Der erste MannWie die Vater-Tochter-Beziehung unser Leben bestimmt

Jules Vater glänzte durch Abwesenheit, während ihr Vater da war. Jule ist unglaublich erfolgreich, aber immer wieder allein, während sie am liebsten zu dritt wär. Unsere Redakteurin blickt zurück in die Kindheit und fragt, wie sehr bestimmt die Vater-Tochter-Beziehung unser Leben?

Ein kleines Mädchen lehnt sich an die Schulter ihres Vaters.

Jule hatte schon immer Pech mit Männern. Meine beste Freundin hatte in unserer Teenagerzeit zwar schon lange vor mir mit Jungs zu tun, bekam mehr Dates und mehr Bestätigung, fand aber niemals einen Mann, der es wirklich ernst meinte.

Ich war eher die Sorte Spätzünder. Ich hatte erst spät einen Freund, mit dem sich dann aber eine Beziehung über Jahre entwickelte.

Heute ist Jule eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit eigener Agentur. Einen festen Partner hat sie nicht, stattdessen oft wechselnde Bekanntschaften. Ich hingegen lebe in einer festen Bindung, liebe meinen Beruf, rücke ihn aber nicht den Mittelpunkt meines Lebens, sondern sehne mich nach einem klassischen Familienleben

Die Schieflage unserer beider Leben schoss mir in den Kopf, als ich mich mit verschiedenen Studien zum Thema Vater-Tochter-Beziehung auseinander setzte. Diese sagen einstimmig, der Vater prägt unsere Beziehungsmuster sehr viel stärker, als wir wahrnehmen. Zumindest ist nicht Mama immer an allem Schuld.

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Warum das so ist und warum es in den seltesten Fällen gelingt und warum wir nie so werden wollen wie unsere Mütter.

Papa: Der erste und wichtigste Mann

Vater-Tochter-Beziehungen sind ebenso wie Mutter-Sohn-Beziehungen, gerade wegen ihrer Gegengeschlechtlichkeit besonders wichtig. Wenn Mädchen ihre eigenen Identität zu finden versuchen, aber auch den Umgang mit dem anderen Geschlecht zu erlernen, ist es eben nicht nur wichtig, dass das gleichgeschlechtliche Rollenvorbild – also Mama- als Orientierung dient, sondern gerade Papa - als das andere Geschlecht - nimmt eine wichtige Vorbild- und Orientierungsrolle ein.

Die Beziehung zum Vater ist die erste und damit prägendste Verbindung zu einem Mann, die wir als Mädchen erleben. Was in dieser Vater-Tochter-Beziehung stattfindet, stellt die Weichen für das zukünftige Selbstverständnis als Frau. Das gilt für die Partnerschaft wie für den Beruf. Psychologen sind sich einig - es sind diese drei: Bestätigung, Anerkennung und Respekt durch den Vaters, den die Tochter braucht, um sich zu einer starken, selbstbewussten und erfolgreichen Frau zu entwickeln.

Jedes Mädchen sucht instinktiv nach väterliche Zuwendung: es will vom Vater bewundert und anerkannt werden. Fehlt es, entsteht nicht nur in dem kleinen Mädchen, sondern auch in der künftigen Frau eine Unsicherheit, die sie auch weiterhin im Leben nach der gewünschten männlichen Bestätigung suchen lässt.

Stolzer Vater, stolze Tochter

Die Suche nach der Bestätigung und Wertschätzung der eigenen Persönlichkeit, die idealerweise in der Vater-Tochter-Bindung stattfinden sollte, wird ins heranwachsenden Alter verlagert. Was Papa nicht gegeben und bestätigt hat, sollen nun andere Männer bzw. Jungs übernehmen.

Frühe intime Kontakte sind dabei ein Weg, den Mädchen mit einer schwachen Vater-Tochter-Beziehung wählen, um Anerkennung und damit eine Aufwertung der eigenen Persönlichkeit als Frau zu ergattern. Auch typische jugendliche Dummheiten können dieser Suche geschuldet sein.

Die Zugehörigkeit zu einer coolen Clique, Drogen oder Mutproben zu bestehen ist es, was das Selbstbewusstsein der jungen Mädchen stärkt, die nicht von zuhause aus die Wertigkeit erfahren, die sie für die Entwicklung eines sicheren Selbstwertgefühls brauchen. Mädchen mit einer intensiven, liebevollen Vater-Tochter-Bindung nehmen seltener an solchen Bestätigungsritualen teil. Sie tragen eine Gewissheit in sich, die sie vor der Bestätigungssuche in zweifelhaften Umfeldern resistent macht.

Familie verlassen: Aufgewachsen ohne Vater

Tatsächlich kann ich mich erinnern, dass Jule immer die coolere von uns beiden war. Sie hatte Kontakt zu den Älteren aus der Schule, rauchte auf dem Pausenhof und kam gut bei Jungs an. Während ich selbst eine gut behütete und viel umsorgte Vater-Tochter-Beziehung erlebt habe und bis heute nur in den besten Tönen von meinem Vater schwärme, stellt sich die Vater-Tochter-Beziehung meiner besten Freundin gänzlich anders dar.

Ihr Vater hat die Familie verlassen, als sie vier war. Bis heute ist ihr Verhältnis zum Vater problematisch. Heute sind wir aber keine Mädchen mehr, sondern Frauen. Dass die Vater-Tochter-Bindung dennoch noch immer eine grosse Auswirkung auf unser Leben hat, können wir beide nicht leugnen.

Töchter-Typen: Welcher Typ sind Sie?

Psychologen sehen das ähnlich. Sie behaupten, unsere Beziehungsfähigkeit ist Produkt der Beziehung zu unseren Vätern. Dabei gelte: Je besser die Vater-Tochter-Bindung, desto seltener lassen sich erwachsene Frauen auf männlichen Missbrauch – emotional oder körperlich - ein. Die Schweizer Autorin, Psychotherapeutin und Psychologin Julia Onken konkretisiert diese These: Sie behauptet, drei Typen von Frauen ausmachen zu können, durch ihre ihrerseits typischen Vater-Tochter-Beziehungen geprägt sind.

Zum einen gäbe es die so genannten Leistungstöchter. Das sind jene, die als Kind gelernt haben, immer dann Aufmerksamkeit und Bestätigung des Vaters zu bekommen, wenn sie gute Leistungen erbracht haben. Dieses Denken währt bis ins hohe Alter. Leistungstöchter haben meist gute Jobs, sind eigenständig, dafür aber emotional oft ein wenig kühl. In ihren Beziehungen wird dieser letzte Punkt in der Regel zum Problem.

Die Gefall-Töchter gehen hingegen nach einem anderen Schema vor: Sie haben durch tolles Aussehen, braves, angepasstes Verhalten und den Einsatz weiblicher Reize gelernt, den Vater für sich zu gewinnen. Heute sind daraus typische Verführer-Frauen geworden, die (manchmal in übertreibender oder gar krankhafter Weise) körperbewusst leben, den Mann und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen und sich selbst und ihre Wünsche dabei oft vergessen.

Letztlich gäbe es noch die Trotz-Töchter. Sie haben durch Rebellion väterliches Gehör bekommen. Bis heute sind sie auf einen Kampf aus, wirken stark, geben Widerworte und machen aus ihrer Liebesbeziehung damit nicht selten einen Schauplatz von Machtkämpfen.

Gemein ist all diesen Töchter-Typen, dass sie ihr Leben nicht um sich selbst, sondern um Stellvertreter ihres Vaters kreisen lassen, die ihnen endlich die gewünschte Bestätigung und damit ein stolzes, sicheres Spiegelbild ihres Selbst geben sollen.

Vaterkomplex: Wer hat ihn nicht?

Bei meiner beruflich erfolgreichen, aber in Liebesangelegenheiten recht unglücklichen Freundin Jule vermute ich, dass sie in einer Mischform aus Gefall- und Leistungs-Tochter lebt. Sie denkt ähnlich und ärgert sich, dass ihr Vater-Komplex auch als erwachsene Frau noch immer ihr Leben bestimmt.

Und was ist mit mir? Ich finde mich zwar in keinem dieser Töchter-Typen wirklich wieder, kann mich aber dennoch nicht gänzlich von einem Vaterkomplex freisprechen. Meine intensive Vater-Tochter-Bindung hat mich sicher in meinem Selbstbewusstsein Männern gegenüber gestärkt, allerdings auch geprägt. Als Vater-Tochter habe ich meinen Super-Papa lange Zeit auf einen Sockel gehoben, an den kaum ein anderer Mann heran kam. Meine Ansprüche waren hoch – schliesslich wurde ich als Vatertochter gelehrt, nur das Beste zu verdienen.

Zum Glück habe ich das heute auch gefunden – allerdings nicht ohne mich zuvor mit meiner Vater-Tochter-Beziehung ernsthaft auseinander gesetzt zu haben.

Abnabelung ist das Stichwort. Mein Vater hat mich gestärkt, aber nun ist es Zeit für einen neuen Mann, der eine eigene Persönlichkeit, eine eigene Beziehung zu mir und eben auch eine ganz eigene Chance verdient hat. Und, der vielleicht selbst eines Tages Vater wird.

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Neue Väter, neue Chancen

Und genau dann wird das Thema Vater-Tochter-Beziehung wieder interessant. Denn auch wenn einige Vater früher Generationen Fehler gemacht haben sollten oder andere Väter es mit der Vater-Tochter-Beziehung besonders gut gemeint haben, zählt doch heute vor allem eines: Nämlich, dass wir als Generation gelernt haben, wie wichtig der Mann in der Familie ist.

Und zwar nicht nur als liebevoller und anerkennender Vater, sondern auch als ebensolcher Partner für die Mutter. Am Ende ist eine gute Erziehung nämlich nicht allein die Aufgabe des Mannes oder der Frau, sondern eine Familienangelegenheit.

Bild: iStock

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