Seitensprung-AgenturenDas Geschäft mit der Untreue
Online-Dating boomt. Aber nicht so sehr die Suche nach der Liebe, sondern nach unverbindlichen sexuellen Begegnungen scheint das Netz zu befriedigen. Ein Gespräch mit Christoph Krämer, dem Sprecher der Seitensprung-Agentur Ashley Madison, über das lukrative Geschäft mit der Doppelmoral.

Bevor sich Noel Biderman als Gründer und CEO des erfolgreichen Seitensprungportal Ashley Madison in den USA zum «König der Untreue» krönen liess, war er Sportleragent. Trotzdem hat ihn das Thema Fremdgehen ständig begleitet. Denn nicht selten stellten ihn die ausserehelichen Eskapaden seiner Klienten vor die Herausforderung, was tun, wenn die Ehefrau kommt, aber die Geliebte noch in der Wohnung weilt? Es brauchte aber noch den Abgesang einer Journalistin auf die Online-Single-Börsen, die den amerikanischen Geschäftsmann Anfang der Nullerjahre über eine Marktlücke stolpern liess.
Um das damals noch häufig fremde und belächelte Online-Dating unter die Lupe zu nehmen, verabredete sich die Journalistin auf einem Single-Portal mit zehn Männern zum Rendez-vous, um dann mit Entsetzen festzustellen, dass drei der zehn Herren gar keine Singles waren. Weil einfach viel zu viel gelogen werde, prophezeite die Journalistin dem Online-Dating eine düstere Zukunft.
Als sie den Glauben verlor, fing Biderman erst zu glauben an, nämlich auf eine einträgliche Geschäftsidee gestossen zu sein. Nach dem Motto gestorben und Fremdgegangen wird immer, gründete der verheiratete Familienvater das erste Seitensprung-Portal, wo Ehebetrüger und Betrügerinnen ehrlich sein dürfen, zumindest gegenüber ihrer Affäre. Zehn Jahre zählt Ashley Madison nach eigenen Angaben weltweit rund 19 Millionen registrierte Mitglieder. Und auch in der Schweiz scheint das Seitensprungportal auf fruchtbaren Boden gestossen zu sein. Denn Fremdgehen ist immer noch verpönt und gerade deshalb in anonymen Onlinesphären ein gutes Geschäft. Wir haben den Europa-Sprecher von Ashley Madison, Christoph Krämer, zum Interview getroffen.
Femelle: Die Schweizer sind nicht gerade dafür berühmt, ihre Leidenschaft besonders exzessiv auszuleben. Wie läuft es für Ashley Madison auf dem Schweizer Markt?
Christoph Krämer: Stille Wasser sind tief. Der Schein trügt. Offenbar oft. Denn die Schweiz ist weltweit unser siebterfolgreichster Markt, vor Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien. In der Schweiz haben wir bereits 200.000 Mitglieder, während es in Deutschland bei mehr als zehnmal soviel Einwohnern nur etwa doppelt so viele sind, nämlich 450.000 Mitglieder.
Warum ist Ashley Madison in der Schweiz so viel erfolgreicher als in anderen europäischen Ländern?
Die Schweiz ist ein sehr traditionsbewusstes Land mit eher konservativen Moralvorstellungen. Der Vergleich mit dem religiösen Teil Spaniens oder den konservativen Südstaaten der USA bietet sich daher an. Dort beobachten wir ähnliche Erfolge und ähnliches Verhalten wie in der Schweiz. Je rigider die gesellschaftlichen Moralvorstellungen, desto mehr fühlen wir uns in ein Korsett gezwängt und in Versuchung das Verbotene zu tun. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum wir in der Schweiz so erfolgreich sind. Andererseits glaube ich, dass auch die Grösse des Landes eine Rolle spielt. Die Schweiz ist klein, man kennt sich eher. Das machte es schwieriger, aber auch gefährlicher im direkten Umfeld nach einem Seitensprung zu suchen.
Sich auf einem Fremdgehportal zu registrieren ist die eine Sache, es zu tun die andere. Wie stellen sich die vermeintlich konservativen Schweizer denn in Sachen Seitensprung an?
Erst kürzlich haben wir eine Studie zum Verhalten unserer Mitglieder gemacht. Da haben wir festgestellt, dass von der Anmeldung bis zum ersten Treffen durchschnittlich nur rund 36 Stunden vergehen. Das nenne ich ein Beispiel für Schweizer Präzision und Effizienz.
Klingt unglaublich, zumal es heisst, dass Seitensprungportale unter einem deutlichen Männerüberschuss leiden.
Es kommt darauf an, von welcher Altersgruppe wir sprechen. Bei den 20-Jährigen ist das Verhältnis 1:1, bei den 30-Jährigen kommt eine Frau auf zwei Männer, bei den 40-Jährigen eine Frau auf drei Männer und bei den 50-Jährigen eine Frau auf vier Männer. Bei den über 60-Jährigen haben wir eigentlich kaum noch Frauen. Im kostenpflichtigen Premium-Bereich herrscht aber ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis.
Weil nur die Männer für Serviceleistungen wie Nachrichten oder Live-Chats bezahlen müssen. Ist das noch zeitgemäss?
Die Erfahrung hat leider gezeigt, dass Frauen auf vollkommen kostenlosen Dating-Seiten mit Nachrichten zugeballert werden. Und diese Nachrichten sind oft nicht sehr angenehm. Ashley Madison ist deshalb von Anfang an so konzipiert worden, dass Frauen sich wohl fühlen sollen. Männer müssen zahlen, um sicherzustellen, dass es sich um seriöse Nachrichten handelt.
Gibt es eigentlich typisch männliche und typische weibliche Formen des Fremdgehens?
Die Anfangsmotivation bei Männern und Frauen für eine Affäre ist normalerweise unterschiedlich. Bei Männern ist der Anfangspunkt meist das Sexuelle, bei Frauen das Emotionale. Männer sind meist gelangweilt von der Routine in der Beziehung und suchen die sexuelle Eroberung, während Frauen sich häufig entscheiden fremdzugehen, weil ihnen der emotionale Halt in der Beziehung fehlt und weil sie wieder das Gefühl haben möchten, etwas Besonderes zu sein. Aber spätestens nach der sexuellen Eroberung haben auch wir Männer Gefühle und wollen reden, uns geborgen und gewollt fühlen. Frauen suchen dagegen erstmal diesen emotionalen Kick, aber dann haben auch Frauen ihre sexuellen Bedürfnisse und Wünsche. Also, auch wenn beide Geschlechter verschiedene Ausgangspositionen haben, das Ergebnis ist dann doch das gleiche. Über eine Affäre soll zur körperlichen immer auch die emotionale Befriedigung kommen.
Ich habe mich vor dem Interview auf Ashley Madison umgesehen und habe dabei auch sehr viele Profile von Singles entdeckt. Geht es doch gar nicht so sehr um Seitensprünge, sondern um unverbindliche sexuelle Kontakte?
Ursprünglich war Ashley Madison lediglich als Seitensprungportal für Menschen in festen Partnerschaften konzipiert. Nun können wir aber schlecht beim Standesamt vorbeigehen und fragen, ob unsere Nutzer tatsächlich verheiratet sind. Wir haben uns daher dazu entschieden, dass sich auch Singles offen anmelden können. Dabei fiel uns auf, dass die Singles häufiger weiblich sind. Rund 85 Prozent der Männer geben an, in einer Beziehung oder verheiratet zu sein, bei den Frauen sind 30 Prozent aller Mitglieder Singles. Unter ihnen finden sich überwiegend Karrierefrauen und alleinerziehende Mütter, die sich sagen, momentan ist meine Priorität mein Job oder meine Kinder, eine Beziehung ist für mich jetzt nur Ballast.
Warum finden sich mehr Single-Frauen als Single-Männer auf einem Portal für Seitensprünge?
Für Männer gibt es seit Jahrtausenden etablierte Infrastrukturen, um ausserhalb der Ehe oder Beziehung Sex zu haben, sei es im Bordell, einem Massagesalon oder einer Bar. Für Frauen gibt es diese Outlets traditionell nicht, wo sie sich sicher und aufgehoben fühlen können, um eben auch ihre Sexualität auszuleben. Ashley Madison will so ein sicherer Ort sein.
Aber physische Sicherheit können natürlich auch Sie nicht garantieren.
Nein. Wir bieten Sicherheit und Diskretion insofern, dass bei uns keine persönlichen Daten abgefragt werden. Kein Name, keine Passnummer, keine Wohnadresse, nichts. Deshalb ist die Anonymität unserer Mitglieder gegeben. Wenn es dann zu einem Treffen kommt, in der realen Welt, bis dahin geht unser Service nicht. Aber wir geben unseren Mitgliedern Tipps, wie sie sich beim ersten Treffen verhalten sollen. Dass sie, das zum Beispiel an einem öffentlichen Platz tun oder einer Vertrauensperson in das Treffen einweihen sollen.

Christoph Krämer, Europa-Sprecher von Ashley Madison
Ashley Madison wirbt mit dem Claim: «Das Leben ist kurz, gönn dir eine Affäre». Glauben Sie, dass Seitensprünge ein Luxus sind, den wir uns zu selten erlauben?
Ich glaube, dass Monogamie etwas dem Menschen nicht Natürliches ist. Auch soziologische Studien haben festgestellt, dass 60-70 % aller Männer und Frauen mindestens einmal im Leben fremdgehen. Deshalb muss man sich nicht schämen, wenn einem einmal ein Seitensprung passiert. Ich persönlich sehe für mich in meiner Beziehung aber einen Unterschied zwischen einem Seitensprung, der einmal passiert, und einer Affäre. Ich glaube ein One Night Stand kann jedem mal passieren, das wäre für mich kein Grund eine Beziehung zu beenden. Eine andere Sache ist es, eine länger andauernde Affäre mit einem Geliebten oder einer Geliebten zu haben. Da muss ich sagen, dass ich persönlich wahrscheinlich Schwierigkeiten damit hätte, das zu akzeptieren.
Also das, was sie für Ihre Kunden möglich machen, würde ihre eigene private Beziehung gefährden. Ist Ihr Job dann nicht eine Belastung für Ihre Beziehung?
Zum Glück bisher noch nicht. Und Ashley Madison hat die Untreue nicht erfunden. Die Untreue gibt es, seit die Monogamie erfunden wurde. Die Message von Ashley Madison, wird deshalb niemals jemanden überzeugen fremdzugehen, der in seiner Beziehung hundertprozentig glücklich ist. Das Einzige was wir anbieten ist, das diskret zu machen. Wir sagen, wenn du dich entschieden hast fremdzugehen, dann tu das nicht in deinem Bekannten- oder Kollegenkreis, weil das fast immer entdeckt wird und unweigerlich zu grossen Problemen führt, sondern über eine sichere Seite, wie Ashley Madison. Und das sieht meine Partnerin genauso. Zudem ist die Scheidungsrate bei uns in der Firma relativ gering. Mit dem Thema jeden Tag zu arbeiten ist ein bisschen wie konstante Paartherapie. Denn wir sehen jeden Tag, wie wichtig es ist an einer Beziehung zu arbeiten und dem Partner zu zeigen, was er einem bedeutet.
Der Erfolg von Ashley Madison mag für sich sprechen. Nichtsdestotrotz ist eine erfolgreiche Geschäftsidee noch keine akzeptierte Geschäftsidee. Das führt soweit, dass sie natürlich nicht überall werben dürfen. Zum Beispiel beim Superbowl in den USA.
Das verdeutlicht die Doppelmoral unserer Gesellschaft. Es ist doch vollkommen überholt, dass wir vom Fremdgehen immer noch als Tabu und soziales Stigma reden. Dann bewegt sich die Mehrheit der Gesellschaft ausserhalb dieser gesellschaftlichen Norm. Diese Doppelmoral wollen wir übrigens mittels unseren Werbespots, die immer einen Touch Humor haben aufzeigen (Ashley Madison erregte öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie zum Beispiel mit den Affären von bekannter Staatsgrössen wie Bill Clinton, Juan Carlos oder Prinz Charles für ihren diskreten Service geworben haben, Anm. d Red.) und dazu beitragen, dass Fremdgänger nicht mehr so sehr stigmatisiert werden.
Sie beklagen und leben von der Doppelmoral gleichzeitig.
Momentan, ja. Ich würde mir ja wünschen, dass wir so tolerant wären, aber bis dahin ist noch ein langer Weg und ich weiss nicht, ob das hundertprozentig kompatibel mit der menschlichen Natur ist. Wären offene Beziehungsmodelle aber akzeptiert, dann würde es keinen Existenzgrund für Ashley Madison geben.
Interview: Nathalie Türk