Bist du eine HSP?Hochsensibilität: Wenn die Welt auf dich einprasselt

Strassenlärm macht ihnen Kopfweh. Grelles Licht auch. Am liebsten ziehen sie sich allein zu Hause zurück. Dabei sind sie bei ihren Mitmenschen extrem beliebt; weil sie extrem empathisch sind. Hochsensible Menschen sind eben etwas ganz Besonderes.

Wir sprechen über die Merkmale und Herausforderungen von Hochsensibilität.

Hochsensibilität ist ein umgangssprachlicher Begriff für ein Temperamentsmerkmal, nach welchem betroffene Personen übermässig stark auf Sinnesreize reagieren. Eine hochsensible Person (kurz HSP) nimmt ihre Umwelt deutlich extremer wahr als andere. Hochsensible können mit dieser Besonderheit schöne Erfahrungen machen: Beispielsweise erleben sie einen Waldspaziergang viel intensiver als andere. Sie riechen das Moos, Holz und alle anderen Aromen; hören jeden Vogel zwitschern und werden von den Sonnenstrahlen manchmal sogar geblendet. Auf der anderen Seite können solch intensive Erfahrungen  auch echten Stress bedeuten. Zum Beispiel, wenn der Strassenverkehr so stark wahrgenommen wird, dass der Kopf weh tut. Oder die leichte Kritik vom Chef zu anhaltenden Selbstzweifeln führt. Oder die Enge in der Bahn Schwindelgefühle verursacht. 

Was ist Hochsensibilität?

Hochsensibilität ist nur schwer eingrenzbar, da sie sich in einer enormen Vielfalt von Symptomen äussern kann. So können sämtliche äussere Reize von den Betroffenen besonders intensiv wahrgenommen werden. Und zwar nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf emotionaler Ebene. Gerüche, Geräusche, Temperaturen, aber auch Pollenflug, Licht oder Smog, ebenso wie Stimmungen, Emotionen oder Angst, spürt eine HSP deutlich früher und intensiver als andere. Ausserdem haben hochsensible Menschen das, was man einen sechsten Sinn nennen kann; Sie haben eine besondere Intuition und spüren nicht nur die eigenen Gefühle, sondern auch die anderer Menschen besonders intensiv.

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Populär wurde das Phänomen durch ein Buch (The Highly Sensitive Person) der amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron. Obwohl sich immer mehr Menschen von Arons Beschreibungen angesprochen fühlen, ist Hochsensibilität in der Medizin bis heute weder anerkannt, noch ausgiebig erforscht. Zwar wird vermutet, dass sich der Ursprung in einer Störung der Neurotransmitter im Gehirn finden könnte, handfeste Fakten gibt es hierzu jedoch noch nicht. Hochsensibilität ist daher offiziell keine Krankheit. Aber deshalb nicht weniger existent. Forscher, die sich mit dem Thema beschäftigen, schätzen sogar, dass rund 20 Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind. Da es an einer konkreten Abgrenzung und Definition fehlt, fällt die Diagnose aber oft schwer. Fest steht im Grunde nur, dass ein Hochsensibler eine sehr niedrige sensorische Reizschwelle hat und damit stark und schnell auf verschiedene Reize reagiert. Erwachsene und Kinder können gleichermassen betroffen sein – genaue Fallzahlen liefert die Wissenschaft aber auch hierzu nicht.

Wie lebt man als HSP?

Die meisten wissen, wenn sie extrem auf ihre Umwelt reagieren. Dennoch fehlt es oft an der konkreten Einordnung der starken Reaktionen. Leider ist das nicht immer einfach: Die Diagnose für «Hochsensibel» ist aufgrund ihrer Komplexität sehr schwer. Elaine N. Aron hat in ihrem Buch zwar einen Fragenkatalog veröffentlicht, nach welchem eine Einordnung erfolgen können soll. In der Wissenschaft ist dieser Fragebogen aber umstritten. Er sei zu wenig detailliert und lasse keine exakte Abgrenzung zu einer Angststörung, Depression oder anderen psychischen Erkrankungen zu. Eine HSP sollte sich bei der Einordnung ihrer extremen Sinneswahrnehmungen also vor allem auf sich selbst verlassen. Das ist übrigens auch das, was solche Menschen besonders gut können: Sich selbst spüren.

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Hochsensible erkennen schnell und genau, wenn ihnen die Umwelt zu viel wird. Meist kennen sie die persönlichen Herausforderungen des Alltags ganz genau. Die Schwierigkeit für viele Betroffene besteht jedoch darin, einen Ausweg aus der Reizüberflutung und dem Stress zu finden. Was tun, wenn man den nächsten Zug bekommen muss, die Hektik des Bahnhofs aber so stark auf einen einprasselt, dass einem kalter Schweiss auf der Stirn steht? Oder was soll man tun, wenn man sich im Gespräch mit dem Chef übergeben muss, weil man sein Parfümgeruch nicht ertragen kann? Genau solche Situationen sind die Zwickmühlen des Alltags. Eine HSP wüsste eigentlich, was ihr jetzt gut täte; doch das ist leider nicht immer möglich: Eine Pause von der Reizüberflutung. Ein Moment des Rückzugs. Ruhe. Vielleicht eine Tasse Tee. Ein Spaziergang. Jeder löst es anders.

Wer kann bei Hochsensibilität helfen?

Die Forschung ist auf dem Gebiet noch recht jung. Leider gibt es daher auch noch nicht viele Experten, die sich mit dem Phänomen beschäftigen oder den Betroffenen sogar Hilfe anbieten können. Zwar werben viele Coaches mit Therapien, die bei diesem Thema helfen können. Fakt ist aber: Die Abgrenzung von Hochsensibilität zu einer allgemein gesteigerten Nervosität, einer Depression, Angststörung oder Ähnlichem erfordert fundiertes, psychologisches Wissen. Insofern sollte der Ansprechpartner mit Bedacht gewählt werden. Psychologen, die sich ausschliesslich mit Angst-Thematiken beschäftigen, gelingt in der Regel eine recht gute Abgrenzung. Was aber auch schon helfen kann: Im Internet gibt es Communities von Betroffenen, die sich gegenseitig zuhören, Tipps geben und Erfahrungen austauschen.

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Solche Erfahrungen müssen nicht immer nur belasten. Das Gegenteil kann der Fall sein: Viele Betroffene würden auch keine Pille gegen den verstärkten Zustand nehmen, falls es je eine gäbe. Denn die besondere Wahrnehmungsfähigkeit stattet sie vielmehr mit Gaben aus, die nicht allen Menschen gegeben sind: Sie können sich extrem gut in andere Menschen hineinfühlen, sind aufmerksam und hören genau zu. Sie haben besondere «Antennen» für sämtliche zwischenmenschliche Interaktionen und können diese daher auch besonders gut regulieren, schlichten oder forcieren. Oft haben hochsensible Menschen eine ausgeprägten Sozial-Sinn, was sie zu guten Richtern, Mentoren, Psychologen oder Theologen macht. Auch als Kindergärtner, Lehrer, Krankenschwester, Arzt und natürlich als Eltern, Freund und Kollege haben hochsensible Menschen besondere Stärken. Ihr Feinsinn für Aromen, Farben und deren Wirkung macht sie ausserdem zu tollen Künstlern. Und überhaupt: Hochsensible Menschen finden sich oft besser in der Welt zurecht als viele andere. Voraussetzung ist lediglich, dass sie ihre Besonderheit kennen, verstehen und akzeptieren.

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Bilder: unsplash

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