weiterhin an Maureens Leben teilhaben - und Maureen an ihrem.

Nicht nur, dass wir wie Maureen heute alle mehr Ex-Freunde und Freundinnen ansammeln; dass wir uns länger und häufiger austoben und ausprobieren; dass wir bedenkenloser Männer-Frauen-Freundschaften pflegen, mit oder ohne Benefits. Nein, vor allem wollen wir uns nicht festlegen - und das Web 2.0 hilft uns dabei, nie wirklich ganz von vorne anfangen zu müssen. «Wir müssen gar nichts abschliessen. Was gut ist, weil etwas endgültig abzuschliessen ist nichts, dass wir je tun wollen.», schreibt Maureen 0’Connor.

«Wir saufen lieber ab im Meer der Möglichkeiten», bevor wir uns für eine Sache entscheiden, weiss auch die Autorin Edith Einhart («Warum entscheiden schwer fällt, aber glücklich macht»). Dabei übersehen wir, dass – solange wir alle unsere Ex-Partner auf Stand-By halten – immer etwas Energie für die neue Beziehung fehlt.

Liebe in analogen Zeiten

«The Medium is the message» (dt.: Das Medium ist die Nachricht), prophezeite der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan lange bevor wir entdeckten, welche zahlreichen Möglichkeiten uns die neuen Kommunikationsformen bieten. Und meinte damit, dass Medien nicht nur die Überbringer unserer Nachrichten sind, sondern auch Erweiterungen unserer Selbst, unser Sinne, unseres Körpers und unseres Geistes.

Kommunikation ist alles, das weiss jeder Paartherapeut. Doch kommunizieren wir heute mit und durch die neuen Medien anders und vielfältiger. Als meine Grosseltern sich kennenlernten, gab es eigentlich nur zwei Wege sich auszutauschen: per Brief oder von Angesicht zu Angesicht. Sie trafen sich jeden Sonntag beim Tanz-Tee in der Stadt und anschliessend brachte mein Grossvater meine Grossmutter zu Fuss nachhause. Das bedeute für ihn jedes Mal einen Weg von 12 Kilometern. Die beiden überlegten sich deshalb sehr genau, wann und wie sie sich trafen und nutzen die Zeit auf den langen Spaziergängen dafür umso intensiver. Dann musste mein Grossvater in den Krieg. Er wurde von den Alliierten in Gefangenschaft genommen und drei Jahre in ein Arbeitslager nach Amerika geschickt. Das Telefon war damals zu teuer, ein Brief musste über Wochen per Schiff über den Ozean reisen. Deshalb schrieben sich meine Grosseltern nur selten oder wenn etwas wirklich Wichtiges passiert war. Als mein Grossvater zurück kehrte heirateten sie. Es war für beide die erste und die letzte Beziehung.

Meine Mutter dagegen musste und wollte nicht den ersten Mann, der ihr den Hof machte und gefiel, heiraten. Bevor sie meinen Vater kennenlernte, hatte sie eine längere Beziehung und zwei, drei Kerle mit denen sie mal ausgegangen war. Niemanden davon hat sie je vergessen, dann und wann erzählt sie heute noch eine Anekdote, doch es sind eben nur Anekdoten aus einer abgeschlossenen Vergangenheit. Die übrigen Erinnerungsstücke an Ex-Beziehungen wie Fotos, Geschenke oder Liebesbriefe passten alle in eine Schuhschachtel, die meine Mutter am Anfang noch im Dachboden verstaute und nach und nach fortwarf.

Das Netz vergisst nichts!

Und heute? Heute begegnen wir unseren vergangenen Liebeleien fortwährend in der Gegenwart. Unsere platzsparenden, digitalisierten Erinnerungstücke wie Emails, Chats, Kurznachrichten, Fotos, Musik und Videos sammeln wir auf verschiedenen Endgeräten. Internet, Laptop und Smartphones sind unser Gedächtnis, nichts kann und soll je vergessen werden. Und je mehr wir von unserem Leben online teilen, desto mehr «digitale Besitztümer» häufen wir an.

Wir werden die Vergangenheit nicht los, weil unsere Ex-Beziehungen immer noch Teil der Gegenwart sind. Vielleicht chatten wir nicht wie Maureen mit unseren Exen, aber über die sozialen Netwerke stalken wir sie klammheimlich doch noch dann und wann. Hat er schon eine neue Freundin? Aha, jetzt macht er also Sport und geht jedes Wochenende in die Clubs, während man selbst nur den Klammeraffen auf dem Sofa serviert bekam. Und schon fangen wir an darüber nachzudenken, ob die Trennung nicht doch ein Fehler war. Eigentlich hatten wir es doch schön miteinander... Und schon ist die nächtliche SMS an den Verflossenen nicht mehr weit.

Aber wie klappt dann noch das universale Liebeskummer-Rezept «Die Zeit heilt alle Wunden»? Dieser Frage sind die Kommunikations- und Computerwissenschaftler Corina Sas und Steve Whittaker in ihrer Studie «Design for Forgetting: Disposing of Digital Possessions After a Breakup» (2013) nach gegangen und kommen zu dem Ergebnis: schlecht.

Wir Social-Media-Masochisten

Sämtliche neuen Kommunikationsmedien seien darauf ausgelegt unsere digitalen Besitztümer zu behalten, so die beiden Wissenschaftler. Die Speicherkapazitäten werden immer grösser und Daten lassen sich immer platzsparender archivieren. Unsere digitalen Geräte verknüpfen uns rund um die Uhr mit unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart. Das ist die Idee des Mediums und doch ist es nicht immer gut, wenn uns das Vergessen unmöglich gemacht wird.

Denn Vergessen und Verdrängen spielen sowohl aus physischer wie auch psychischer Perspektive eine wichtige Funktion. Unwichtige, unnütze und unangenehme Erinnerungen, die uns lediglich belasten, können aus unserem Gedächtnis gelöscht oder neu rekonstruiert werden. Denn Erinnerungen liegen nicht jahrelang unangetastet als graue Zellen in den hintersten Wölbungen unseres Gehirns. Sozial- und Verhaltenswissenschaftler haben in verschiedenen Studien belegt, dass sich biographische Interviews mit ein und derselben Person, obwohl diese die Gespräche mit dem besten Wissen und Gewissen geführt hat, massgeblich voneinander unterscheiden. Diese Abweichungen sind nicht die Lügenfantasien eines schlechten Charakters, sondern die normale und notwendige Arbeit an der Vergangenheit, die für unsere Identitätsbildung entscheided ist. Wir verändern unsere Erinnerungen fortwährend und setzen diese mit neu erlerntem Wissen in Verbindung. Vergangene Ichs werden immer wieder zu unseren heutigem Selbst in Beziehung gesetzt und interpretiert. Denn würden alte Erinnerungen zu unserem neuen Ich im Widerspruch stehen, würden wir das psychisch gar nicht aushalten.

Liebeskummer forever

Insbesondere beim Verarbeiten von gescheiterten Beziehungen spielt diese Erinnerungsarbeit eine grosse Rolle. Liebeskummer heilt am besten auf Distanz. Doch Digital Natives können diese gar nicht mehr gewinnen.

In ihrer Befragung von 24 Männern und Frauen zwischen 19 und 34 Jahren konnten Sas und Whittaker aufzeigen, dass digitalisierte Erinnerungsstücke an vergangene Beziehungen den Liebeskummer nicht nur verlängern, sondern auch verstärken. Immer wieder aufpoppende Statusmeldungen, Re-Tweets, spontane Chats, Likes, Bilder und Videos erschüttern uns ständig aufs Neue und holen die Vergangenheit in die Gegenwart.

Wir werden ersucht und versucht das Leben unserer Ex-Freunde und Ex-Freundinnen parallel zu unseren unserem eigenen zu verfolgen. Wir fantasieren über Wege, die wir nie eingeschlagen haben. Fragen uns «Was wäre wenn?» und verschleppen dadurch nicht nur die Trennungsarbeit, sondern torpedieren auch unsere neuen Beziehungen.

Und Lydia? Hat sie nicht alles richtig gemacht? Denn in ihrer Studie zeigen Sas und Whittaker, wie schwer es uns fällt, uns von digitalen Besitztümern zu trennen. Das Löschen von Bildern und Nachrichten, die uns einmal etwas bedeutet haben, bringen wir kaum übers Herz. Oft können wir es aber auch gar nicht. Denn eine Nachricht, die einmal abgeschickt oder ein Foto dass einmal hochgeladen wurde, kann man nie wieder aus dem Gedächtnis des Internet löschen. Aber das wollen wir ja auch gar nicht im World Wide Web, im Land der unbegrenzeten Möglichkeiten.

Denn Lydia hat Tom zwar in der ersten Wutphase aus ihren WhatsApp- und Facebook-Kontakten gelöscht, nicht aber aus ihrem Adressbuch. Als die Wut längst der Sehnsucht gewichen war, sendete ihr Tom per SMS noch monatelang nächtliche Booty-Calls. Bis Lydia Jonas kennenlernte. Und wenn Jonas heute eifersüchtig die Nase rümpft, wenn Tom Lydias Facebook-Posts kommentiert, sagt Lydia: «Wir sind doch nur Freunde.»

Text: Nathalie Riffard, 31.07.2013

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