Lea Sophie CramerDie mit den Vibratoren tanzt

Die Berlinerin Lea-Sophie Cramer verkauft Sexspielzeug mit Stil - und verwandelt damit eine anrüchige Branche in ein Lifestyle-Business. Jetzt will die 27-Jährige mit ihrem Online-Shop Amorelie auch in den Betten der Schweizerinnen landen.

Lifestyle sells - Amorelie-Gründerin Lea Sophie Cramer im Interview

Es ist klein und rund, vielleicht zehn Zentimeter breit. In der Mitte hat es ein Loch und weil es quietschpink und niedlich ist, ist die Neugier gross: «Was ist das?» «Das ist der Donut», sagt Lea Sophie Cramer, die auf einer Party für Journalisten ihren Erotik-Onlineshop in der Schweiz bekannt machen will.

Sie nimmt das Verbindungstück weg und plötzlich sieht der Donut aus wie eine Wurst. Sie umschliesst beiden Enden, in deren Innern zwei Motoren stecken, die die Wurst klopfen und vibrieren lassen.

«Das ist ein Partner-Toy, das kannst du aber auch prima alleine nutzen.» Sie erntet Stirnrunzeln, weshalb Cramer direkt wird: «Damit kannst du zum Beispiel die Klitoris stimulieren und gleichzeitig, äh, anal... Wenn du das so verbiegst, kann jeder Partner ein Ende haben.» Die Klitoris huscht Cramer noch selbstverständlich über die Lippen, beim Wort anal werden die Wangen rosig. Sie macht eine Pause, lächelt und blickt kurz nach unten. Der Moment ist ihr peinlich.

Naivität als Marktvorteil

Das ist bemerkenswert für eine Frau, die zu den vielversprechendsten Köpfen der Erotikbranche zählt. Gegründet hat die damals 26-jährige und ehemalige internationale Vizepräsidentin von Groupon das Berliner Start-up im August 2012, als Shades of Grey gerade die Bestsellerlisten besetzte und Frauen plötzlich vermehrt hochwertige Vibratoren kaufen wollten. Dass die Nachfrage da war, wusste Cramer von ihrem Kollegen Sebastian Pollok. Beide hatten sich gefragt, wo sie selbst Sexspielzeug kaufen würden – und so einen Ort gab es noch nicht.

Als Branchenfremde wollen Cramer und Pollok den traditionellen Erotikmarkt verändern. Herausgekommen ist ein Onlineshop für Sex-Toys, der wie ein Lifestyle-Blog wirkt und vor allem Frauen und Paare anziehen soll. Das ist das Konzept. Denn Cramers und Polloks Geschäftsidee baut darauf auf, dass die traditionelle Erotikbranche Frauen bisher vernachlässigt habe. 55 bis 60 Prozent der Amorelie-Kundschaft sind Frauen, der Rest Männer, die aber meist keine Singles sind. Aus Kundenumfragen weiss Cramer, dass bei Paaren vor allem die Frau darüber entscheidet, was gekauft wird.

Ich musste mich da reinducken, durch den dicken Vorhang, an den Videokabinen und den XXX-Porno-Ecken vorbei.

Nachdem der Start in Deutschland geglückt ist, wollen Cramer und Pollok jetzt die Schweizerinnen erobern. Das soll durch ein Einkaufserlebnis passieren, das Frauen Lust mache. Denn ihre eigenen Erfahrungen in klassischen Sex-Shops beschreibt Cramer als beklemmend: «Ich musste mich da reinducken, durch den dicken Vorhang, an den Videokabinen und den XXX-Porno-Ecken vorbei. Und dann stand ich da und guckte die ganze Zeit, dass die Verkäuferin nicht kommt.» Damit ist Cramer so Mainstream wie die Käuferinnen, die sie mit Amorelie ansprechen will. Denn auch wenn Sex einfach überall sein zu scheint: in der Parfum-Werbung, in Unterhaltungsserien wie Sex and The City oder als Skandalstory im Boulevard - wohl fühlen sich die Wenigsten, wenn sie offen über ihre sexuellen Wünsche sprechen sollen. «Wir glauben daran, dass der Durchschnittskunde vom Angebot überfordert ist, aber auch von der Sexualisierung der Öffentlichkeit.» Frauen seien von der Art abgeschreckt worden, wie Erotikprodukte bislang präsentiert wurden.

Das belegt auch eine Studie von den Wissenschaftlern Tewksbury und McCleary von 2010. Über zwei Jahre haben sie die Ein- und Ausgänge von 33 Sexshops in den USA beobachten lassen, um herauszufinden, wie gross der Anteil der weiblichen Kundschaft ist. Ergebnis: 87 Prozent der Sexshop-Besucher waren Männer, 17 Prozent Frauen. Während Männer überwiegend alleine kamen und Shops mit Videokabinen bevorzugten, waren Frauen meist in Begleitung und vermieden Shops mit Kabinen. Und noch eine Beobachtung war bemerkenswert: Frauen kauften tatsächlich selten Sexspielzeug ein, der Besuch schien viel mehr ein Freizeitvergnügen zu sein.

Lifestyle sells

Dabei lässt sich mit Sexspielzeug auch bei der weiblichen Kundschaft sehr gut verdienen. Das Donut-Partnertoy kostet zum Beispiel 173 Franken. Auch die beliebtesten Produkte auf Amorelie, wie der app-gesteuerte Paarvibrator We-Vibe 4 Plus, der Auflegevibrator Womanizer oder der sportwagenähnliche Masturbator Cubra Libre kosten zwischen 124 und 197 Franken.

Sex Toys sehen immer mehr wie Lifestyle-Produkte aus.

Hätten Sie es erkannt? Bild: PR/Collage Redaktion Femelle

Der Preis ist nicht das wichtigste Kaufkriterium der neuen Sexspielzeug-Kundinnen – und wenn, dann soll er anzeigen, dass man sich ein schönes und hochwertiges Produkt gönnt. Ein ansprechendes Design, hautfreundliches Silikon, eine angenehme Passform und verschieden Vibrationsstufen zählen zu den gefragtesten Eigenschaften beim weiblichem Sexspielzeug. Auch deshalb glaubt Cramer an den Schweizer Markt. «Die Schweizer schätzen Qualität, Design und Ästhetik – und genau solche Produkte vertreiben wir.»

Coole Optik, die im ersten Moment nicht auf ein Sexspielzeug schliessen lässt.

Das Wichtigste, glaubt Cramer, sei es aber die Hemmung vor Sexspielzeugen zu nehmen. «Das hat nichts mit Schmuddel oder Porno zu tun, sondern das sind tolle Lifestyle-Produkte, die dein Liebesleben verbessern». Lifestyle heisst hier vor allem Design. Eine Kundin kommentiert den hippen Auflegevibrator Womanizer so: «Allein die Aufmachung des Womanizers gefällt mir richtig gut. Coole Optik, die im ersten Moment nicht auf ein Sexspielzeug schliessen lässt».

Aber warum ist es für Frauen wichtig, dass man nicht auf den ersten Blick erkennt, dass es sich um Sexspielzeug handelt? Woher kommt die Sehnsucht nach Verkleidung im nacktesten Bereich des Lebens?

Dass Sex Toys aussehen wie Apple-Gadgets oder Kinderspielzeug, ist neu. Die ersten Sex Toys waren der Phallus-Form und dem ursprünglichen Geschlechtsteil nachempfunden. Klassische Vibratoren waren fleischfarben, hatten künstliche, hervorstehende Adern und waren auch ähnlich gross wie ein menschlicher Penis.

«Es geht um Bereicherung, nicht um Ersatz»

«Frauen wollen die Männer nicht ersetzen und das ist auch nicht das Gefühl, dass sie beim Kauf oder der Nutzung haben wollen», sagt Cramer. Die meisten Produkte auf Amorelie seien deshalb Designer-Spielzeuge, die auch ganz anders gebraucht würden als das Original: «Viele Frauen finden es komisch nur ein Geschlechtsteil vor sich zu haben, aber nicht den Menschen dahinter. Zu Sexualität gehört Gefühl und Miteinander, das alles kann ein Sex-Toy nicht imitieren. Es ist ein elektronisches Produkt und soll auch so aussehen.»

Allerdings braucht auch das elektronische Gerät den rosa Zuckerguss, damit Frauen anbeissen. «Zur Sexualität gehört die Möglichkeit sich fallen zu lassen und dafür muss man sich mit den Produkten wohlfühlen. Da ist neben dem Material und der Passform, das ästhetische Aussehen ganz wichtig.», erklärt Cramer.

Kommt nach dem durchgestylten Outfit, dem fitnessgestählten Körper und der perfekt eingerichteten Wohnung jetzt unser Sexleben dran? Cramer sieht das anders: «Wenn man die Wohnung oder sich selber aufhübscht, ist das oftmals für die Aussendarstellung. Sexspielzeug ist dagegen für einen selbst.» Denn auch wenn die Sex-Toys teilweise Design-Awards gewonnen haben, sei es längst nicht so, dass man sie in der Wohnung wie ein Dekostück offen ausstelle.

Ein bisschen Gleichstellung

Dass das weibliche Marketingkonzept so aufgeht, hat viel mit Cramer selbst zu tun. Sie ist, wie ein Branchenmagazin für Firmengründer schrieb «die Frontfrau» von Amorelie. Der gleichberechtigte Mitgründer Sebastian Pollok vetritt die Marke nach aussen nicht. «Das Konzept hätte mit zwei männlichen Gründern nicht funktioniert.» Denn dass die traditionelle Erotikbranche viele Frauen bis heute nicht erreiche, liege an mangelnder Glaubwürdigkeit und Einfühlungsvermögen, glaubt Cramer. «Frauen spüren, wenn etwas nicht authentisch, sondern nur von oben auferlegt ist.» Und Frauen haben auch ein ganz anderes Einkaufsverhalten und ganz andere sexuelle Bedürfnisse als Männer. «Männer haben es grundsätzlich viel einfacher auf ihre Kosten zu kommen, die meisten Frauen haben viel grössere Schwierigkeiten mit dem Orgasmus. Und das haben viele Männer nicht auf dem Schirm, weil sie es niemals erleben werden.»

Meine Eltern waren in der Frauenbewegung aktiv und ich bin dadurch mit einem Selbstbewusstsein aufgewachsen, dass ich nie hinterfragt habe.

Erst durch das starke Medieninteresse an ihrer Person und Anfragen von Frauen-Initiativen, habe Cramer gemerkt, dass sie für viele Frauen ein Vorbild ist und macht es jetzt zum Thema: «In der Gesellschaft ist noch nicht angekommen, dass es völlig normal ist, dass eine Frau ihr eigenes Unternehmen gründet und dass eine Frau das Unternehmen führt.» Und «ein bisschen» hoffe sie, dass sie auch dazu beitragen kann, dass das normal wird.

«Ein bisschen», sagt Cramer oft, wenn es um Schlagworte wie Gleichstellung oder Selbstbestimmung geht. Sie selbst habe dieses Gefühl, dass die Gesellschaft Männer und Frauen unterschiedlich behandelt, nie gehabt. «Meine Eltern waren in der Frauenbewegung aktiv und ich bin dadurch mit einem Selbstbewusstsein aufgewachsen, dass ich nie hinterfragt habe».

Glamour, Sex & Spass

Cramer zählt sich zu den Frauen, die vor radikalen, feministischen Antworten auf gesellschaftliche Fragen eher zurückschrecken. Sie schätzt den Frauengeist von Sex and The City: «Das ist glamourös, das ist natürlich und es macht Spass!».

Auf Spass versteht sich Cramer auch als Chefin. Jeden Montag und Freitag wird im Berliner Firmensitz zur Einstimmung getanzt. Und nicht irgendwas, sondern ein Vibratoren-Tanz. «Ein Kollege hatte erzählt, dass er bei seinem früheren Unternehmen zur Einstimmung tanzen musste - und ich bekam sofort das Leuchten in den Augen.» Beim Lunch scherzten sie, dass man Vibratoren tanzen könne. Und dann kamen die ersten Moves, die verschiedene Funktionen der angebotenen Sex-Toys nachtanzten. Inzwischen bekommt jedes neue Produkt einen Choreografie und die Grafiker machen Illustrationen dazu. «Wir machen laute House-Musik an und dann tanzen 45 Leute. Das bringt Energie in den Laden und nimmt neuen Mitarbeitern die Distanz zum aufgeladenen Thema».

Aber auch das hat Cramer nicht angestrengt geplant, das sei ganz natürlich gekommen.

Bilder: PR/ Collage Redaktion Femelle

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