Sex-DatingMr. Right now statt Mr.Right
INTERVIEW Wir trafen Sexcoach Vanessa del Rae beim Casual Dating Workshop von C-Date. Hier sollten wir lernen, wie man online lockere Sex-Dates klar macht. Dabei hat uns eine Frage viel mehr interessiert: Warum wollen wir das überhaupt? Ein Face-to-Face-Gespräch über Monogamie, sexuelle Fantasien und die neuen Möglichkeiten im Netz.

Ist Monogamie überbewertet?
Absolut. Die Sehnsucht nach dem One and Only ist da, aber wie beständig ist das? Unsere Träume und Fantasien sprechen eine andere Sprache - und die ist nicht monogam.
Wollen Fantasien denn immer ausgelebt werden?
Viele Paare sterben an Ihrer Schweigsamkeit. Es fehlt schlicht der Mut oder die Möglichkeiten über sexuelle Fantasien zu reden und sie auszuleben. Das Liebesleben verabschiedet sich mehr und mehr aus der Beziehung, aber die Fantasien bleiben und machen uns im schlimmsten Fall irgendwann krank. Als ehemalige Krankenschwester weiss ich, am Sterbebett bereut man immer das, was man nicht gewagt hat.
Wie kommt es, dass wir uns in exklusive Paarbeziehungen zwingen, wenn uns ein Mensch allein nicht genügt?
Das hat natürlich seine Wurzeln in unserer Gesellschaft. Dass Frauen alleine entscheiden können, beschreibt ja nur eine kurze Periode in der Geschichte. Frauen emanzipieren sich noch immer und werden sich noch weiter emanzipieren. Frauen leben schon jetzt viel selbstständiger und viel häufiger als Single, weil sie einfach keine Lust mehr auf die klassische Paarbeziehung haben. Heute sind wir ja noch nicht einmal mehr auf Männer angewiesen, wenn wir Kinder zeugen wollen.
Aber man macht es doch, immer noch: heiraten, sich die Treue schwören – und scheitert dann vielleicht.
Aus gesellschaftlichen Gründen. Und es ist natürlich auch toll in Weiss zu heiraten, dieses Fest zu erleben, sich einem Mann hinzugeben. Das hat natürlich etwas, in der Hoch-Zeit. Aber letztlich, wie viele Paare gibt es, die das tatsächlich durchhalten?
Woran scheitern wir?
Viele Ehen scheitern, weil es heute einfach viel mehr Möglichkeiten gibt. Welcher Partner kann schon für den anderen alle Bereiche abdecken, die ich gerne abgedeckt haben möchte? Das strebt natürlich gegen Null. Ich kenne viele die sagen, ich habe unterschiedliche Männer, die unterschiedliche Bereiche für mich abdecken und das finde ich auch mutig zu tun.
Über Vanessa del Rae
Als Life- und Sexcoach rund um Ihre Berliner Sensuality-School schafft Vanessa del Rae einen Rahmen, in dem das Tabuthema Sexualität mit Spass und Leichtigkeit Raum findet. Gemeinsam mit Ihren Klienten spürt del Rae ganz persönlichen, intimen, vielleicht noch ungeahnten Fantasien nach, um neue Möglichkeiten und Dimensionen auf Ihrem Weg zu einem zufriedenen, erfüllten Leben und Sexleben zu entdecken.
Und wie erzählt sich die Geschichte aus männlicher Perspektive. Was wollen Männer?
Sie wollen eine Frau die monogam ist, wollen aber selber nicht monogam leben.
Das ist unser Stichwort um zum Casual-Dating überzuleiten! Man hört immer wieder, dass viele User, vor allem männliche, Casual-Dating für Seitensprünge nutzen. Vielleicht werden dem Versprechen nach Fantasien wahr, aber macht das glücklicher, wenn man dabei ständig Lügen muss?
Was heisst Glücklichsein? Ist Glücklichsein ein Status, den man irgendwann erreicht oder handelt es sich um einzelne Momente? Tatsache ist, dass es gemacht wird. Das Angebot ist da. Die Fantasien sind da. Casual-Dating hat den Nerv einer Gesellschaft getroffen.
Oder den Nervenkitzel? Weil wir ja eigentlich nicht fremdgehen und promiskuitiv leben sollten?
Jeder der reglementiert wird, hat die Tendenz irgendwann auszubrechen. Wenn ich angekettet werde, dann will ich weg. Das heisst letztlich: Je konventioneller die Gesellschaft, desto grösser und stärker werden die Fantasien und der Drang diese auszuleben.
Wenn es gesellschaftlich akzeptiert wäre, offen wechselnde Partnerschaften zu führen, dann gäbe es so etwas wie Casual-Dating gar nicht?
Der verbotene Apfel schmeckt bekanntlich am besten. Aber ich glaube auch nicht, dass wir diese Toleranz erreichen werden. Wir sind schon evolutionär darauf geeicht einen Partner haben zu wollen, um unsere Kinder zu schützen. Da haben polygame Lebensmodelle keinen Platz, weil das ein wichtiges Bedürfnis ist. Und dann kommt natürlich Eifersucht ins Spiel. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der wirklich frei von Eifersucht gewesen wäre.
Ich habe mich mal mit einem Paartherapeuten unterhalten, der die offene Beziehung für die Ideallösung hält, gleichzeitig hat er noch kein Paar getroffen, das diese gemeistert hätte.
Die Frage ist auch, warum ich mich für oder gegen ein Beziehungsmodell für den Rest meines Lebens entscheiden muss. Das ist ja das Problem, warum sich viele Menschen nicht für einen Partner entscheiden wollen. Wir haben gelernt, dass wenn wir uns jetzt für einen Partner entscheiden, dann müssen wir das gut überlegen, weil etwas anderes gibt es dann nicht. Wir können nicht ausprobieren. Aber woher weiss ich, was in 30 Jahren ist? Die Möglichkeit zu haben verschiedene Phasen auszuprobieren, eine Zeit lang polygam zu leben, um dann in eine monogame Beziehung zu führen und umgekehrt, wäre für mich ein Lösungsansatz, um den Druck wegzunehmen, dass meine Liebesentscheidung für den Rest meines ganzen Lebens gültig sein muss.
Adieu Mr. Right, Hallo Mr. Right now!
Genau. Ich kann mich entscheiden mit einem Partner jetzt eine gute Zeit zu haben. Denn jede Beziehung beschreibt einen Bogen. Sie hat einen Anfang, eine Hoch-Zeit, vielleicht auch eine Hochzeit, aber sie hat auch ein Ende. Ob nach einem Jahr, ob nach 5, 15 oder 50.
Wann ist dieses Ende erreicht?
Wenn ich feststelle, dass sich die Interessen auseinander bewegen, dann ist die Beziehung einfach aus. Das ist aber nicht gegen den einen oder gegen den anderen gerichtet, sondern das ist einfach ein Ende. Das muss man akzeptieren und sich sagen, dann finde ich eben einen anderen Mr. Right now.
Wenn man Ihre persönliche Geschichte kennt, weiss man, dass der Weg zur selbstbewussten Frau, die Sie heute sind, ein langer war. Ursprünglich haben Sie als Krankenschwester in einer Diakonie gearbeitet, waren verheiratet, bis Ihr Mann mit einer guten Freundin ein Kind zeugte. Würden Sie heute ähnlich denken, wäre das nicht passiert?
Niemand verlässt freiwillig seine Komfortzone! Manchmal brauchen wir einen Tritt in den Allerwertesten und manchmal auch einen härteren. Ich bin unglaublich dankbar, dass mir das passiert ist. Ohne dieses schreckliche Erlebnis wären mir sehr viele schöne Dinge nicht passiert.
Wenn Monogamie überschätzt ist, sind heute Face-to-Face Flirts unterschätzt? Warum gehen wir nicht einfach in eine Bar und reden miteinander?
Viele sind beruflich oder mit Kindern zeitlich so stark eingeschränkt, dass die Möglichkeiten fehlen raus zu gehen. Und vielen fehlt schlicht der Mut. Die Angst vor einer Zurückweisung ist gross. Das Netz bietet die Möglichkeit sich vorsichtig ran zu tasten.
Ist Casual-Dating allein eine praktische Frage: Komm ich raus, hab ich den Mut, brauch ich’s?
Genau, aber es ist auch eine Frage des Social Media Zeitalters. Es gibt Leute, die sitzen in einer Bar, trauen sich dort aber nicht jemanden anzusprechen, haben aber währenddessen möglicherweise mit dem Smartphone irgendwo ein Casual Date arrangiert und trauen sich dort hin zu gehen. Das ist schon manchmal ein wenig verquer, aber wenn es funktioniert, ist es gut.
Wie wichtig ist Anonymität für das Ausleben sexueller Freiheit?
Ich kann mich natürlich anonym besser ausleben, weil ich viel weniger Gefahr laufe abgelehnt zu werden, als wenn ich in eine Bar gehe und sage ich hätte gerne mal Lust auf Peitsche.
Der Druck ist im Netz vielleicht ein anderer. Wenn ich mir ein Flirt-Profil anlege, muss ich mich immer ins rechte Licht rücken. Das muss anstrengend sein.
Wenn ich irgendwo Face-to-Face flirte, versuch ich ja auch meine Schokoladenseite zu zeigen. Aber da kann ich mein Gegenüber wahrscheinlich besser einschätzen. Die Tastatur ist geduldig. Es ist nämlich tatsächlich so, dass Männer oft die Körpergrösse nach oben korrigieren. Frauen tricksen dagegen bei den Massen. Treffen sich die Menschen dann real, ist die Enttäuschung gross. Ich kann nur raten zu sich selbst zu stehen. Jeder Topf hat einen Deckel.
Ich kann die Trickserei schon gut verstehen. Bevor ich überhaupt ins Gespräch komme, muss ich ja erst die Passkontrolle bestehen. Persönlichkeit und liebenswürdige Eigenheiten kann das Internet eben nicht so fein filtern.
Das ist sicherlich eine Schattenseite des virtuellen Kennenlernens. Und möglicherweise ziehe ich auch Auswahlkriterien heran, die bei einer realen Begegnung gar keine Rolle spielen würden. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Da zählt ein Punktesystem. Schneller, weiter, höher. Es geht um den Marktwert und das ist für die Partnersuche natürlich mehr als kontraproduktiv.
Interview: Nathalie Riffard, 31.07.2014, Foto: Photos.com, Thinkstock