Blödes Mami!Wie Eltern richtig reagieren, wenn ein Kleinkind schlägt

Wenn ein Kleinkind schlägt, tut das den Eltern nicht nur körperlich weh. Viele fühlen sich ihrem Kind gegenüber machtlos, schämen sich oder glauben, sie hätten erzieherisch versagt. Dabei sind Eltern selten schuld. Was Experten beim Umgang mit aggressiven Kleinkindern raten.

Wenn ein Klienkind schlägt, sollten Eltern Ruhe bewahren. Was Experten jetzt empfehlen.

«Glacé! Glacé! Glacé!»

«Nein, es gibt jetzt kein Glacé!»

«Aber...»

«Nichts aber, Abmarsch!»

Manche Kinder werden diese elterliche Absage an die ersehnte Schleckerei akzeptieren, manche schmeissen sich vielleicht auf den Boden, andere sagen vielleicht aber auch:

«Blödes Mami!» und schlagen zu.

Wie Eltern jetzt reagieren, ist dabei ganz wesentlich wie weitere Trotzanfälle ablaufen können.

Als «terrible twos» oder schreckliche Zeit bezeichnen die Amerikaner die Trotzphase, die etwa um den zweiten Geburtstag ihrer Kinder beginnt. Dabei sollte diese Zeit nicht zum Fürchten sein. Denn eigentlich erleben wir mit, wie das Kind einen sehr wichtigen Entwicklungsschritt macht. Im Alter von etwa eineinhalb bis zwei Jahren lernen Kleinkinder, dass sie einen eigenen Willen haben und dass sie ihre Umwelt beeinflussen können. Und weil Kinder weil neugierig sind, wollen sie diese neue Fähigkeit natürlich auch ausprobieren.

Dabei kommt es mitunter auch zu Trotzanfällen. Eben dann, wenn Kleinkinder gegenüber Eltern oder Erziehern nicht durchsetzen können, was sie sich vorstellen.

Warum ein Kleinkind schlägt

«Das alles ist zunächst eine notwendige und sehr positive Entwicklung, die Eltern fördern sollten.» sagt die Zürcher Erziehungsberaterin und Sozialpädagogin Birgit Sauremann.

Gleichzeitig ist die Trotzphase ist dabei jene Zeit in der die Kleinen zwar einen wachsenden Wunsch nach Selbstbestimmung erleben, gleichzeitig aber noch nicht so gut sprechen, dass sie ihre inneren Konflikte Erwachsenen gegenüber zum Ausdruck bringen können. Was ihnen zur Verfügung steht, sind dann fast ausschliesslich nonverbale Ausdrucksformen: Heulen, Stampfen, auf den Boden schmeissen. Und treffen diese auf aufgewühlte Emotionen, subjektiv empfundene Ungerechtigkeit, Verzweiflung, Trauer oder Ratlosigkeit, kann es durchaus auch passieren, dass ein Kleinkind auch mal schlägt.

Aber nicht nur die fehlende Möglichkeit, seinen Emotionen verbal Ausdruck zu verleihen, sondern auch das natürliche Austesten von Machtgrenzen, kann dazu führen, dass ein Kind kleine «Test-Hiebe» an seine Umwelt verteilt. Auszuprobieren, welche Macht man hat, ob sich die Umwelt beeindruckt zeigt, wenn man schlägt und mit welchen Methoden man sich seinen Eltern gegenüber Gehör verschafft, ist ein durchaus normaler Entwicklungsschritt. Je nach Temperament und Charakter des Kindes fällt diese Testphase anders aus, nicht selten eben auch aggressiv.

Schlagen manchmal erlaubt: Kinder müssen testen

Wenn ein Kleinkind schlägt, muss das also nicht zwingend etwas Unnormales bedeuten. Sogar das Gegenteil kann der Fall sein: Kinder haben nicht nur den Drang sich körperlich auszutoben, zu raufen und auch manchmal zu ringen, sondern müssen auch ihre eigenen Grenzen kennen lernen. Spielerisches Raufen kann durchaus einen Lernprozess im sozialen Umgang darstellen. Im Spiel sollte es Kindern daher erlaubt sein, zu kämpfen. Jedoch unbedingt unter Einhaltung gewisser Regeln.

Wenn Sie eine spielerische Rauferei zwischen Kindern beobachten, sollten sich daher die Kinder schnappen und kurz besprechen, ob es sich um ein Spiel handelt und Regeln festlegen, die beim «Rauf-Spiel» nicht überschritten werden dürfen. Natürlich werden auch entsprechende Sanktionen (z.B. kompletter Abbruch des Spiels, Verzicht auf Süssigkeiten oder Ähnliches) vereinbart, die bei einer Regelwidrigkeit zwingend gelten.

Ruhe bewahren! Was Experten empfehlen, wenn ein Kleinkind schlägt

Ganz wichtig: Ruhe bewahren und gelassen bleiben. In diesem Momenten sollten Eltern sich klar machen, dass sie die «Grossen» sind, die jede Lage im Griff haben. Jedenfalls möchten Ihre Kinder ihre Eltern so sehen können. Eltern, die ruhig bleiben und die Situation zu regeln wissen, geben dem Kind ein Gefühl von Schutz und Verlässlichkeit. Nur wenn Kinder dieses Vertrauen in ihre Eltern haben, nehmen Sie auch in einem Moment der Aggression die elterliche Erziehung an.

Was jetzt hilft sind Auszeiten und klare Ansagen. Kleinkinder können dabei noch vielleicht noch nicht jedes unserer Worte verstehen. Für reine Vernunftsargumente sind sie schlicht nicht zugänglich. Unsere Handlungen und Reaktionen wissen sie dafür umso besser zu deuten.

Wenn ein Kleinkind schlägt, sollten Sie also versuchen überlegt zu reagieren. Will das Kind damit provozieren oder testen, wie weit es gehen kann? Dann zeigen sich Eltern am besten wenig beeindruckt. Eltern schnappen sich das Kind, am besten vielleicht am Arm der geschlagen hat, setzen Sie es in eine ruhige Ecke, sagen Sie klar, aber ohne sich emotional übermässig aufgebracht zu zeigen, dass Schläge ein absolutes Tabu darstellen. Dieses Tabu sollte mit einer Nachdrücklichkeit vermittelt werden, dass es als ausnahmslos akzeptiert wird.

Auch wenn das Kleinkind nicht aus Trotz oder Übermut, sondern aus reiner Verzweiflung, Wut oder Hilflosigkeit schlägt, gilt es ruhig, besonnen und bestimmt zu handeln. Im Moment des Geschehens muss klar sein, dass Handgreiflichkeiten niemals eine Option sind. Doch sobald diese Botschaft angekommen ist, sollten Eltern umgehend auf die kindlichen Bedürfnisse eingehen. Vielleicht braucht es Trost, weil es sich selbst für seine Handlung schämt? Oder es sucht den Beistand seiner Eltern, die ihm zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, um sich in Stresssituationen zu beruhigen. In jedem Fall braucht es jetzt Liebe. Und davon – so sagt es ein altes Sprichwort – braucht der Mensch (egal ob gross oder klein) immer dann am meisten, wenn er es am wenigsten verdient. Also, kuscheln Sie mit ihrem kleinen Schatz und gehen Sie auf Ursachensuche. Dann muss der Knirps bald nicht mehr schlagen. Und hat umso mehr Zeit zum Lachen, Toben und Knuddeln.

Selbstverständlich sollten Sie aber ihrem Kind in dieser Situation keinesfalls nachgeben. Egal ob ein Kind stampft, weint, beisst oder schlägt, um seinen Willen durchzusetzen, bekommt es jetzt das Glacé, wird das Kind lernen, dass es damit erfolgreich ist und das es eine akzeptierte Methode ist.

Haben die Eltern versagt?

Wenn das Kleinkind schlägt, trifft das viele Eltern nicht nur körperlich, sondern vor allem emotional. Besonders wenn die Aggressionen gegen die Eltern selbst gerichtet sind, machen sich Eltern grosse Vorwürfe. Machen Sie sich in solchen Situationen jedoch immer wieder klar, dass ein Kind eben kein Erwachsener ist. Es handelt immer nur mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Oft ist es einfach ein normaler Entwicklungsprozess, dass ein Kleinkind schlägt. Eltern haben deshalb nicht im Vorfeld versagt, sondern sind vielmehr jetzt gefragt. Das Kind braucht seine Eltern nun mehr denn je. Aggressionen sind für das Kind selbst auch belastend; das Kleinkind braucht Eltern, die ihm helfen, die Situation zu meistern, ihm Orientierung und Liebe geben.

Oft hilft es auch die Perspektive zu ändern. Kann ein Kind verstehen, denn ein Kind kann kaum rational verstehen, warum es jetzt kein Glacé haben kann. Die Schweizer Psychologin Denise Tinguely empfiehlt deshalb konstruktive Ansagen zu machen, die dem Kind eine Orientierung geben. Statt einem klaren «Nein, es gibt jetzt kein Glacé!», könnten die Eltern sagen «Es gibt Glacé zum Nachtisch.»

Aber auch dem Kind zu signalisieren, dass man es verstanden hat, sei wichtig, erklärt Tinguely. Zum Beispiel durch Sätze, wie «Jetzt bist du wütend, weil du kein Glacé haben kannst, aber ...», zeigen Eltern dem Kind, dass sie seine Gefühle verstehen können. Auch das loben von kooperativen Verhalten sei wichtig, sagt Tinguely. So ist es durchaus wichtig, dem Kind zu zeigen, dass man gemerkt hat, dass es sich wieder beruhigt hat.

Wer in diesen Situation, und auch sonst dagegen selbst Aggressivität vorlebt, beispielsweise oft aufbrausend reagiert oder sogar selbst schlägt, kann vom Kleinkind kaum ein anderes Verhalten erwarten. Kinder lernen durch Abgucken. Natürlich gilt das nicht nur für den Moment, in dem das Kleinkind schlägt, sondern besonders im Alltag. Eltern sollten eine konstruktive Streitkultur vorleben, damit ihre Kinder sich etwas abschauen können.

Ab wann wird aggresives Verhalten bedenklich?

Dass Kinder im Alter von circa zwei bis vier Jahren Wutausbrüche bekommen, trotzig sind und eben auch schlagen oder beissen, muss kein besorgniserregender Entwicklungsschritt – und übrigens auch kein Zeichen für elterliches Versagen – sein. Erst wenn das Kind länger als ein halbes Jahr lang seinen Willen aggressiv durchsetzten will (zum Beispiel mit Schlägen, Tritten oder Beleidigungen) und Eltern und Erzieher trotz erzieherischer Massnahmen keine Besserung feststellen, vielleicht sogar noch eher eine Verschlimmerung erkennt, geht dieses Verhalten über das gewöhnliche Mass hinaus.

Auffällig und nicht alterstypisch gilt ein aggressives Verhalten von Kinder auch dann, wenn sie bereits über kognitive und sprachliche Möglichkeiten verfügen, um einen Konflikt oder eine emotionale Stresssituation sprachlich lösen zu können. Zum Beispiel durch Fragen, Tauschen oder Teilen. Wenn Kinder jetzt noch regelmässig, und eben nicht nur in besonderen Ausnahmesituationen, handgreiflich werden, sollten Eltern besonders hellhörig werden. Dann haben sie meist schon verinnerlicht, das Schlagen ein gutes Mittel ist, sich selbst zu behaupten.

Die Ursachen aggressiven Verhaltens von Kindern

Wenn die kindlichen Aggressionen über das übliche Austesten oder unbeholfene Überreagieren auf emotionalen Stress in der sogenannten Trotzphase hinausgehen, gibt es meist keine einfache Erklärung. Die Gründe dafür, dass ein Kleinkind schlägt, können vielfältig sein. Allen Ursachen gemein ist aber eine Gefühl der Überforderung, bei dem es sich nicht anders zu helfen weis, als mit Tritten, Bissen und Schlägen.

Manche Kinder haben beispielsweise ein hitzigeres Temperament. Es gelingt ihnen schwer ihre Gefühle zu kontrollieren. Auch Kinder mit einem schwach ausgeprägten Selbstbewusstsein neigen eher zu aggressiven Verhalten.

Eine tief sitzende Trauer, Wut oder empfundene Ungerechtigkeit, kann das Kind beispielsweise so sehr belasten, dass es selbst in davon unabhängigen, alltäglichen Situationen überreagiert. Sofern sich die Kinder bereits gut artikulieren können, sollten Eltern versuchen in einer ruhigen Situation durch ein Gespräch und gezielte Frage der Ursache auf den Grund zu gehen. Vielleicht haben Sie ja bereits eine Vermutung, was dem Kleinen auf der Seele liegt?

Auch Kinder, denen kein Freiraum gelassen wird, selbst zu denken und selbstständig zu verhalten und auch Kinder, die zu sehr verwöhnt werden, können zu aufssässigem Verhalten neigen. Das ist dann ihr Weg zu zeigen, ich will nicht immer herumkommandiert werden ich will selbst Erfahrungen machen.

Aggressives Verhalten kann aber auch ein Schrei nach Aufmerksamkeit sein. Wenn ein Kind sich vernachlässigt fühlt, kann es versuchen sich mit seinem aggressiven Verhalten wieder ins Rampenlicht zu rücken.

Und das gibt es natürlich auch: Kleinkinder ahmen ihre Umwelt nach. Vielleicht wird es in der Familie, von den Eltern, Geschwistern oder von anderen Kindern in der Kita geschlagen oder hat beobachtet, das andere schlagen und es hat gelernt das Schlagen eine legitime Methode ist, sich durchzusetzen.

Sofern es ein Konflikt ist, den das Kleinkind in der Familie hat, kann es aber auch durchaus sinnvoll sein, eine neutrale Person hinzuzuziehen (vielleicht die Grosseltern oder einen Kinderpsychologen), der mit dem Kind auf Ursachensuche geht.

Bild: MNStudio/Dreamstime.com

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