Porno, online, gratis...Wo Sex nur ein Klick entfernt ist

Sex war noch nie so billig, so weit verbreitet und so schnell zu haben - und nie war er so weit weg von den Menschen. Denn mit runter gelassenen Hosen schaut man meist alleine in die Röhre.

Online Pornos: Wo bleibt das echte Leben?

Jeden Tag suchen rund 17 Millionen nach dem Sex. Wo er im Netz lockt, ist auch der Online-Porno nur ein Klick entfernt. Rund 14 Millionen Suchanfragen werden 24/7 nach der filmischen Erregung gestellt. Dabei muss man gar nicht so lange suchen. Laut dem Safer Surfing Projekt Nackte Tatsachen finden sich auf jeder dritten Website pornografische Inhalte. Das Computer Magazin CHIP schätzt den Umsatz der Sexindustrie auf knapp 100 Milliarden. Das ist mehr als die Tech- und Netzgiganten Microsoft, Google, Yahoo, Apple, Ebay und Amazon zusammen umsetzen.

Die Lust wandert immer häufiger ins Netz ab, während unter Paaren der grosse Frust herrscht. Doch was geschieht mit uns und unseren Beziehungen, wenn Porno Alltag ist? Unsere Redakteurin auf den Spuren des Phänomens Porno, dass weniger von der Erregung, sondern der Einsamkeit erzählt.

Porno ist Pop

Was lockt weltweit Millionen von Jungen, Gutaussehenden, Verbandelte oder Verheiraten scharenweise ins Netz? Denn dass Pornovideos allein eine Ersatzbefriedigung für einsame Singles oder Perverslinge ist, ist eine Mär, die sich vor allem Paare als Gute-Nacht-Geschichte erzählen, bevor sie einander nach einem langen stressigen Tag migränegeplagt den Rücken zukehren. Hätten sie vorher zusammen einen erotischen Film geschaut, wäre es wohl anders gekommen. Denn es ist beinahe unmöglich Menschen beim Sex zu beobachten, ohne selbst erregt zu werden. Nicht von ungefähr ist Porno Mainstream und der mit Abstand am schnellsten wachsende Markt im Web.

Doch die meisten glotzen alleine und bleiben auch mit ihrer Lust einsam. Wäre es nicht viel schöner diese mit einem anderen Menschen zu teilen? Warum entscheiden sich immer mehr für Selbstbefriedigung vor dem Screen? Der klinische Psychologe Dr. John Suler hat sich intensiv mit dem Verhalten von Menschen im Internet befasst und weiss, dass vor allen die totale Anonymität zu Web-Porno und Cybersex verführt. Unsichtbar durchs WWW zu surfen verleihe selbst den schüchternsten Menschen den Mut, Orte zu erkunden und Dinge zu tun, die sie im Real-Life niemals wagen würden. Pornokonsum beschreibt dann den Moment, wenn soziale Kontrolle und der Erwartungsdruck völlig abfallen.

«Die Körper sind explodiert und die Anteilnahme erkaltet»

Das klingt einerseits gut. Denn wie viele von uns knipsen beim Sex schön das Licht aus, um die eigenen körperlichen Unzulänglichkeiten zu kaschieren? Mit High Heels strecken wir die Beine und pimpen den Po. Der Push-up BH wird mit Gelkissen gefüllt. False Lashes lassen die Wimpern klimpern. Alles um so auszusehen, wie es uns die perfekten Körper auf Werbeplakaten und Hochglanz-Gazetten vormachen. In einer solchen Gesellschaft sind wir permanent damit beschäftigt, uns als begehrenswert zu inszenieren, diagnostizierte die Philosophin und Autorin Ariadne Schirach bereits Mitte der 00er Jahre. In ihrem Buch «Der Tanz um die Lust» erzählt die damalige Studentin von dem Druck in unserer übersexualisierten Gesellschaft jung und sexy zu sein, der uns schliesslich gleichzeitig dauergeil mache und abstumpfen lasse. Die Körper sind explodiert und die Anteilnahme erkaltet.» Nur die Erregung sei geblieben, konstatiert sie.

Aber nicht nur Frauen haben ihre ganz eigenen Real-Life Photoshop-Methoden, auch Männer werden mehr und mehr von Selbstzweifeln geplagt. Umso mehr, als sie sich die Jägerrolle mit offenbar immer erfolgreicheren und selbstbewussteren Frauen teilen müssen.

Und schliesslich weiss die Cosmo ganz genau, welche Regeln wir im Schlafzimmer unbedingt befolgen sollten: «75 Sex Moves, die Sie ausprobieren müssen», «7 Wege, um seinen Orgasmus zu verstärken»,«12 Gerichte um den Intimgeruch zu aphrodisieren» oder «19 sexy Outfits, denen er nicht widerstehen kann». Permanent wird uns vermittelt, wie wir aussehen müssen, wie wir uns bewegen sollen und was uns erregen soll. Doch nichts ist ein grösserer Lusttöter, als die ständige Aufforderung zur Sexyness.

Für die schnelle Befriedigung im Netz, muss man sich dagegen nicht hübsch machen, mit anderen konkurrieren oder mit spannenden Hobbys, beruflichen Erfolgen oder tollen Geschichten beeindrucken. Nichts ist peinlich, nirgends lauert die Gefahr der Zurückweisung. Für jede Fantasie ein Film, auch für Frauen. Denn was oft unterschätzt wird, längst vor Shades of Grey war jeder dritte Besucher einer Website mit pornografischen Inhalten weiblich.

«Schatz, ich will gespankt werden»

A propos Shades of Grey: Andere wiederum trauen sich nicht ihrem Partnern zu erzählen, dass Kuschelsex alleine nicht genug ist oder dass sie die Berührungen an bestimmten Stellen eigentlich gar nicht mögen. Besonders am Anfang einer Beziehung möchte man gefallen und den anderen nicht verletzten. Aus derselben Angst vor Zurückweisung, flüchten sich immer mehr Menschen in eine virtuelle Welt, die eine scheinbar gefahrlose schnelle Befriedigung und unkontrolliertes Loslassen verspricht. Doch das ist ein Trugschluss, nicht wenige rutschen in die Sucht, brauchen immer mehr und stärkere sexuelle Reize.

Der Schweizer Psychotherapeut Dr. Samuel Pfeiffer lernt als Chefarzt einer psychiatrischen Klinik vor allem die Schattenseite der immer verfügbaren Erregung kennen. Nicht selten führe übermässiger Pornokumsum «zu einer einseitigen Sexualisierung intimer Beziehungsformen unter weitgehendem Verlust von Würde und Respekt für den Menschen als Ganzes - als Einheit von Körper und Gefühl, von Geist, Seele und Leib in seiner geschöpflichen Intention».

Je mehr sich die Kultur sexualisiert, desto normaler scheint es menschliche Körper als Objekte zu betrachten, die allein der Lustbefriedigung dienen. Vor allem Jugendliche, die schon früh zu den Hochkonsumenten Pornografie gehören, tun sich laut einer skandinavischen Studie schwer Fiktion von Realität zu unterscheiden. Auch das Angebot verändert sich. Pornos werden immer härter und extremer. Welche langfristigen Folgen ständig verfügbare Sexvideos auf die Sexualität der jüngeren Generation haben, ist allerdings noch nicht erforscht.

Bernd Siggelkow, der «Die Arche» in Berlin leitet, die versucht Kinder aus sozial schwachen Familien ein Tages- und Beratungsprogramm zu bieten, zeichnet ein düsteres Zukunftsbild. In einer sexuell entabuisierten Gesellschaft verwahrlose die Sexualität, schreibt Siggelkow in seinem Buch «Deutschlands sexuelle Tragödie». Wer von Pornofilmen aufgeklärt werde, lerne nicht, was Liebe und Partnerschaft bedeutet.

Generation Porno?

Junge Pärchen tauschten keine Zärtlichkeit mehr, weil sie das im Porno nicht vorgemacht bekommen. Teenager übten sich im Gruppensex und der häufige Partnerwechsel werde zum sportlichen Wettkampf, natürlich ohne zu verhüten. Siggelkow der mit erschreckenden Fallbeispielen aus seinen eigenen Erfahrungen in Berliner Brennpunkten schockierte und eine Debatte über den Pornokonsum unter Jugendlichen auslöste, musste sich allerdings auch viel Kritik gefallen lassen. Wissenschaftliche Belege fehlen in seinen Schilderungen gänzlich. Jugendsex-Forscherin Silja Mathiessen beruhigt, indem sie erklärt, Siggelkows Schilderungen seien zwar schlimme, aber Einzel-Fälle. Die Durschschnittssexualität Jugenlicher sei nicht roher als noch vor 20 Jahren, sagten die Daten.

Doch was passiert mit dem Einzelnen, der regelmässig harte Pornos schaut? Der Sex wird notwendig einseitig, wenn man die Wünsche eines anderen nicht mehr erfüllen soll oder will. Man stumpft ab und braucht immer stärkere Reize, um überhaupt noch etwas spüren zu können. In der Folge findet Sex immer häufiger in anonymen Sphären als in zwischenmenschlichen Beziehungen statt.

Aber nicht allein Youporn & Co. haben die Beziehungen in unserer heutigen Informationsgesellschaft kolonisiert. Facebook, Flirtportale, Partnerbörsen und Seitensprungportale haben den Umgang der Geschlechter verändert. Was passiert, wenn sich menschliche Kommunikation und die Suche nach Nähe mehr und mehr ins Digitale verlagern, hat die Paartherapeutin Felicitas Heyne in Ihrem Buch «Fremdenverkehr – Warum wir soviel über Sex reden du keinen mehr haben» anhand ihrer eigenen Therapieerfahrungen versucht nachzuzeichnen.

In den westlichen Ländern haben sich Beziehungen immer mehr von äusseren Notwendigkeiten gelöst, erklärt die Paartherapeutin. «Heute ist es nur noch die Liebe, die für eine Beziehung spricht. (...) in diesem heute einzigen Beziehungsklebstoff, sollte Sex ein essentieller Bestandteil sein», rät die Paarexpertin.

Stress im Job, der Kredit für das Haus und die Kinder machen Druck . Gerade in längeren Beziehungen werde Sex häufig zu einem Randthema, wobei meist einer der Partner unter dieser Entscheidung leide - und seine Lust anderweitig zu befriedigen suche. Zum Beispiel im Netz.

Doch nichts kommt von selbst. Der Verlust der Lust sei ein völllig erwartbarer Schatten der auf Langzeitbeziehungen fällt, sagt Heyne. Die Liebe und guter Sex erforderten deshalb die dauerhafte Anstrengung beider Beziehungspartner. Vor allem regelmässige Gespräche kämen in langen Beziehungen oft zu kurz, weil sie durch den Alltagsstress überdeckt werden. Dabei sei es so wichtig, fortwährend nach den Wünschen und Träumen, Ängsten und Zielen des Partners zu Fragen. Denn daraus könne immer wieder ein Wir-Gefühl entstehen, das auch die Lust wieder zurück ins Bett bringt. Denn ein gutes Gespräch kann wie ein guter Porno wirken.

Text: Nathalie Riffard, 08.02.2013

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