Wake Up?! 17 % der Schweizer denken, Frauen sagen Nein und meinen Ja
Eine Umfrage zum Thema «Wahrnehmung sexueller Beziehungen und Gewalt in der Schweiz» zeigt, dass problematische und sexistische Rollenbilder noch immer in den Köpfen der Bevölkerung verankert sind. Für non binäre Personen und Frauen ist das ein Problem. Woran das liegt und was geändert werden muss.

Die Studie des GfS Bern in Zusammenarbeit mit Amnesty International untersuchte, wie Frauen und Männer sexuelle Gewalt in der Schweiz wahrnehmen. An der repräsentativen Online-Umfrage nahmen 1012 Personen teil. Ziel war es, die generelle Problemwahrnehmung in Bezug auf sexuelle Gewalt abzubilden.
Triggerwarnung: Der folgende Text befasst sich mit dem Thema sexuelle Gewalt.
Consent ist scheinbar nicht das Wichtigste in einer Beziehung
Wenn es um Liebe geht, sind die meisten Schweizer und Schweizerinnen sich einig, dass Gegenseitigkeit, Gleichberechtigung und Liebe wichtiger sind, als die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. 68 % der Befragten finden gegenseitige Wertschätzung Respekt und Vertrauen am Wichtigsten. Auf sexuelle Befriedigung wird weniger Wert gesetzt. Dass Sex nur einvernehmlich stattfindet, ist für 35 % der Befragten ein zentraler Bestandteil des Liebesspiels.
20 % aller Teilnehmenden wollen, dass ihr Partner oder ihre Partnerin sexuell befriedigt ist. Selbst auf seine Kosten zu kommen ist allerdings nur 9 % von Bedeutung.
Dominanz ist männlich und Frauen meinen eigentlich Ja
Auch sexistische Rollenbilder treffen auf Zustimmung. 37% der befragten Männer in der Schweiz schätzen aufreizende Kleidung und Flirten als Einwilligung zum Sex ein. 23 % der Befragten denken, dass männliche Sexualität von Natur aus impulsiv und unkontrollierbar ist. Ebenfalls 23 % finden, dass Dominanz männlich und attraktiv ist. Noch problematischer: 17 % der Bevölkerung denken, Frauen meinen oft ja, wenn sie nein sagen. 12 % sind der Auffassung, Frauen wollen, dass man hartnäckig ist und sagt, wo es lang geht.
Eine schwer verdauliche Wahrheit, vor allem, vor allem für Opfer von sexualisierter Gewalt. Solche Auffassungen sind der Grund, weshalb Frauen sich oft nicht sicher fühlen, wenn sie alleine unterwegs sind. Warum Frauen ständig so tun müssen, als wären sie vergeben. Oder dass Frauen lieber die Party verlassen, als weiterhin einem aufdringlichen Typen zu erklären, warum sie gerade einfach nicht mit ihm Tanzen wollen.
Sind die Medien schuld?
Der Grund für eine solche Meinung kann unter anderem die Aufklärung und Wissensherkunft sein. Die meisten erhalten ihr Wissen über Sexualität und Partnerschaft aus eigener Erfahrung und durch Beobachtungen. Von Pornos lernen 32 % der Männer und 12 % der Frauen sexuelle Praktiken. Literatur, Dokumentarfilme und Spielfilme machen einen Grossteil der Bildung aus. Daraus könnte man schliessen, dass die Darstellung von sexuellen Beziehungen und Liebe zum Teil auch die sexistischen Rollenbilder aufrecht erhält.
Wie nehmen Schweizerinnen und Schweizer die Gefahr vor sexuellen Übergriffen wahr?
Frauen nehmen die Gefahr sexueller Übergriffe deutlich stärker wahr als Männer. Auch hat sich gezeigt, dass Personen in der Stadt die Wahrscheinlichkeiten von sexueller Gewalt höher einstufen als Personen vom Land. 2 % der Männer fühlen sich persönlich besonders gefährdet, sexuelle Gewalt zu erfahren. Bei Frauen sind es schon 18 %. Nicht binäre Menschen fühlen sich mit 69 % besonders gefährdet.
Wie kommt es zu der Wahrnehmung von sexueller Gewalt?
3 % der Befragten schätzen die Gefahr so ein, weil sie persönlich sexuelle Übergriffe erlebt haben. Diese Erfahrungen gehen von unangemessenen Berührungen bis hin zu Vergewaltigungen. Die meisten Einwohner und Einwohnerinnen (49 %) schätzen die Gefahr so ein, weil sie Personen kennen, die solche Erfahrungen gemacht haben oder weil es ihnen jemand erzählt hat. 10 % der Befragten haben schon einmal mitbekommen, dass jemand fälschlicherweise einer sexuellen Straftat beschuldigt wurde. 3 % geben an, jemand hat ihnen erzählt, eine sexuelle Straftat begangen zu haben.
Während Frauen in 84 % der Fälle davon sprechen, Opfer einer Straftat geworden zu sein, erzählen 84 % der Männer, dass sie fälschlicherweise beschuldigt wurden. Es lässt sich also festhalten, dass Frauen eher Angst vor sexuellen Übergriffen haben, während Männer eher Angst haben, zu Unrecht beschuldigt zu werden.
«Nur Ja heisst Ja» oder «Nein heisst Nein»?
Der Vergewaltigungsbegriff wird im Sexualstrafrecht der Schweiz angepasst. Aktuell gilt das Nötigungsprinzip. Sprich, wenn eine Person die andere zum Sex zwingt und diese beispielsweise bedroht oder Gewalt anwendet, handelt es sich um eine Vergewaltigung. Um Opfer von sexualisierter Gewalt besser zu schützen, soll dies angepasst werden.
Dafür gibt es zwei Vorschläge: Die Ablehnungslösung oder auch «Nein-heisst-Nein»-Lösung erhält 27 % laut Umfrage befürwortende Stimmen. Das würde bedeuten, dass der sexuelle Übergriff dann strafbar ist, wenn das Opfer «Nein» zum Beischlaf gesagt hat und ignoriert wurde. Eine weiter Option ist die Zustimmungslösung. Das bedeutet, dass beide Parteien dem Sex verbal oder non-verbal zugestimmt haben müssen. Sonst ist die Tat als Vergewaltigung strafbar. Die Zustimmungslösung wird von 45 % der Befragten unterstützt.
Übrigens kann laut Sexualstrafrecht in der Schweiz nur eine Frau von einem Mann vergewaltigt werden. Dies soll ebenfalls angepasst werden. Mehr dazu.