POPCORN & PEITSCHEWarum uns Shades of Grey fesselt
Wer zähmt hier wen? Anastasia ihren unverschämt reichen Bad Boy oder Hollywood einen grobgeschnitzten Hausfrauenporno? Auf einen Skandal wartet man im Kino jedenfalls vergeblich. Denn die geheimen Fantasien von Frauen sind viel gewöhnlicher.

Rolle noch einmal mit den Augen und ich lege dich übers Knie!
So schön, Herr Grau!
Zuckerbrot und Peitsche zum Film? Aber gern, wenn Universal Pictures zur Kinovorstellung des Überbestsellers Shades of Grey lädt. Ab heute läuft der meist erwartete Film in 2015 in den Kinos – kein Trailer wurde öfter geschaut - und beantwortet die drängendste Frage: viel Hype um nichts?
Was ist dieses «geheime Verlangen» von Frauen, dass es wert ist hunderte von Seiten ohne literarischen Anspruch zu verschlingen und zehn Kinosäle allein in Zürich zu besetzen? Denn ein Phänomen ist es doch, wenn ein Buch, von dem jeder weiss, dass es grausam geschrieben ist, 100 Millionen neugierig und viele von ihnen zu Fans macht.
Ist es die aufregende Beziehung zwischen zwei scheinbar unüberbrückbaren Welten: einer romantischen und mittelosen Studentin und dem emotional-verhinderten Milliardär?
Wo warst du?» «Ich habe gewartet.»
Da da da dam... Pretty Woman, walkin’ down the street... Nun dieses Stück wurde schon mal so ähnlich aufgeführt. Das alleine reicht nicht. Ist es dieses «köstliche Knistern» von dem Anastasia im Buch immer wieder (wirklich immer wieder) erzählt?
Geknistert hat es zwischen den Haupdarstellern Dakota Johnson und Jamie Dornan. Vielleicht nicht ganz so laut wie das Rascheln der Popkorntüten. Enttäuscht hat der Film trotzdem nicht. Er hat aus E.L. James ausuferndem Schreiberguss (Lesen Sie hier die Buchkritik zum ersten Teil der Trilogie: Shades of Grey - Fesselnder Lesestoff oder ausbuchstabierte Qual?) einen geniessbaren Liebesfilm mit viel Schmacht, viel Akt und weniger Peitsche zusammengestrichen. FSK 16. Unzufällig, passend zum Valentinstag.
Ich mache keine Liebe. Ich ficke. Hart.
Plot-Report: Um was geht’s eigentlich in Shades of Grey?
Der Filmplot bleibt dicht am Buch und zeigt die wichtigsten Szenen im Zeitraffer: College-Chic und blaugraues Krawatten-Kabinett treffen aufeinander, wenn die Studentin Anastasia Steele den erfolgsverwöhnten Jung-Unternehmer Christian Grey für die Studentenzeitung interviewt. Die wichtigste Frage, wird auch beantwortet: «Sind Sie schwul?» «Nein, ich bin nicht schwul, Miss Steele.» Warum Frauenmagnat Grey aber trotzdem noch nie mit einer Freundin gesehen war, soll die schockverliebte Anastasia erst später erfahren. Obwohl die erste Filmstunde nämlich ziemlich romantisch mit dem Heli abhebt, besteht Christian Grey mittendrin darauf, überhaupt nicht romantisch zu sein. Anstatt Kino, Eislaufen und Dinner bei Kerzenlicht, serviert er einen Vertrag. Mit ihrer Unterschrift soll sich Anastasia freiwillig dazu bereit erklären, sich ihm zu unterwerfen.
Film schlägt Buch
Der Film beherzigt gegenüber der Buchvorlage die Grundregel einer guten Geschichte: Zeige es, aber berichte es nicht («Show, don’t tell!»).
Während Buchautorin E.L. James versäumte, Ihren Figuren ein Eigenleben einzuhauchen, vertraut der Film auf Bilder, Mimik und spitze Dialoge. Eine der klügsten Entscheidungen der Filmmacher war es die schizophrene Ich-Erzählerin aus dem Buch zum Schweigen zu bringen. Es gibt keine Monologe von Anastasias «Innerer Göttin», die wiederum für ihr sexuelles Verlangen von der Moral-Apostel getadelt wird. Und damit darf der Zuschauer selbst ein wenig mitdenken.
So wirkt der innere Kampf von Anastasia im Film auf Weite strecken glaubwürdiger. Atmosphäre und Plot bleiben in Balance, während das Buch einfach immer weiter handelt, ohne innezuhalten.
Zu den gelungensten Filmszenen gehört das bewusst als absurd dargestellte Business-Meeting bei dem Anastasia und Christian die Details des Vertrags besprechen. Dabei sitzen sich Anastasia an einem meterlangen Konferenztisch gegenüber und verhandeln peinlich genau, wie viel vom eigenen Willen Sub Anastasia an Dom Christian freiwillig abtritt. Unterschreiben wird Anastasia jedoch am Ende nicht. Wer kontrolliert hier wen?
Dakota tut Anastasia gut. Und Anastasia tut Dakota gut.

Das kommt gut, vor allem für Dakota Johnson. Das ziemliche lange Vorspiel mit Christian Grey könnte für sie in ziemliche Höhen katapultieren. Im Februar auf dem US-Vogue-Cover wird sie bereits als neue Vivien Reigh gefeiert («Scarlett O’Hara in «Im Winde verweht): «Dakota hat die Fähigkeit so zerbrechlich und verwundbar zu spielen, aber mit einer unterliegenden Stärke, die dich fühlen lässt, dass sie triumphieren wird.»
Analfisting – streichen. Vaginalfisting ...» «Das sollten Sie sich nochmal überlegen, Miss Steele!» «Streichen.»
Die schlimmsten prosaischen Peinlichkeiten wurden von Regisseurin Sam Taylor-Johnson und Drehbuchautorin Kelly Marcel von der Leinwand gewischt. Damit aber auch das letzte Skandalpotential: Wer auf die berüchtigte Tamponszene, Blow-Jobs zum Frühstück oder fleischfarbene Details von Ex-Calvin-Klein Model Jamie Dornan hofft, sitzt im falschen Kino. Auch die pikanten Ausflüge ins Sado-Maso-Spielzimmer wurden teenagergerecht entschärft.
Das es eine brave Veranstaltung werden würde, hatte Hauptdarsteller Jamie Dornan schon in Vorab-Interviews ausgeplaudert. Wenn man so viele Kinozuschauer wie möglich erreichen wolle, könne man einen grossen Teil des Publikums nicht mit hässlichen und grafischen Szenen rausekeln, sagt Dornan. Ein SM-Drama geht anders. Siehe die Geschichte der O.
Die Entscheidung für das Mainstream-Publikum ist Stärke und Schwäche des Films zugleich. Denn eine andere wichtige Regel des guten Erzählens wird sträflich missachtet. Wer sorgfältig aufgereihte BDSM-Accessoires zeigt, sollte damit auch spielen.
«Warum willst du mir weh tun?» «Weil ich so bin. Weil ich muss. Weil ich in 50 Schattierungen abgefuckt bin.»
Das perfekt eingerichtet «Spielzimmer» bleibt aber bis auf sechs Peitschenhiebe ungenutzt. Anastasia bittet Christian, ihr zu zeigen, was es für sie bedeuten wird, wenn Sie sich zur Sub machen lässt. Er peitscht auf ihren Hintern, sie muss mitzählen. 1, 2, 3, 4, 5, 6. Genug für Anastasia. Sie verlässt Grey. Das ist verständlich, aber beschämt auch den Hype um das «neue» Verlangen von Frauen sich im Bett unterwerfen zu wollen.
Viel zu abgefucked

So schafft der Film den Brückenschlag in den Mainstream mit links, scheitert aber die so prominent zitierte Abgefuckedheit einzufangen. Ob man damit das keusche Amerika nicht erschrecken wollte oder das lukrative Geschäft mit Soft-Bondage-Accessoires weiter anheizen will, Schmerzen gehen in der Verfilmung nicht als lustvoll durch.
Denn in die Abgründe menschlichen Verlangens will nicht allzu tief geblickt werden. Dabei wäre es durchaus interessant zu fragen, ob einander Schmerzen zuzufügen und sie zu ertragen, nicht nur lustvoll, sondern eine Form von Liebe sein kann. Der Film begnügt sich wie das Buch mit Küchenpsychologie: Mutterkomplex trifft auf Vaterkomplex.
Schade, schliesslich hatten sowohl Taylor-Johnson als auch Dornan vor dem Dreh BDSM-Studios besucht und vielleicht eine realistischere Idee im Kopf. Durchgesetzt hat offensichtlich E.L. James. In einem Interview mit der Vanity Fair berichtete Taylor-Johnson offen über andauernde kreative Auseinandersetzungen mit der Buchautorin, die sich als Anwalt ihrer Fans verstanden wissen wollte und die künstlerisch-ausgewiesene Regisseurin Taylor-Johnson am Boden hielt, wenn die Ideen mit ihr durchgingen.
Subtilere Zeichen, die uns durch «das dunkle Grimm-Märchen für Erwachsene» führen könnten, vermisst man kläglich. Mit dem Bild des schlaflosen-melancholischen Pianoklimperers für Christian Grey sorgt Taylor-Johnson eher für unfreiwillige Komik. Haare beim Kotzen halten und Segelfliegen als romantische Eskapaden einer Beziehung passen besser zu leichtfüssigen College-Filmen. Aber vielleicht auch besser zu Shades of Grey.
Liebe ist Liebe ist Liebe

Denn das Shades of Grey im Kern eine nicht allzu wild zusammenfantasierte Liebesgeschichte zwischen der unschuldigen Literaturstudentin und dem emotional verhinderten Milliardär ist, begründet seinen Erfolg. Der von einer Kontrollsucht geplagte Christian Grey kann sich gegenüber Anastasia immer mehr öffnen und befriedigt so nicht die geheimen sexuellen Wünsche, sondern vielmehr die romantischen Sehnsüchte vieler Leserinnen: Einen ziemlich kaputten Typen durch die einzig wahre Liebe zu heilen.
Dazu ein wenig Chili zum Vanilla-Sex und regelmässige UPS-Paket mit Apple-Laptops, schnittigen Kleinwagen und Champagner. «Der ultimative Traumtyp», sagt E.L. James.
Dafür kann man auch mal sechs Peitschenhiebe für Aschenbrödel verkraften.
Bilder und Videos: Universal Pictures, Titelbild: Foto: Screenshot Official Trailer (Universal Pictures)