ErektionsstörungenWenn Mann nicht kann

INTERVIEW Jeder vierte Mann leidet unter Erektionsstörungen. Und das ist kein Drama, wenn wir endlich darüber reden, statt das Problem zu verdrängen. Wir machen einen Anfang und sprechen mit Paar- und Sexualtherapeut Henri Guttmann über die vielfältigen Ursachen von Erektionsproblemen, was Betroffenen wirklich weiterhilft und wie Paare am besten damit umgehen.

Wenn Mann nicht kann: Erektionsstörung

Ständig lesen wir davon, dass Frauen in längeren Beziehung fast zwangsläufig irgendwann keine Lust mehr auf Sex haben. Aber sind es tatsächlich immer nur die Frauen, denen das Verlangen nach Sex abgehen kann?

In den letzten 5 Jahren kommen zunehmend Paare in meine Praxis, bei denen der Mann derjenige ist, der kaum noch Lust auf Sex oder Erektionsstörungen hat. Und auffallend dabei ist, dass Frauen die Schuld vor allem bei sich suchen und sehr darunter leiden.

Warum fühlen sich Frauen für die Erektionsprobleme ihres Partners verantwortlich?

Insbesondere, weil sie denken, dass Männer überall wollen und können - und das immer. Deshalb sollten Männer bei Erektionsstörungen selbst aktiv werden und aus eigenem Antrieb Hilfe suchen.

Wir erklären Sie sich, dass Unlust und Erektionsstörungen offenbar zunehmen?

Eine Hypothese ist, dass jetzt auch in diesem Bereich die Gleichberechtigung Einzug gehalten hat. Dass heisst, die Männer dürfen jetzt auch mal keine Lust auf Sex haben. Es gibt übrigens auch kaum Paare, bei denen die Lust auf Zärtlichkeit und Sex genau gleich verteilt ist. Häufig will ein Partner mehr und der andere weniger.

Und die andere These für mehr Lustlosigkeit und Erektionsproblemen bei Männern ist...?

Die Ursachen sind sehr unterschiedlich. Erektionsprobleme haben häufig medizinische Gründe, die durch einen Urologen abgeklärt werden sollten. Daneben gibt es Lustlosigkeit und Erektionsprobleme als Nebenwirkung von diversen Medikamenten, beispielsweise gegen Bluthochdruck oder Depressionen. Auch eine Depression kann die Lust auf Sex zum Verschwinden bringen. Aber was viel häufiger vorkommt als früher ist, dass die Männer in der globalisierten Berufswelt heute unter enormen Druck stehen und dann zuhause «ihren Mann» nicht mehr stehen können.

Könnte auch immer leichter zugängliche und härtere Pornofilme im Internet damit zu tun haben? 08/15-Sex mit der Partnerin verliert vielleicht dann für manche den Reiz?

Übertriebener Internetpornokonsum führt oft dazu, dass Männer ihre sexuellen Bedürfnisse vor dem Computer befriedigen und dann schlicht keine Lust mehr verspüren Sex und Zärtlichkeit mit der Partnerin auszuleben. Die virtuelle Sexualität wird geiler erlebt, als das sexuelle Zusammensein mit der Partnerin. Und leider fehlt vielen Paaren das Vokabular, über ihre individuellen sexuellen Wünsche zu reden. Aus diesem Grund habe ich das Spiel: Liebesgeflüster entwickelt, damit Paare spielerisch erfahren können, was den andern antörnt und ihm Lust bereitet.

Über Henri Guttmann

Henri Guttmann

In seiner Praxis in Winterthur begleitet Henri Guttmann Paare, die wieder zueinander finden möchten. Mit Hilfe von kommunikativen Übungen sucht der erfahrene Paar- und Sexualtherapeut gemeinsame Wege aus Beziehungskrisen.

henri-guttmann.ch

Stichwort: Reden. Wenn Frauen keine Lust auf Sex haben, empfinden sie dafür schnell untereinander Verständnis. Ein wunderbares Gesprächsthema beim Kaffeeklatsch! Männer reden dagegen eher selten darüber. Warum sind Unlust und Erektionsstörungen bei Männern immer noch so ein grosses Tabu?

Männer definieren ihren Selbstwert hauptsächlich durch ihre Arbeit und darüber, ob sie ihre Sexualität mit einer Partnerin ausleben können. Ein Mann mit Lustlosigkeit und Erektionsproblemen wird kaum mit seinem besten Kollegen darüber reden, weil das Thema sehr stark mit Scham und Peinlichkeit behaftet ist. Übrigens fragen auch Hausärzte kaum danach, wie es um die Potenz ihrer männlichen Patienten bestellt ist.

Eine andere These könnte sein, dass die Lust mit der Zeit einfach nachlässt. Sind Erektionsprobleme und Unlust vielleicht eigentlich ganz normal?

Der Höhepunkt der männlichen Potenz ist vermutlich zwischen 17 und 27 Jahren, von da an sinkt Erektionsfähig kontinuierlich, aber sehr langsam ab. Für eine gute Paarsexualität spielt das aber nicht wirklich eine wesentliche Rolle. Da Frauen oft biografisch 33 Jahre alt sind, bis sie sich und ihre Sexualität ganz auskosten gelernt haben. Das bedeutet, dass sich Paare Mitte 30 in der sexuellen Erregungskurve annähern, was positiv erlebt wird.

Aber bei den meisten Paaren, insbesondere wenn sie Kinder haben, gibt es kürzere und längere Zeiten von Unlust bei Frauen und Männern, das ist völlig normal. Es ist Mythos, dass die Lust in längeren Paarbeziehungen spontan entsteht. Im Gegenteil, es ist wie mit der Schwerkraft - sie sinkt! Damit die Sexualität lebendig bleibt, müssen sich Paare bewusst dafür entscheiden. Es hilft zum Beispiel, wenn Zeitfenster für Liebesabende vereinbart und fest eingeplant werden.

Warum bleiben viele Männer lieber allein mit diesem Problem?

Männer sind gewohnt Probleme alleine lösen zu können. Zu Beginn von Erektionsproblemen oder Lustlosigkeit denken sie, das kann jedem Mann mal passieren, das geht wieder vorbei. Und wenn die Thematik anhält, versuchen sie das Problem zu verdrängen.

Was würden Sie ihren männlichen Klienten stattdessen raten?

Sowohl Lustlosigkeit als auch Erektionsprobleme sind ernste Warnzeichen. Sie zeigen an, dass entweder etwas im Körper oder in der sexuellen Kommunikation nicht mehr stimmt und dass entweder medizinische oder psychische Hilfe benötigt wird.

Zuerst sollten die Ursachen immer vom Hausarzt und später von einem Urologen abgeklärt werden. Wenn medizinisch erwiesen ist, dass die Ursache psychologischer Natur sein muss, sollte ein Sexualtherapeut oder ein Paartherapeut zugezogen werden. Oft reichen fünf Sitzungen alleine oder zum Teil mit der Partnerin und die Sexualität läuft wieder wie früher.

Was kann die Partnerin tun um ihm zu helfen?

Geduld zeigen, ohne naiv zu sein und denken, das Problem löst sich von selbst. Warten sie nicht zu lange ab und machen sie sich selbst keine Vorwürfe. Sprechen Sie die Thematik aktiv und offen an. Fragen Sie ihn, wie er die Situation erlebt. Und wenn das Problem länger als drei Monate anhält, können Sie davon ausgehen, dass es sich nicht von selbst löst. Dann sollten Frauen ihren Partner unbedingt zum Hausarzt schicken.

Und was sollten Frauen dagegen auf keinen Fall tun?

Gelegentliche Sexpannen kennt eigentlich jeder Mann. Das ist nicht weiter tragisch. Aber weniger hilfreich ist es natürlich, wenn die Partnerin sagt: Früher warst du ein richtiger Hengst. Soll ich mal im Internet eine Packung Viagra bestellen?

Bei Erektionsstörungen wäre Viagra doch nicht ganz falsch.

In Absprache mit dem Arzt können Medikamente gegen Erektionsprobleme tatsächlich eine sehr effiziente Hilfe sein. Oft hilft das Medikament sogar, wenn es nur auf dem Nachttisch liegt.

Männer fürchten sicherlich auch, dass Potenzprobleme die Beziehung gefährden könnten. Was kann er tun, damit die Partnerin nicht allzu sehr darunter leidet?

Bis das Erektionsproblem gelöst ist, gibt es noch viele Formen von Zärtlichkeiten die das Paar austauschen kann. Es gibt so viele kreative Möglichkeiten sich Lust zu verschaffen, auch ohne Penetration. Sich eine erotische Geschichte vorlesen, sich gegenseitig massieren, oder sich mal drei Minuten zu umarmen, kann schon sehr sexy sein.

Aber irgendwann sind 3-Minuten-Umarmungen vielleicht nicht genug.

In der Sexualtherapie einen klugen Satz: Ein Problem ist nur ein Problem, wenn es ein Problem ist. Wenn es für das Paar kein Problem darstellt, können sie auch ohne Sex glücklich sein. Im Sinne von: Kein Sex ist auch eine Lösung.

Wie wichtig ist demnach Sex für eine Beziehung?

Gute Frage! Wenn die Sexualität in einer Paarbeziehung funktioniert sind es 5 Prozent der ganzen Beziehung. Wenn die Sexualität aber aus einem Grund nicht mehr funktioniert, macht es für beide oft 95 Prozent der gemeinsamen Sorgen aus.

4 Fragen, die sich Männer mit Erektionsstörungen stellen sollten

Ab wann ist eine Erektionsstörung und/oder Lustlosigkeit ein ernstzunehmendes Problem?

Wenn sie länger als 3 Monate anhält und die Liebesbeziehung sonst gut läuft.

Bei Lustlosigkeit sind offene Gespräche angesagt, wenn sich nichts ändert, sollte man fachliche Hilfe annehmen.

Ab welchem Zeitpunkt kann man von einem Erektionsproblem sprechen?

Wenn der Mann eigentlich Lust hat mit seiner Partnerin sexuell aktiv zu werden, die Erektion allerdings zu weich ist und ein penetrieren unmöglich ist – und dies regelmässig vorkommt.

Sollte man in jedem Fall einen Arzt hinzuziehen?

Ja, denn die Ursache könnte auch ein Herzproblem sein, das unbedingt behandelt werden muss.

Ab welchem Zeitpunkt kann man von einem Erektionsproblem sprechen?

Wenn der Mann feststellt, dass er trotz Lust auf Sex – mit sich selbst – oder mit seiner Partnerin keine Erektion mehr bekommt. Ein besonders guter Hinweis, dass etwas nicht mehr stimmt ist, wenn er keine Morgenerektion mehr hat. Das kann auch die Partnerin leicht feststellen.

Titelbild: Rene Asmussen - pexels.com

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