Verlust der Libido Was du über sexuelle Unlust wissen musst

Es gibt im Leben immer wieder Phasen, in denen es an Lust auf Sex oder Selbstbefriedigung fehlt. Betroffene hadern dann oft mit sich selbst und sorgen sich um ihre Gesundheit. Aber auch für die Partnerin oder den Partner kann der Libidoverlust beunruhigend sein. Einen Grund zur Sorge gibt es in den meisten Fällen jedoch nicht. Doch woher kommt die sexuelle Unlust? Was kann man dagegen tun? Und wie können sich Partnerinnen oder Partner verhalten? Wir haben uns mit einer Sexologin über den Verlust der Libido unterhalten.

Eine Frau liegt nachdenklich auf dem Bett und stützt ihren Kopf auf den verschränkten Armen ab.
Ein Libidoverlust kann Betroffene stark belasten. © M. / Unsplash

Sexuelle Unlust: Das Wichtigste in Kürze

In unserem Leben machen wir alle verschiedene Phasen durch. Gleiches gilt für unser Sexualleben, denn auch unsere Libido geht durch Ups und Downs. Dass unsere Lust auf sexuelle Interaktion nicht immer gleich stark ausgeprägt ist, bedeutet jedoch noch nichts Aussergewöhnliches. So kann sich beispielsweise Stress oder zu wenig Schlaf negativ auf unsere Sexualität auswirken. Es gibt allerdings auch andere gesundheitliche Ursachen, die sexuelle Unlust zur Folge haben. Wir haben uns mit der Sexologin M.A. Céline Olivier unterhalten und zeigen, wann eine medizinische Untersuchung nötig ist, was du gegen Libidoverlust tun kannst und wie du in einer Beziehung mit sexueller Unlust umgehst.

Was bedeutet Libido?

Libido bedeutet nichts anderes als sexuelle Lust. Sie verrät, wie gross unser Verlangen nach sexueller Aktivität ist. Dafür verantwortlich sind die jeweiligen Sexualhormone Testosteron und Östrogen. Wie viel von den Hormonen in unserem Körper produziert wird, kann stark variieren und ist unter anderem abhängig von der Tageszeit sowie der psychischen und physischen Verfassung.

Wann ist die sexuelle Lust am grössten?

Tageszeit: Studien haben ergeben, dass die sexuelle Lust bei Männern am Morgen am grössten ist. Frauen hingegen haben laut Studien eher am Abend Lust auf Sex oder Selbstbefriedigung.

Monat: Bei menstruierenden Personen übt zudem der Zyklus einen Einfluss auf die Libido aus. So ist die Lust nach Sex meist um den Eisprung herum am grössten.

Was ist eine normale Libido?

Ob und wie stark man Lust auf Sex oder Selbstbefriedigung verspürt, ist sehr individuell. Das bestätigt auch Céline Olivier: «Was für die einen als 'normale' Libido gilt, ist für die anderen unvorstellbar und während manche Menschen ein hohes sexuelles Begehren haben und häufig sexuell aktiv sind, haben andere ein niedriges sexuelles Bedürfnis.» Es gebe hier weder richtig noch falsch.

Wie äussert sich ein Libidoverlust?

Ein Libidoverlust zeigt sich in einer geminderten Lust an sexueller Aktivität. Dies kann sich sowohl im Sexleben einer Beziehung wie auch bei der Selbstbefriedigung zeigen. Ebenfalls oft mit sexueller Unlust verbunden ist die Abnahme oder Abwesenheit von sexuellen Fantasien.

In Phasen der sexuellen Unlust sei es wichtig, einen differenzierten Blick auf die möglichen Gründe zu werfen, so Olivier. Sie nennt folgende Fragen, um sich darüber klar zu werden, woher der Libidoverlust rührt:

  • Habe ich grundsätzlich kein Interesse an sexuellen Aktivitäten?
  • Oder habe ich zwar Lust auf Selbstbefriedigung, nicht aber auf Paarsex?
  • Habe ich Lust auf Zärtlichkeit, aber nicht auf Sex?
  • Oder habe ich Lust auf Sex, aber nicht mit meinem Partner/meiner Partnerin?
  • Und ganz grundsätzlich: Hatte ich überhaupt schon einmal Lust oder ist mir die Lust vergangen?

Gründe für sexuelle Unlust

Oftmals ist ein Libidoverlust auf Stress oder sonstige psychischen Tiefs zurückzuführen. Aber auch Müdigkeit aufgrund von zu wenig Schlaf kann zu sexueller Unlust führen. Für Menschen in Beziehungen sind zudem zwischenmenschliche Anspannungen unter den Partner:innen mögliche Ursachen für weniger Lust auf sexuelle Aktivitäten. Das bestätigt auch Céline Olivier.

Weitere, mögliche Gründe für sexuelle Unlust können gemässe Céline Olivier sein:

  • Nebenwirkungen von Antidepressiva, Neuroleptika oder anderen Medikamenten, ebenso wie übermässiger Drogen- oder Alkoholkonsum
  • Erkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten oder neurologische Erkrankungen
  • Geringe oder fehlende Lebenszufriedenheit
  • Ein innerer Konflikt mit der sexuellen Orientierung
  • Probleme mit dem eigenen Körperbild und Veränderung des Körpers (z.B. älter werden)
  • Negative und/oder schmerzhafte sexuelle Erfahrungen
  • Mangelnde Intimität, Entfremdung, Bindungsangst sowie hohe Erwartungen an die Beziehung
  • Partnerschaftskonflikte (wegen Finanzen, Kindererziehung, Familienmitgliedern, Aufgabenverteilung)
  • Sexuelle Routine oder sogar Langeweile

Wieso haben Frauen Libidoverlust?

«Frauen leiden öfter unter einem Verlust der Libido aufgrund hormoneller und körperlicher Veränderungen im Zusammenhang mit Schwangerschaften, Stillzeit oder Menopause», so die Sexologin. Aufgrund von Geburtsverletzungen ist die erogene Zone rund um Vulva und Vagina weniger empfindlich und es können urologische Beschwerden (z.B. Inkontinenz) auftreten. Die ausbleibende oder verminderte Fähigkeit, körperliche Signale der sexuellen Erregung zu spüren, zu erkennen und genussvoll zu erleben, könne die sexuelle Unlust verstärken. Auch gesellschaftlich geprägte Rollenbilder können sich auf die sexuelle Lust auswirken. «So ist die Mutter-Rolle beispielsweise gar nicht sexuell konnotiert», bestätigt Olivier.

Woher kommt sexuelle Unlust bei Männern?

Die möglichen Ursachen für sexuelle Unlust bei Männern sind im Grossen und Ganzen ähnlich vielfältig wie bei Frauen – auch hinsichtlich hormoneller Ursachen (z.B. Testosteronmangel). Stress und Beziehungsprobleme sind ebenfalls häufig genannte Ursachen. Allerdings sind Männer noch stärker von Leistungsdruck und damit in Zusammenhang stehende Versagensängste geprägt, die letztendlich zu sexueller Unlust führen können.

Was kann man gegen Libidoverlust machen?

«Das eine Wundermittel gegen sexuelle Unlust gibt es leider nicht», meint Céline Olivier. So zeigen sowohl Hausmittel als auch Medikamente oft nicht den gewünschten Effekt. Auch Viagra könne nicht gegen einen Libidoverlust helfen, da Viagra lediglich die bereits vorhandene Erektion unterstütze. «Ohne Stimulation kann der Erregungsreflex und dann die Erektion aber nicht ausgelöst werden», so Olivier.

Als bestes Mittel gegen sexuelle Unlust nennt Olivier sexuelle Aktivität. «Wer die Selbstbefriedigung oder die Paarsexualität mit Freude und in vollem Bewusstsein erlebt, verschafft sich einen Cocktail mit Glückshormonen», so die Sexologin. Zahlreiche Neurotransmitter und Hormone wie Dopamin, Oxytocin, Serotonin, Noradrenalin, Melatonin und Endorphin würden bei der Bewegung, den Berührungen und den Orgasmen in unserem Organismus freigesetzt und wären ein Super-Booster für Entspannung, Zufriedenheit, Glücksgefühle und Wohlbefinden.

Welche Hausmittel regen die Libido wieder an?

Es gibt einige aphrodisierende Lebensmittel (z.B. Erdbeeren, Austern usw.), die unsere Libido steigern sollen. Laut Céline Olivier ist dem allerdings nicht allzu viel Glauben zu schenken. Die Wirkung von aphrodisierenden Lebensmitteln sei wissenschaftlich nicht belegt. Stattdessen hilft es aber fast immer, ein offenes und ehrliches Gespräch über Bedürfnisse und sexuelle Wünsche zu führen. In diesem Kontext können «aphrodisierende» Lebensmittel durchaus in die Erotik einfliessen.

Libidoverlust in der Beziehung: Wie geht man damit um?

Für Menschen in einer Beziehung kann der eigene wie auch der Libidoverlust der Partnerin oder des Partners bedrückend sein. Oft fragt man sich in Phasen der eigenen sexuellen Unlust, was mit dem Körper nicht stimmt. Zusätzlich will man es der Partnerin oder dem Partner recht machen. Man setzt sich selber unter Druck – ein Teufelskreis beginnt.

Umgekehrt kann auch der Libidoverlust der Partnerin oder des Partners uns zu schaffen machen. Oft beginnen Partner:innen einer Person mit sexueller Unlust, die Zuneigung und Liebe in Frage zu stellen.

Es ist deshalb umso wichtiger, den Verlust der Libido anzusprechen. Als Partner:in wiederum sollte man der betroffenen Person immer Verständnis entgegenbringen. So kannst du Druck nehmen. Céline Olivier rät: «Wenn die sexuelle Unlust mit Leidensdruck verbunden ist, dann sollten sich Menschen Hilfe bei einer Fachperson suchen.» Nur so können Menschen mit sexueller Unlust schrittweise und individuell zurück zu einer lustvollen Sexualität finden.

Über Céline Olivier

Céline Olivier Foto
© zVg

Céline Olivier ist ausgebildete Sexologin und Mitglied der Swiss Society of Sexology. In ihrer Praxis in Nänikon-Greifensee berät sie Menschen in allen Fragen rund um Sexualität und Beziehungen. Ein besonderes Augenmerk legt Olivier dabei auf Sexualität im Übergang zur Elternschaft.

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