ALLES NUR GETRÄUMT?Was unsere erotischen Fantasien bedeuten

Spätestens wenn der Postmann zweimal an den Füssen kitzelt, fragen wir uns: Warum träumen wir, was wir träumen? Und was haben erotische Fantasien mit unserem Leben zu tun? Ziemlich viel. Aber nicht wie du vielleicht denkst. So nutzen wir unser Kopfkino!

 Die Bedeutung erotischer Fantasien

Sie kommen manchmal in den scheinbar unpassendsten Momenten. Im Wartezimmer beim Arzt oder mitten im Yogakurs. Oder wenn die Freundin vinoschwanger erzählt, dass sie nur kann, wenn sie ihrem Mann den Nachbarskopf gedanklich aufsetzt. Erotische Fantasien haben wir fast alle, nur verstehen wir sie selten. Was hat es zu bedeuten, wenn der Postmann in unseren träumen anklingelt, um uns die entsockten Füsse zu kitzeln? Oder warum suchen uns Tagträume heim, von diesem wie gemalten Mund, aber der Mann dazu fehlt? Und ist es schlimm sich vorzustellen, von einem fremden Mann so heftig genommen zu werden, dass es Autsch macht?

Auch Psychologen und Wissenschaftler stehen häufig vor Rätseln um die Ausmasse, Hintergründe und Motive von Sexträumen. Meist bringen uns unsere eigenen erotischen Fantasien aber selbst am allermeisten zum Staunen. Woher kommen sie? Denn da tauchen auch Begierden auf, für die wir uns oft schämen.

Erotische Fantasien sollen wahr werden?

Das tönt nach Werbung, aber nicht nach dem echten Leben. Denn was in der Fantasie noch erregend war, kann sich wahrhaftig ungemütlich anfühlen. Nur wenige von uns finden es angenehm über Stunden im Bett gefesselt zu sein. Abgesehen davon, dass es auch schnell langweilig werden kann. Auch Paartherapeut Ulrich Clement meint: Was dem Kopf entsprungen sei, sei auch oft gut dort verstaut.

Vor allem dann, wenn die erotische Fantasie gar nicht auf sexuelle Befriedigung abzielt, sondern eher ein psychologisch geschicktes Instrument der Entlastung ist. Das müssen wir uns genauer erzählen lassen.

Erotische Fantasien sind häufig kleine Märchengeschichten, die uns unser Gehirn in so verführerischen Farben erzählt, dass wir alles um uns herum vergessen. Den Stress, den Termindruck, den Streit. Wie ein Kind, das sich durch ein neues Spielzeug vom frisch verletzten Finger ablenken lässt, führen uns auch unsere erotischen Fantasien hin und wieder an der Nase herum.

Wie Easyjet mit erotischen Fantasien

Doch erotische Fantasien allein als Stresskiller bezeichnen, würde ihnen nicht gerecht und wäre verschenkte Liebesmüh. Allein der Büchermarkt für sexuelle Fantastinnen spricht Bände und verrät dabei viel über die unterschätzen Möglichkeiten unseres Kopfkinos. Erotische Literatur und erotische Filme für Frauen erleben nach Shades of Grey einen sagenhaften Boom. Alles sexuell frustrierte Frauen, die nur in der Fantasie zum Höhepunkt kommen? Weil sie keinen guten Sex haben, müssen Sie über ihn lesen?

«Zu unterstellen, dass Sex immer besser ist als jede andere erotische Erfahrung ist einfach dumm.», sagt die Porno-Regisseurin Erika Lust. «Schlechter Sex ist nie besser ist als ein grossartiges, sinnliches Buch. Erotische Romane, Bilder oder Pornofilme füttern deine Fantasie und können dich so inspirieren Neues auszuprobieren, neue sexuelle Vorlieben zu entdecken oder neue Erfahrungen mit deinem Partner zu machen.»

Denn unser Kopf liebt mit. Und braucht dafür eigentlich nicht mal ein Buch, sondern lediglich ein paar hübsche, schmutzige Gedanken. Denn erotische Fantasien sind gerade für Frauen das Ticket um zu besserem Sex zu gelangen. Und in einer längeren Partnerschaft ein guter Trick sich mit mentale Stimulation zu versorgen, wenn das blosse Aufeinander treffen der ewiggleichen körperlichen Reize nicht mehr zünden will.

Erotische Fantasien durchbrechen die gewohnten Routinen und lässt uns Sex nicht als einen eingeübten mechanischen Akt, sondern immer neu und anders empfinden. Vergessen wir, dass das Geschirr mal wieder turmhoch in der Spüle steht. Sexuelle Fantasien erlauben uns neue Orte zu bereisen und zeigen auf, was auf der erotischen Landkarte noch erkundet werden könnte. Ohne erotische Fantasien hingegen blieb unsere Sexualität im am selben Ort, wo sich die Teller in fettigen Wurstpfannen baden. Keine spannende Vorstellung.

Good Old News! Männer und Frauen fantasieren anders

Überraschung! Okay, diese Nachricht schockt niemand, ist aber durchaus interessant. Wie Männer und Frauen unterschiedlich sexuell erregt werden, fantasieren sie auch unterschiedlich. Die Herren der Schöpfung träumen schlichter. Nackte Tatsachen. Schnelle, kompromisslose Handlungen. Typische Jäger-Beute-Konstellationen. Und der freie Blick auf die weibliche Zielzone bringen die grauen Rädchen bereits bunt zum Glühen.

Frauen brauchen dagegen schon etwas mehr Input. Eine Geschichte. Details. Emotionen. Unsere Fantasie will eine Story! Und Eroberungen. Denn bei weiblichen erotischen Fantasien gehe es fast immer darum, dass wir uns wie ein Lustobjekt fühlen, sagt Sexualforscherin Meridith Chivers. Liebe zu dritt? Aber bitte mit uns in der Mitte! Und der schöne, fremde Mann drückt uns unzart gegen die Wand, weil er einfach nicht anders kann. «Begehrt werden, ist für die weibliche Sexualität ein unglaublich mächtiger Faktor.», sagt Chivers eben auch.

Wir Machistinnen, die glauben, wir Frauen opfern uns einfach gerne auf. Und zwar so gerne, dass es sogar unsere erotischen Fantasien bestimmt. Glauben wir gerne der amerikanischen Psychologieprofessorin Marta Meana sind unsere Hingabe-Fantasien alles andere als selbstlos. Forschungen bestätigen das. Während Männer auch davon träumen, Frauen zu befriedigen, kreisen Frauenfantasien meist nur um den eigenen Höhepunkt. Im übrigen passt das ganz gut. Den laut hört Paartherapeut Clement in seiner Praxis von einer männlichen Fantasie am häufigsten: «Eine Frau, die „Ja!“ sagt.»

Du träumst von Sex mit anderen Frauen. Ergo, bist du lesbisch!

Quatsch, findet Erika Lust. Wie jede andere Form von Unterhaltung dienten unsere erotischen Fantasien dem Vergnügen. Und für viele bedeutet das einfach ein Schwelgen in der Fantasie so lange sie andauert, ohne dass dies ihr Leben beeinflusst. «Ich selbst lese gerne über Dominanz im Schlafzimmer. Das bedeutet aber nicht, dass ich es wirklich tun will! (...) Unsere Fantasie vermag uns zu inspirieren, aber sie definiert nicht, wer wir sind.»

Viele Psychologen und Paartherapeuten sehen das ein wenig anders. Natürlich wolle beispielsweise nicht jede Frau, die beim Sex mit ihrem an einen anderen Mann denkt gleichsam ihren Mann im echten Leben betrügen, glaubt Wolfgang Schmidbauer. Wer eine Beziehung über den Alltag retten will, dürfe ruhig pragmatischer denken. «Wenn sie beim Sex an andere Männer denkt, tut das keinem weh und kann sogar zu beider Vergnügen beitragen. Gefährlich wird es erst, wenn sie den Ton zu ihrem Kopfkino nicht abschalten kann und einen falschen Namen flüstert.»

Auch der Autor und vom Männermagazin GQ ernannte Sexperte Arne Hofmann schreibt: «Erotische Fantasien sind wie Träume im Schlaf kleine Rätselgeschichten, deren emotionale Bedeutung erst entschlüsselt werden muss.» Hofmann ermuntert seine Leser dabei, mehr über die erotischen Fantasien ihres Partners zu erfahren und damit mehr über ihr inneres Wesen und eine tiefere Intimität aufzubauen. Aber was gibt es dabei zu erfahren? Gewiss viel über die Sehnsüchte des Partners. Und womöglich auch über die Kindheit und das So-und-nicht-anders-Gewordenseins, vermutet Paar- und Sexualtherapeutin Christiane Jurgelucks.

Auf der nächsten Seite weiterlesen: Was erotische Fantasien über unsere Kindheit aussagen und was damit tun als Erwachsener?

Titelbild: Risto Kuulasmaa via Flickr (CC BY-NC 2.0)

Was haben erotische Fanatsien mit unserer Kindheit zu tun? Psychologen sagen, Menschen können Grundkonflikte erotisieren.

Bild: Alexandre Daulanoy via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Am liebsten nichts. Das ist tönt doch irgendwie pervers. Aber auch unsere erotischen Fantasien sind nicht nur Wunschkonzert. Warum wir fantasieren und was wir fantasieren und was das mit unserem Leben zu tun hat, ist auch ein spannender Streit in der Forschung.

Einig sind sich die Forscher darüber, dass wirklich erregende Sexfantasien, die wie einem Muster gleich immer wiederkehren, sich bereits in unserer Kindheit ausbilden. Der Psychoanalytiker Jack Morin (Lesetipp: Jack Morin - Erotische Intelligenz. Die Erschliessung der inneren Quellen sexueller Leidenschaft) glaubt, dass aus den Konflikten des Kindes die Leidenschaft des Erwachsenen zu verstehen sei. Die Paartherapeutin Jurgelucks erklärt das so: «Menschen haben die Fähigkeit innere Konflikte zu erotisieren.»

Jetzt sind wir aber neugierig! Jurgelucks bebildert das für uns mit einer erotischen Fantasie einer ihrer Patientinnen. Ihre erregendste Fantasie sei es gewesen in einem Stall unter vielen anderen Frauen wie eine Kuh mit einem Metall-Halsband nackt angekettet zu sein. Dann käme ein Mann in Lederhosen herein und gehe nach dem er sich unter den anderen Frauen umgeschaut hat direkt auf sie zu - und gibt ihr einen Klatsch auf den Po.

Warum findet die Frau das so erregend? Der Mann in Lederhosen, habe sie unter all den anderen Frauen bewusst ausgewählt, deutet die Therapeutin. Das ergibt psychoanalytisch betrachtet, noch mehr Sinn, wenn Jurgelucks erzählt, dass die Frau in einer Familie mit vielen Geschwistern aufwuchs. Sie war kein Wunschkind, auch nicht so hübsch wie es sich die Mutter gewünscht habe. Zumindest glaubte sie das und sei mit dem Gefühl nicht gewollt und auch nicht begehrenswert zu sein aufgewachsen. Und dieser Mann in Lederhosen, geht direkt auf sie zu, sucht sie aus und gibt ihr das Gefühl etwas Besonderes zu sein. Eine Fantasie, wie Jurgelucks bemerkt, bei Frauen sehr, sehr häufig anzutreffen sei.

Wenn erotische Fantasien zerstörerisch wirken

Erotische Fantasien können der Schlüssel zu einem besseren Liebesleben sein, aber ihr fiktionaler Charakter kann auch ins Gegenteil umschlagen. Wir begegnen dem Phänomen beispielsweise bei Pornosucht – und befragen die Pornoregisseurin Erika Lust dazu. Wann ist es zu viel Fantasie und zu wenig Wirklichkeit? «Guter Porno inspiriert dich guten Sex mit jemand anderem zu haben, wohingegen schlechter Porno nur zum Masturbieren anregt», sagt Lust. Spätestens wenn die erotische Fantasie so übermächtig werde, dass sie Beziehungen und gemeinsame Erfahrungen mit anderen unmöglich mache, sei sie ein Problem. Am Beispiel Pornosucht zeigt sie sich in heruntergelassenen Hosen allein vor dem Bildschirm. Nicht dass Frau Lust, was gegen Selbstliebe hat: «Selbstbefriedigung ist natürlich fantastisch, wir sollten es alle tun, aber Sex ist eine menschliche Erfahrung die wundervoll ist, wenn man sie teilt. » Gilt das auch für unsere Fantasien?

Jein. Die Erotik verträgt auch ein paar schmutzige Geheimnisse. Zum Beispiel, wenn es dich beim Sex noch mehr erregt, wenn du dir vorstellst er dein Partner sei der Sänger von Gotthard. Behälst du diese Fantasie für dich, bleibt sie dein geiler Trip in die Freiheit. Die Gedanken sind frei... Deinen eigentlichen Partner würde das dagegen wahrscheinlich eher verunsichern und vielleicht würde er es in den schlimmsten Momenten gegen dich verwenden. Da hilft dann nur noch viel Humor. Aber die Fantasie wird nicht mehr dieselbe sein.

Andere erotische Fantasien wiederum verdienen es sich gemeinsam an Wirklichkeit zu testen. Solche, die nicht nur absurde Träume sind, und in deiner geheimen Oberstube ganz allein ihr wildes Eigenleben führen können, sondern solche, die vielmehr Wünsche sind.

Vielleicht fändest du es erregend, wenn dich dein Partner mit heissem Wachs beträufelt?

Aber über sexuelle Wünsche offen zu sprechen schreibt sich nur immer so leicht in Drehbücher rein, die man für andere schreibt. Sexualtherapeutin Sonja Borner findet, dass es hilft, wenn du das Gespräch über erotische Fantasien scheinbar zufällig eröffnest und immer nur einen kleinen Happen deiner Fantasie anbietest. «Du, Schatz ich habe gerade gelesen, das Sex mit Wachs im wahrsten Sinnes des Wortes heiss sein soll!» Und dann kommt eins zum anderen...

Vielleicht aber sagt ihr Partner auch, dass er es noch nie verstanden hat, warum Frauen beim Sex Schmerzen empfinden und unterdrückt wollen, aber am nächsten Morgen soll jeder bitte seine eigenen Hemden bügeln. Autsch, für dich und deine Gefühle! Manche Experten raten dagegen, das Gespräch lieber am Küchentisch zu beginnen, weil die Szenerie dafür sorgt, dass alles sachlich bleibt.

Welchen Ort du wählst hängt deshalb wahrscheinlich viel mehr davon ab, um was für eine Fantasie, es sich handelt. Eine eher harmlose Fantasie die du auch einer Freundin beim Pflicht-Oder-Wahrheit-Spiel anvertrauen würdest? Oder eine, die du besser auf der Chaiselongue deines Therapeuten sicher vermutest. Und dann braucht es einfach Mut.

«Das wirklich schwierige ist nicht, die richtigen Worte zu finden, sondern die innere Schwelle zu überwinden, sich zu zeigen.», sagt Paartherapeut Ulrich Clement. Und das gibt’s nicht ohne Risiko - im Leben, in der Liebe und beim Sex.

Auch Erika Lust empfiehlt bei Sexträumen zu unterscheiden zwischen Begierde und Wirklichkeit. In ihrem preisgekrönten Kurzfilmprojekt Xconfessions bebildert sie seit Jahren die geheimen erotischen Fantasien ihrer Anhänger. «Zum Beispiel schreiben viele Leute auf Xconfessions, dass sie ihren Mann oder ihre Frau gerne mit einer anderen Person beim Sex beobachten wollen. Sie schreiben aber auch, dass sie Angst vor ihren Gefühlen haben, wenn dieser Traum wahr würde.»

Unabhängig davon, ob einem eine erotische Fantasie im echten Leben letztlich gefällt, glaubt Erika Lust, dass Fantasien an der Realität zu testen ein unglaublich guter Weg sei, mehr über die eigene Sexualität herauszufinden.

«Du liebst es über Spanking zu lesen? Deine Entscheidung, ob das etwas ist, das in deinem Kopf erotischer ist als in deinem Bett. Wenn du dich aber dazu entschliesst es auszuprobieren, bereite dich darauf vor, dass Lust und Schmerz für dich in Wirklichkeit doch nicht zusammen passen. (...) Andererseits könnte es dein Sexleben auf ein neues Level an Intimität und Lust bringen, das du nie mehr missen willst.»

Sicher ist, wir werden es nur herausfinden, wenn wir es versuchen.

Titebild: Unsplash

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