Holzmarkt25 in Berlin Zwischen Techno-Beats und Wein-Sprudel: Wenn Berliner Freigeist auf Schweizer Vision trifft

Direkt an der Spree, zwischen Hochglanzbauten und Investmentträumen, trotzt der Holzmarkt25 aller Normen. Bäckerei, Club, Kita – das Gelände ist ein wilder Mix aus Kollektivträumen, Kulturraum und Alltag. Zwei Männer aus dem Oberaargau haben diesen Ort mitgegründet – und erfinden ihn Tag für Tag neu.

Der Holzmarkt25 in Berlin
Hier an der Holzmarktstrasse 25 eröffnet sich eine kreative Oase in Mitten Berlins. © Vanessa Gygax

Bunt bemalte Fassaden und improvisierte Baukonstruktionen durchbrechen die moderne Einöde. An der Holzmarktstrasse 25 enden die Hochglanzfassaden des neu aufgebauten Berlins und ein kreatives Chaos geniesst sein Dasein. Zwischen dem ornamentalen Graffiti des Künstlers Isakov und wucherndem Grün wird die ansonsten leere Strasse von jungen Menschen gefüllt. Sie alle stehen geduldig für die Konzertlocation Säälchen an, reden zusammen, rauchen und trinken. An diesem Dienstagabend werden vom grossen grünen Musikstream-Dienst Newcomer:innen aus der Pop-Szene vorgestellt – dafür stehen die Berliner:innen gerne an.

«Lass doch die Leute rein!» meint ein grosser Mann mit lockerem Karo-Hemd zum strammstehenden Türsteher. Doch dieser will die Plätze für die VIPs freihalten. «Am liebsten würde ich alle reinlassen», meint er. «Das ist schade, dass die draussen warten müssen.» Daniel Beyer ist einer der Geschäftsführer des Genossenschaftsverbunds, rund um den Holzmarkt25 und somit verantwortlich für die Menschenmenge draussen.

Orte zum Leben erwecken war schon immer Daniels Vision. In einer kleinen Stadt im Oberaargau führte er über zehn Jahre lang ein Restaurant und in Mexiko baute er eine Hotelanlage mit auf. 2013 zog es ihn mit Juval Dieziger, auch aus dem Oberaargau, nach Berlin – und ist seither geblieben. Die beiden sind die Initiatoren dieses Freiraums für Kultur. «Es wird nie langweilig, ständig hat man was zu tun», schwärmt Daniel.

Ein kultureller Kosmos an der Spree

Als ich Daniel am frühen Abend auf einen Kaffee beim Holzmarkt25 treffe, unterhält er sich gerade mit der Barista über die Einsatzpläne und die feierabendliche Stimmung. Wir setzen uns nach Draussen auf eine Schaukel im Schatten. Über uns befinden sich die Musik-Studios der Schweizer Musiker:innen Sophie Hunger, Tobias Jundt von Bonaparte, Acid Pauli und vielen weiteren Grössen der Szene. Die Kunstschaffenden schätzen das bunte Treiben des Ortes. Hier könne man hinkommen, einen Kaffee holen und vom Balkon vor dem Studio aus dem kulturellen Kosmos unten zuschauen. «Das ist sehr stimulierend. Berlin ist eine Weltstadt, die viel zu bieten hat», erklärt Daniel die vielen Schweizer Musikschaffenden in der deutschen Hauptstadt.

Die Ateliers am Holzmarkt25 in Berlin.
Ateliers, Soundstudio und Café befinden sich gleich nebeneinander. © Vanessa Gygax

An der Weinbar nebenan steht eine junge Frau mit Radlerhosen und beigem Shirt an. «Do you have any snacks?», fragt sie mit italienischem Akzent. Hier wird sie zwar nicht fündig, aber an vielen anderen Orten, die sich auf dem Areal befinden. Von Polenta-Fries, zu frisch gebackenen Stullen aus der eigenen Bäckerei bis zu veganer Curry-Wurst aus dem Restaurant: Kulinarisch lässt der Holzmarkt25 keine Wünsche offen. Vor der grossen Bar in der Mitte des begrünten Platzes steht ein Mann mit schwarzem Anzug, Lackschuhen und weissem Hemd an. Auch seine Begleiterin ist chic gekleidet. Die beiden schauen sich um, bestellen sich ein grosses Bier und setzen sich an die Spree in die Sonne.

Diese bunte Durchmischung an Leuten ist faszinierend. Daniel beobachtet, dass die Gäste sich in den über 13 Jahren, die er schon hier ist, verändert haben. «Die neue Generation hat einen anderen, sensibleren Umgang miteinander und fordert Political Correctness.» Fair, inklusiv und bewusst im Umgang mit sich und anderen. Heute werde weniger mit Drogen experimentiert, dafür mehr mit der Körperwahrnehmung. Weil sich gesellschaftliche Bedürfnisse wandeln – hin zu mehr Achtsamkeit, Inklusion und körperlicher Selbstwahrnehmung – verändert sich auch, was urbane Räume leisten sollen. Der Holzmarkt25 versteht sich dabei als lebendiger Organismus, der auf neue Strömungen reagiert. «Der Holzmarkt25 ist in ständigem Wandel, darum können wir uns gut anpassen», weiss Daniel. So befindet sich seit wenigen Jahren auch das Institut für Körperforschung und sexuelle Kultur auf dem Gelände. Aber auch eine Artistenhalle, die gerade als Boxschule genutzt wird, eine Kita, eine Musikschule, ein Restaurant, eine Weinhandlung und vieles weitere finden auf dem Areal ihren Platz.

Vom Holzmarkt raus in die Welt

Während des Konzerts im Säälchen ist die Stimmung sehr gelassen. Viele sitzen gemütlich am Boden und warten auf den nächsten Act. Auch hier ist die Menge sehr durchmischt: Lockere Hemden zu Jeans, komplett schwarze Outfits, aber auch enganliegende Kleider spiegeln die unterschiedlichen Richtungen der grösstenteils jungen Besuchenden wider. Als Cloudy June auf die Bühne kommt, applaudiert die Menge laut. «Wer von euch kennt mich?» fragt die junge Sängerin das Publikum. Lautes Rufen und Klatschen ertönt. «Ok, dann wisst ihr, was wir jetzt machen.» Sie zeigt eine vermeintlich einfache Choreografie vor und fordert die Menge dazu auf, es ihr nachzumachen. Dem wird freudig nachgekommen – oder zumindest versucht. Denn so einfach ist der Tanz nicht, stellen ein paar jungen Frauen mit lautem Lachen fest.

Daniel sitzt vorne am Bar-Tresen mit einer Flasche Wasser und schaut sich das Konzert an. Es laufen immer wieder Angestellte an ihm vorbei und grüssen freudig. Hier kennen sich alle und man hilft sich gegenseitig aus. «Wenn wir nicht zusammenhalten und auf uns schauen, wie wollen wir dann Leute hier zu uns einladen?» beschreibt Daniel den engen Kontakt untereinander. Dies spüren auch die Besuchenden, die alleine oder mit Freunden hierherkommen, um ihren Alltag für ein paar Momente vergessen zu können.

Vom ausgelassenen Tanzpalast zur ruhigen Oase

Die freudige Partylocation von der Nacht zuvor hat jetzt ihren Modus auf gemütliche Ruhe-Oase umgestellt. Nur ein paar wenige Leute sitzen auf dem Holzsteg an der Spree, um ihren Morgenkaffee zu geniessen. Eine junge Frau lehnt sich an die Treppe. Ihre rosa Birkenstock-Sandalen hat sie auf die Seite gelegt, die Sonnenbrille montiert und den Kopf in Richtung Sonne gewandt. So nah am Fluss zu sein, ist in Berlin eine absolute Seltenheit. Weil der Holzmarkt für die Leute aus dem Quartier gebaut wurde, durften sie so nahe an den Fluss bauen. Doch Leute, die sich eine Abkühlung im Stadtfluss gönnen, sieht man hier nicht. «Man kann hier schon schwimmen, aber es ist nicht so verlockend wie in der Aare» sagt Daniel und schmunzelt. Zu trüb das Wasser, zu wenig Badestellen, zu viel Schiffsverkehr – die Spree ist eben ein Stadtfluss.

Die Spree beim Holzmarkt25 in Berlin.
Hier findet sich immer ein lauschiges Plätzchen an der Spree. © Vanessa Gygax

Ein Rabe, der auf der Weide am Flussufer steht, kräht laut. Er springt auf den Boden, kräht weiter, läuft mit kontrollierendem Blick herum und fliegt dann über die Spree. Dort befinden sich die teuren Neubauten, wie sie auch für das Brachgelände des Holzmarktes vorgesehen waren. Doch die Basler Stiftung Abendrot kam dazwischen: Sie kaufte das Gelände und stellte es den Holzmarkt-Initiatoren für 70 Jahre zur Verfügung – als Raum für Utopien statt Profit. Doch auch auf dem Holzmarkt25 wird gebaut und investiert: Auf dem restlichen Brachland soll ein Gästehaus mit 130 Zimmern entstehen. Die Pläne liegen seit einiger Zeit vor, doch wegen der Inflation verzögert sich das Projekt noch. Auch Grossprojekte und noch im Bau befindende Hochhäuser am anderen Ufer der Spree sind wegen Geldmangel gestoppt worden.

Doch davon lässt sich der Drive auf dem Holzmarkt nicht stoppen: «Man fängt jeden Tag wieder von vorne an – täglich grüsst das Murmeltier, aber immer wieder ein neues», schwärmt Daniel vom nicht ganz alltäglichen Alltag hier. Auf dem 3000 m² Areal kann man schnell den Überblick verlieren. Nicht er: «Ich kenne jedes Brett, jede Schraube». Die Frage auf dem Holzmarkt25 ist nicht, was es gibt, sondern, was in diesem utopischen Dorf (noch) nicht existiert.

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