SCHÖNHEITSIDEALESchön sind immer nur die anderen

Wer ist schön? Die Dame mit sonnengeküsstem Teint und Silikon im Busen? Oder das blasse Mädchen mit hervorblitzenden Hüftknochen? Schön scheinen in jedem Fall immer die anderen. Wir selbst sind immer noch am Streben nach dem vollkommenen Schönheitsideal. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann... Höchste Zeit umzudenken.

Schönheitsideale sind vom Zeitgeist abhängig.

Schön sein wollen wir alle. Wir Frauen sogar so sehr, dass wir laut einer Umfrage des Frauenmagazins Petra auf einen Faustschen Pakt einlassen würden.1000 Frauen wurden gefragt, ob Sie 10 Punkte Ihres IQs opfern würden, wenn dafür ein körperlicher Makel verschwände. Nur jeder vierten Frau war ihre Intelligenz wichtiger als ihre Schönheit.

Aber was ist eigentlich schön? Sind Schönheitsideale gross und schlank? Oder kurvig und vollbusig? Vielleicht muss man langes, blondes Haar und eine Stupsnase haben, um dem Ideal von Schönheit zu entsprechen. In der Geschichte der Ästhetik finden sich immer wieder Hinweise darauf, dass Menschen mit symmetrischen Gesichtern als besonders schön gelten. Auch ein gewisses Verhältnis von Brustumfang, Taille und Beckenbreite wird immer wieder als Indikator für Schönheit genannt. Dabei sind die bekannten 90-60-90 Masse weit weniger beständig als uns Werbung und Hochglanzmagazine gauben lassen wollen.

Bis ins 20. Jahrhundert galten vor allem Frauen mit solchen weiblichen Rundungen als attraktiv, die wir heute als dick bezeichnen würden. Wer Speck auf den Rippen hatte, dem sagte man Wohlstand nach. Und die Versinnbildlichung von Wohlstand galt als erstrebenswert und somit schön.

Wenn wir also einerseits kurvenreiche Victoria-Secret-Engel anhimmeln, warum empfinden wir andererseits auch androgyne Körper wie den von Kate Moss schön? Das Millionen schwere Topmodel hat dazu weder fülliges Haar, noch ist sie in Sachen Oberweite üppig bestückt. Dennoch, Kate Moss war eines der gefragtesten Models der Welt. Mehr noch: Kate entsprach in den 90er sogar dem herrschenden Schönheitsideal:  knochenhervorstechend dünn, blass und müder Blick. Nicht wenige nannten den damaligen Look zynisch Heroin-Chic.

Schönheitsideale im Wandel der Zeit

Ob Rubensfrau oder Twiggy, Pamela Anderson oder Grace Kelly: Jedes Jahrzehnt hat sein Schönheitsideal, nach dem die Menschen streben. Entsprechen dem heutigen Zeitgeist gilt in Europa und in den USA als schön, wer einen fitten, gesunden Körper mit jugendlichem und leicht gebräunten Teint hat, der Vitalität, aber auch Disziplin suggeriert.

In den Schönheitsidealen spiegeln sich immer Sehnsüchte, die der Zeit entsprechen. Vor allem in den USA und immer mehr in Europa wollen wir uns mit der Vergänglichkeit der Jugend nicht mehr abfinden. Wer mit 40 nicht aussieht wie 30, ist selber Schuld. Im wirtschaftlich immer erfolgreicheren und kapitalistischeren Asien lässt sich beobachten, dass sich junge Frauen mehr und mehr westlichen Schönheitsidealen anpassen. Die Haare sollen nicht mehr schwarz sein, die Mandelaugen rund werden und die Beine länger. Nur was den Teint angeht, liebt es Asien nach wie vor möglichst blass.

Denn wer braun ist, arbeitet wahrscheinlich auf dem Feld, glauben die Asiaten. Wer dagegen blass ist, sitzt im Büro und ist wohlhabend. Ein Schönheitsideal, dass sich auch in Europa lange hielt und in Asien derzeit groteske und gefährliche Züge annimmt. Damit die Haut möglichst blass aussieht, greift man zu Hautcremes, die Bleichmittel enthalten. Dabei wird die natürliche Pigmentierung zerstört, nicht selten enthalten die Bleichmittel zudem krebserregende Stoffe.

Weniger gefährlich, dafür für westliche Augen ebenso seltsam, mutet der Facekini an, der diesen Sommer vermehrt an chinesischen Stränden gesichtet wurde. Anders als der Bikini, soll der Facekini, der am Gesicht nur wenige Luft- und Sichtlöcher für Augen, Mund und Nase lässt, möglichst keine Haut zeigen, damit man beim Strandbad bloss nicht braun wird. Auch unvorstellbar der Wunsch vieler asiatischer Teenager nach einer Zahnspange. Weil sich nur wenige Familien den Luxus einer Zahnspange für ihre Kinder leisten können, gilt das Blech im Mund als Statussymbol.

Schönheitsideale im Zeitraffer

Renaissance: Schönheit war damals vor allem eine Frage der Hautfarbe. Blass galt als bezaubernd. In figürlicher Hinsicht wiesen Schönheitsideale zwar schlanke Arme und Beine auf, Bauch, Gesäss und Taille durften hingegen durchaus üppig ausfallen.

Barock: Wer jetzt eine Rubensfigur, also einen wohlgenährten, korpulenten Körper, vorweisen konnte, entsprach nicht nur dem Schönheitsideal, sondern setzte damit auch ein Zeichen für Wohlstand und die damit verbundene Möglichkeit, genussbetont und ausschweifend zu leben.

20er Jahre: Als Schönheitsideale galten wohlproportionierte Frauen, deren wichtigstes Attribut in einem kleinen Kopf mit grosse Kulleraugen und einem üppig geschminkten Mund lag. Die Haare wurden Kinnlang getragen und möglichst in Wasserwellen gelegt.

NS-Zeit: Schönheitsideale wurden hier genauestens definiert: Blonde, blauäugige und athletische Menschen galten als schön. Körperbau, Schädelgrösse, Stirn, Wangenknochen und Augenhöhlen sollten keinesfalls markant ausfallen.

50er und 60er Jahre: Ähnlich, aber keinesfalls ebenso extrem wie im Barock, definiert sich das Schönheitsideal nun auch über gemässigte Wohlstandrundungen. Weiblichkeit war angesagt. Traumfrauen wie Grace Kelly oder Sophia Loren verkörperten dieses Ideal.

70er Jahre: Jetzt läutet das britische Model Twiggy die Ära ein. Hager und flachbusig definiert sie neue Massstäbe der Schönheit. Mit ihrem knabenhaften Köper standen Attribute wie Dynamik und Aktionismus im Zusammenhang.

Doch wir Europäerinnen streben nicht viel weniger nach Schönheit als unsere Nachbarn auf der ganzen Welt. Und dieses Streben nach Schönheit scheint sogar recht erfolgreich zu verlaufen. Jedenfalls, wenn man den Ergebnissen der Studie «Real Truth about Beauty – A Global Report» des Kosmetikherstellers Dove von 2012 glaubt, die unter Anleitung fachkundiger Experten und Psychologen statt gefunden haben soll.

Spieglein, Spieglein....Unsere verzerrte Selbstwahrnehmung

Laut Dove-Studie empfindet nämlich die Mehrzahl der Frauen ihre Geschlechtsgenossinnnen als schön. 80 Prozent aller befragten Frauen, befanden, dass jede Frau auf ihre Art schön sei. Klingt toll, hat aber einen Haken. Denn die Studie ergab ausserdem, dass lediglich ein einziges Prozent der europäischen Frauen ihr eigenes Aussehen als ideal einstufen würde. Die meisten Frauen finden sich selbst nicht schön genug, an fremden Frauen finden Sie hingegen fast immer etwas Schönes. Moderne Frauenlogik und Frauenproblem: die Wahrnehmung der eigenen Attraktivität hängt eng mit dem Selbstwertgefühl zusammen.

Im weltweiten Vergleich zeigt sich zudem, dass wir Europäerinnen einsame Spitze sind in Sachen Selbstkritik. Im globalen Durchschnitt beurteilen sich immerhin vier Prozent aller Frauen selbst als hübsch. Auf Platz eins bis drei befinden sich Saudi-Arabien, Brasilien und die Türkei. Hier bewerten zwischen 16 und 13 Prozent der Frauen ihr Aussehen als schön. Geht doch! Es gibt es also Länder, in denen sich Frauen auch selbst als hübsch bezeichnen – wenn auch wenige.

Ein generell negativer Umgang mit dem eigenen Äusseren scheint bei allen Frauen der Welt tief verwurzelt zu sein, ebenso wie das Bestreben, dem gesellschaftlichen Schönheitsideal möglichst nahe zu kommen. Die österreichische Diplom-Psychologin Monika Matschnig erklärt, wie es zu solchen (wenn auch minimalen) regionalen Unterschieden der weiblichen Selbsteinschätzung kommen kann: Die Ursachen seien sowohl im psychologischen, gesellschaftlichen als auch im kulturellen Bereich zu suchen, vermutet sie.

«Beispielsweise leben Frauen in Saudi-Arabien und in der Türkei in traditionellen Kulturen. Sie haben hier eine fest definierte Stellung im Familiengefüge, meist sind sie Hausfrauen und Mütter. Im Kopf hat sich dadurch ein Bild der normalen Frau verankert, das sich aus Sicht der Frauen auch erfüllen lässt.» Dadurch hätten muslimische Frauen tendenziell ein positiveres Körperbewusstsein. In der Kultur der westeuropäischen Frauen gelte es hingegen als arrogant, selbstbewusst mit der eigenen Schönheit umzugehen, sagt Matschning.

Frauen, deren Schönheitsideale näher an der Lebenswirklichkeit sind, haben demnach ein höheres Schönheitsempfinden und Wertschätzung gegenüber sich selbst. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Ideal kurvig oder glatt ist. Geschenkt. Denn die Krux ist, dass wir in der westlichen Welt offenbar nie ganze zufrieden sind. Apfelpo, doch die Brüste sind zu klein. Porzellan-Teint, aber Schlupflider. Waschbrettbauch, Zahnpastalächeln, aber breite Hüften. Und je weiter die gesellschaftliche Entwicklung voranschreitet, desto mehr scheint Schönheit machbar. Was nicht passt, wir passend gemacht. Ernährungsberater, Personal Trainer, Stylistin, Visagistin und der Beauty-Doc tun ihr eigenes, dass wir das auch weiterhin glauben.

Die Seele kann man man nicht schön operieren

Dabei empfinden wir es meist als harmlos, wenn nur wenig gegessen, dafür viel trainiert und Vermögen für Haarverlängerungen, Designerschuhe und Chanel-Makeup gemacht werden. Öffentlich verpönt ist nur noch die Schönheitschirurgie. Denn immer schön sein zu müssen, kostet zwar unglaublich viel Geld, Zeit und Disziplin, aber das soll Bitteschön keiner merken. Spindeldürre Models sollen vor der Kamera sagen, dass sie unheimlich gern Schokolade naschen. Popsängerinnen berichten von wundersam gewachsenen Brüsten. Und Ananas bügelt die Falten glatt.

Dabei zeigt sich, die Zahl der Schönheitsoperationen hat sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Und sie wird wohl weiter wachsen. Die Psychologin Ada Borkenhagen, die die Folgen der Ästhetischen Chirurgie erforscht, glaubt, dass es in 20 Jahren kaum mehr eine Frau mittleren Alters finden wird, die keinen Eingriff hatte. «Sich operieren zu lassen wird in ein paar Jahren so normal sein, wie zum Friseur zu gehen».

Zufriedenheit: Das wahre Schönheitsideal

Dabei gab sogar der bekannte Schönheitschirurg Mang gegenüber der ZEIT zu, der seinen Reichtum auf diesem Schönheitswahn gründet, dass man die Seele mit einer Operation nicht heilen könne. Wer mit kleinen Brüsten kein Selbstbewusstsein hat, wird vermutlich auch mit grösseren Brüsten langfristig nicht mit sich selbst glücklich. Denn wer sich immer nur durch die Lupe betrachtet und mit anderen scheinbar perfekten Körpern vergleicht, wird immer einen neuen Makel finden.

Die besondere Tragik, der Menschen, die sich für ein Schönheitsideal quälen, liegt darin begründet, dass wir knochige Körper, getunte Lippen oder geliftete Gesichter in nur wenigen Fällen wirklich schöner finden. Vielmehr offenbart sich von Operation zu Operation immer mehr das Artifizielle, das nicht wirklich zu uns zu gehören zu scheint. Doch die betroffenen Patientinnen haben längst jedes Gefühl für fremde Wahrnehmungen verloren.

In vielen Fällen ist es deshalb besser, eine Therapie zu machen, anstatt sich mithilfe riskanter und schmerzhafter Operationen in eine Person verwandeln zu lassen, die man nicht ist. Denn unser grosser Fehler dabei ist,Glück mit Schönheit zu verwechseln. Und anstatt von den traurigen Schicksalen vieler Schönheitsikonen zu lernen, wie Marylin Monroe oder Romy Schneider, erzählen wir heute schon kleinen Mädchen, dass Model der Traumberuf schlechthin sei. Mit Erfolg: Laut einer Studie des Internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehens möchte jedes zweite Mädchen zwischen 12 – 21 Jahren, das Heidi Klums Model-Castingshow GNTM verfolgt, auch Model werden.

Ganze Generationen werden dazu getrimmt, in möglichst engen Hosen auf möglichst hohen Schuhen zu laufen. Der Look und die Posen sind wichtig und dass alles Fleisch fest am Bauch, Bein und Po sitzt. Natürlich sind es auch alles «schöne Mädchen», sie müssen nur hart an sich arbeiten, hört man die Modelmutter Klum immer wieder sagen. Wie zufällig, zäh und kurzlebig das Modelleben sein kann, wird dagegen selten gezeigt. Hauptsache man ist schön und wer schön sein will, soll leiden.

Back to Basics

Ob wir einen Menschen attraktiv finden, hat dabei aber eher selten allein etwas mit den bekannten Idealen zu tun. Auch nichts mit der Länge der Haare oder der Kürze des Rocks. Aber dafür umso mehr mit der Breite des Lächelns. Und mit der Grösse des Herzens. Ob wir jemand mögen oder nicht, hängt davon ab, was er an innerer Schönheit ausstrahlt. Denn wirklichen Schönheitsattribute sind irgendwie unangestrengt. Sie haben nichts mit Leiden, Schuften oder Perfektion zu tun. Sondern mit Authentizität. Und vor allem Zufriedenheit. Schön ist damit vor allem, wer sich wohl fühlt in seiner Haut und in seinem Leben.

Das bestätigt auch die Dove-Studie. 7 von 10 Frauen fühlen sich zufolge der Studie schöner, wenn sie glücklich sind und ein erfülltes Leben haben. Eine gute körperliche Verfassung, das Gefühl geliebt zu werden und Dinge zu tun, die man mag, sind für rund 77 Prozent der Befragten ausschlaggebend, um sich attraktiv zu fühlen. Das persönliche Schönheitsempfinden geht sogar noch weiter nach oben, wenn Frauen Zeit mit Freunden oder der Familie verbringen, eine harmonische Beziehung führen und finanzielle Sicherheit haben. Mit anderen Worten, Schönheit ist keine Garantie für Glück, aber wer sich glücklich fühlt, fühlt sich meistens auch schön.

Titelfoto: George (CC BY-NC-SA) via Flickr 

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