Die Monogamie-LügeKann der Mensch wirklich treu sein?
Von Natur aus sind Säugetiere untreu. Bei den Menschen hat sich dagegen das Ideal der Monogamie etabliert. Handeln wir gegen unsere Natur, wenn wir unseren Partnern ein lebenlang treu bleiben?

Koko hat ihren Freund Louis vor ein paar Monaten kennengelernt. Es ging ganz fix. Schon nach einem Date hatten sie wilden Sex. Seitdem ist Koko schwanger. Sie ruht sich aus und beobachtet Louis, wie er mit anderen schläft. Koko findet das okay. Sie liebt Louis und bekommt von ihm ein Kind. Wieso sollte er nicht auch mit anderen schlafen dürfen?
«Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment»
Sie fragen sich, wie Koko damit so locker umgeht? Nun ja, Koko ist ein Bonobo-Affe. Doch nicht nur Affen, sondern beinahe alle Tiere treiben es wie sie wollen. Es ist ein Fakt: 97 Prozent aller Tierarten gehen fremd. Vor allem die Männchen schlafen mit mehreren Partnern. So verbreiten sie ihr Erbgut und erhalten ihre Art. Löwen halten sich dafür sogar ihren eigenen Harem. Aber nicht nur die Männchen, auch die Weibchen leben ihre Sexualität frei aus. Dasselbe gilt für Insekten. Marienkäfer etwa wechseln ihren Partner alle zwei Tage. Aber auch unsere nächsten Verwandten, wie Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen führen ein Sexleben wie Hippies.
In der Geschichte des Menschen gab es viele Beziehungskonzepte bei denen sich Männer und Frauen sexuell nicht auf eine Person beschränkt haben. Über die Jahre hat sich in der westlichen Welt aber dennoch die Monogamie durchgesetzt. Gefestigt wird sie bis heute durch soziale, religiöse und moralische Normen. Schwören wir also unseren Partnern ewig treu zu sein, obwohl das unserer Natur widerspricht? Die absolute Monogamie, das Fleischwerden von Mann und Frau durch die Ehe, hat bisher nur ein frommes Pärchen geschafft: die Diplozoon Paradoxa. Diese beiden Fischparasiten treffen sich und wachsen nach dem ersten Date mit den Körpern aneinander. Keine Chance für einen Seitensprung.
Von der Moral dressiert
Wie steht es nun um uns Menschen? Sind wir wirklich monogam oder zwängen wir uns nur in ein gesellschaftliches Korsett des Treu-seins? Sollten uns die Seitensprünge und Scheidungen nicht längst eine Lehre sein? Studien der Sexualforscher Christopher Ryan und Cacilda Jethá zufolge, hat jede hochintelligente und sozialisierte Spezies der Natur multiple und zeitlich überlappende sexuelle Beziehungen. Nur der Mensch habe sich das abgewöhnt, die Moral habe ihn dressiert, so das Autorenpaar im Interview mit Blick.
Auch andere Autoren provozieren mit ihren Thesen konservative Sexforscher. Der Soziologe Eric Anderson schildert in seinem Buch «The Monogamy Gap: Men, Love and the Reality of Cheating», dass 78 % der Männer ihre Partnerin betrügen, obwohl sie sie lieben. Der Grund dafür sei, dass Männer von Natur aus Sex mit mehreren Partnern brauchen. Auch das Psychologen-Ehepaar David Barash und Judith Lipton schildert in ihrem Buch «The Myth of Monogamy», dass Monogamie in der Natur praktisch nicht vorkäme. Jedoch würde der Fremdgeher - bei Menschen wie bei Tieren - nur ungern erwischt werden. Denn beide riskieren einen Rausschmiss aus Höhle oder Nest. Manch ein Männchen wird sogar vom Weibchen böse malträtiert: Das Rotrücken-Waldsalamander-Weibchen riecht die fremden Sexualduftstoffe der Konkurrentin sofort und rächt sich an ihrem Mann mit heftigen Bissen. Liegt also nicht die Monogamie in unserer Natur, sondern die Eifersucht?
Dilemma: Offene oder exklusive Beziehung?
Trotz des Krachs in manch einem Tiergemach: In der Mehrzahl hat sich die Natur gegen sexuelle Treue entschieden. Der Mensch befindet sich jedoch im steten Zwiespalt. Offene Beziehungen sind eine Option, aber nicht stark verbreitet. Viele fürchten, dass sie Schuldgefühle plagen oder die Eifersucht die Beziehung zerfrisst. Eine Affäre ohne jegliche Verpflichtung ist am Anfang prickelnd, am Ende verliebt sich jedoch häufig einer von beiden. Ist am Ende der Bindungswunsch beim Menschen stärker als sein natürlicher Sexualtrieb? Evolutionspsychologe und Biologe David Barash teilt zwar ebenfalls die Meinung, Monogamie beim Menschen sei unnatürlich. Serielle Monogamie dagegen, das heisst mehrere aufeinander folgende monogame Beziehungen, könnte aber funktionieren. Denn Monogamie sei zwar wider die Natur, der Mensch habe jedoch ein hormonell und neuronal bedingtes Bedürfnis nach Bindung. Ausserdem sei Natur pur nicht immer das Beste, so der Evolutionspsychologe. Kulturelle Erfindungen können auch etwas sehr Schönes sein, wie z.B. ein Musikinstrument spielen oder eine Fremdsprache zu lernen. Ist es am Ende ebenso naiv zu glauben, der Mensch könne ewig treu sein wie zu glauben der Mensch brauche keine feste, exklusive Bindung?
Kuschelmaus oder Rammel-Gorilla?
Sex und Treu-sein ist vielleicht nur ein Kult unserer Zeit. Und nicht jeder mag jeden Trend. Aber vielen tut die Tatsache gut, dass ihr Partner nur mit ihnen Sex hat. Was manche einengt, gibt anderen das Gefühl, etwas Einzigartiges zu haben. Und Bonobo-Affe hin oder her – blicken wir auf die 3 Prozent der Tiere, die treu sind, kann das auch entzücken: Präriewühlmäuse sind zum Beispiel so kuschelbedürftig, dass sie sich einen Partner suchen, an den sie sich ihr ganzes Leben lang schmiegen können. Albatrosse halten ihre Treue trotz lebenslanger Fernbeziehung. Alle ein, zwei Jahre trifft sich das Albatrosspaar auf einer Insel und hat aufregenden Sex. Menschen haben leider die schwierige Aufgabe, die Mitte zu finden zwischen kuschelnder Wühlmaus und rammelnden Gorilla.
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Die Lösung weiss wieder der Fuchs
Das Sexforscher-Ehepaar Ryan und Jethá betonen, dass sie mit ihren nüchternen Fremdgeh-Erkenntnissen keinesfalls von Beziehungen abraten möchten. Nur das überbewertete romantische Bild der lebenslangen Treue, das wollen sie korrigieren. Es würde unserem Sexleben helfen, wenn wir pragmatischer denken. Denn sonst folgen Enttäuschung, Schmerz und Frustration.
Für eine offene Beziehung ist dagegen nicht jeder geschaffen. Keinesfalls verpuffen bei dieser Variante typische Beziehungsprobleme wie Misstrauen, Zweifel oder Eifersucht. Es ist ein häufiger Trugschluss zu glauben, dass Eifersucht unmittelbar mit der Angst vor der Untreue des Partners zusammenhängt. Nichtsdestotrotz gibt es Frauen und Männer, die Sex und Liebe durchaus trennen können und sich mit mehreren Sexpartnern freier fühlen. Das sei Ihnen im Namen der Evolution gegönnt! Alle anderen, die lieber ein Mittelding zwischen Geborgenheit und Freiheit möchten, sollten schlau sein wie ein Fuchs: Rotfüchse sind freiheitsliebend und viel allein unterwegs. Dennoch leben sie im sozialen Familienverbund und haben meist über Jahre hinweg denselben Partner.
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