FrauenquoteWarum sie die Schweiz braucht

Frauenquoten und Quotenfrauen brauchen wir nicht, das regeln wir schon alleine - und auf freiwilliger Basis. Das hört man oft von Männern und Frauen. Kathrin Arioli, die neue Präsidentin von UN Women Schweiz, glaubt das nicht mehr. Warum wir die Quote brauchen, erklärt die Gleichstellungsexpertin im Interview.

Kathrin Arioli, Präsidentin von UN Women Schweiz ist für die Frauenquote.

Seit März ist sie die neue Präsidentin von UN Women Schweiz und in Frauenfragen keine Unbekannte. Die promovierte Juristin Kathrin Arioli arbeitete 21 Jahre in der Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Zürich, zwölf davon in leitender Funktion, bevor sie das Ruder einer neuen Kraft überliess und der beruflichen Herausforderung als Generalsekretärin der Direktion des Innern des Kantons Zug folgte. Es dauerte kaum zwei Jahre bis sie sich wieder öffentlich als «Anwältin der Gleichstellung» engagiert. Diesmal ehrenamtlich, an der Spitze von UN Women Schweiz. Nicht um im Rampenlicht zu stehen, sondern um ihre bisherigen Erfahrungen für die Sache einzusetzen. Denn wer mit Kathrin Arioli spricht, der merkt sofort, dass ihr das Thema eine Herzensangelegenheit ist. Wir trafen die frischgekürte Präsidentin von UN Women Schweiz zum Gespräch über richtige Frauenquoten und falsche Quotenfrauen.

Femelle: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl als Präsidentin der UN Women Schweiz. Wo möchten Sie zuerst anpacken? Wo herrscht der grösste Nachholbedarf in Sachen Gleichstellung?

Kathrin Arioli: Es gibt viele Baustellen. Beispielsweise die Abstimmung am 3. März über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es ist zu bedauern, dass konservative Kantone die Volksmehrheit blockiert haben, aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass dieser Aspekt der Gleichstellung noch nicht überall im Bewusstsein ist. Ein weiteres Beispiel ist die Gleichstellung im Erwerbsleben, hier geht es zwar voran, aber sehr langsam. Lohngleichheit ist immer noch ein grosses Thema, ebenso wie der geringe Frauenanteil in Führungspositionen und in der Politik. Es gibt Kantone, die schicken keine einzige Frau ins Bundesparlament.

Es wurde aber auch schon Einiges erreicht. Wenn man bedenkt wie spät die Schweiz im internationalen Vergleich das Frauenstimmrecht eingeführt hat, haben wir schnell Fortschritte gemacht. Aber es gibt immer noch viel zu tun.

Eines Ihrer Projekte zur Gleichstellung von Frauen sind die Women Empowerment Principles (WEP). Dabei handelt es sich um ein weltweites Grundsatzprogramm zur Stärkung von Frauen, dem sich Unternehmen freiwillig verpflichten können. Wenn man die Prinzipien überfliegt, findet man allerdings keine Forderung, die in der Schweiz nicht längst selbstverständlich sein sollte. Bislang haben nur 16 Unternehmen unterzeichnet. Warum ist es so schwierig Unternehmen zu einem Bekenntnis zur Frauenförderung zu bewegen?

Das hat verschiedene Gründe. Einerseits kann es sein, dass ein Unternehmen die Gleichstellung von Frau und Mann als nicht so wichtig erachtet oder nicht einsieht, dass es sich dafür engagieren muss. Viele sehen es vielleicht auch nicht als positives Imagemittel um sich gegenüber Frauen als attraktiver Arbeitgeber oder Marke zu präsentieren.

Ein Fehler? Es gibt immer mehr Studien, die belegen, dass Unternehmen auch wirtschaftlich von Frauenförderung profitieren und es sich angesichts des demografischen Wandels nicht mehr leisten können auf qualifizierte Frauen zu verzichten. Die EU-Kommission hat deshalb jüngst ein EU-Gesetz für eine Frauenquote von 40 Prozent in den Verwaltungsräten vorgelegt, weil nichts vorangeht. Glauben Sie, dass es sinnvoll ist, Unternehmen ein Gesetz gegen ihren Willen aufzudrücken?

Ich bin seit vielen Jahren eine vehemente Verfechterin von Frauenquoten. Ich denke zwar nicht, dass sie ein Allheilmittel sind, aber meiner Meinung nach braucht es sie, damit überhaupt etwas in Bewegung kommt. Allerdings ist es wichtig, dass das Gesetz von einer gleichstellungsfreundlichen Unternehmenskultur begleitet wird. Nur die gesetzliche Quote alleine reicht nicht. Dann fühlen sich die Frauen als Quotenfrauen und Kollegen klagen über die mangelnde Kompetenz. Vorurteile, die schon bestehen, bestehen dann weiterhin. Vorurteile und Rollenbilder kann man nicht mit Zahlenvorgaben auflösen, aber man braucht sie, damit Bewegung in die Sache kommt.

Women’s Empowerment Principles (WEP)

Die WEP umfasst sieben Grundsätze an denen Unternehmen ihre fortlaufenden Bemühungen für eine gleichstellungsfreundliche Unternehmenskultur orientieren und die Stärkung von Frauen zur Chefsache erklären. Die sieben Prinzipien umfassen:

  • Etablierung einer gleichstellungsfreundlichen Führungskultur
  • Faire Behandlung aller Männer und Frauen, Einhaltung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung
  • Gewährleistung der Gesundheit und Sicherheit aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
  • Förderung der Ausbildung, Bildung und beruflichen Entwicklung von Frauen
  • Förderung des Unternehmertums von Frauen, Stärkung ihrer Rolle und Respektierung ihrer Würde bei allen Marketingmassnahmen
  • Förderung der Gleichstellung durch gemeinschaftliche Initiativen und Lobbyarbeit
  • Transparenz über die Fortschritte im Bereich der Gleichstellung von Frau und Mann

Sie haben es selbst angesprochen, die Schweiz hat im internationalen Vergleich das Frauenstimmrecht erst sehr spät eingeführt. Vielleicht müssen wir mit der Schweiz einfach mehr Geduld haben?

Ich wäre nicht 20 Jahre als Gleichstellungsbeauftragte tätig gewesen, hätte ich gedacht, ich muss einfach warten. Ich glaube auch nicht, dass sich dieses Problem mit Warten erledigt. Für mich ist die Gleichstellung von Frau und Mann ein klares Staatsziel auf das man hinarbeitet und das sich nicht einfach von selbst verwirklicht. Deshalb gilt es zieladäquate Massnahmen zu finden, die helfen diese Zielerreichung zu beschleunigen.

Also ändert sich ohne gesetzliche Frauenquote nichts?

Ich glaube nicht, dass es nur neue Gesetze braucht. Es braucht auch staatliche, gesellschaftliche sowie unternehmerische Aktivitäten. Zusätzlich zu den Gesetzen benötigt man aber auch Geld. Die Lohnleichheitsfrage ist zum Beispiel auch eine Frage, wie viel es uns wert ist, dass die Löhne gleich verteilt sind.

Was viele nicht wissen, ist dass die Frauenquote eine relativ alte Idee ist. Sie selbst haben sich schon vor über 20 Jahren mit dem Thema Frauenquote in Ihrer Dissertation beschäftigt.

Ich bin Juristin und das war eine rechtswissenschaftliche Dissertation in der die Frage behandelt wurde, ob Frauenquoten verfassungsrechtlich überhaupt zulässig sind. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sie zulässig sind. Aber natürlich gibt es Schranken. Quoten dürfen beispielsweise nicht unabhängig von jeglicher Qualifikation sein.

Hat sich Ihre Meinung zu Frauenquoten in den letzten 20 Jahren verändert?

Ich bin damals schon zu dem Schluss gekommen, dass es die Frauenquote braucht und komme heute zu demselben Schluss, weil in den vergangenen 20 Jahren in dieser Richtung nichts passiert ist. Heute kann ich umso mehr sagen: Ja, es braucht Frauenquoten, ganz offensichtlich. Die Zeit hat gezeigt, dass sich ohne Quoten nichts ändert.

Warum glauben Sie ist der Widerstand immer noch so gross? Man spricht ja schon länger von Frauenquoten, auch in der Schweiz. In der Politik gab es vor 13 Jahren bereits eine Quoten-Initiative für die Politik, die mit über 80% beim Volk durchgefallen ist.

Ich denke, sehr viele Frauen haben sich lange gegen Quoten gewehrt, weil sie fürchteten als Quotenfrau abgestempelt zu werden. Es gibt hier diesen starken Reflex, Regulierungen im Bereich der Gleichstellung rigoros abzuwehren. Man sagt immer es passiert freiwillig, aber in der Schweiz passiert freiwillig nicht sehr viel.

Ein Argument, das immer wieder gegen Frauenquoten für Führungspositionen ins Feld geführt wird, ist der Mangel an qualifizierten und flexiblen Frauen. Lindt & Sprüngli CEO Ernst Tanner hat beispielsweise in einem Interview gesagt, er würde ja gerne Frauen fördern, aber er fände keine, die so flexibel und mobil wäre, wie es das Top-Management verlange.

Ich finde dieses Zitat wunderbar! Es zeigt sehr schön in welcher Argumentationsfalle wir immer noch stecken. Einerseits wird hier die Frage aufgeworfen: Welche Anforderungen stellt man überhaupt an Führungskräfte? Und es gibt sicher solche, die sehr mobil sein müssen und andere, bei denen das nicht der Fall ist. Eigentlich sagt er, dass Frauen die Verantwortung für Kinder tragen und Männer nicht. Denn wenn man davon ausgeht, dass Männer hier genauso wie Frauen Verantwortung tragen, dann würde man auch keine Männer finden, die Führungspositionen besetzen könnten. Und dann stellt sich natürlich noch die Frage: Es gibt auch Frauen ohne Kinder, warum sind sie trotzdem nicht in Führungspositionen?

Es gibt aber jenseits der Schokoladenfabriken durchaus Branchen in denen es kaum weiblichen Nachwuchs gibt, weil sich Frauen noch immer selten für Informatik oder Ingenieurswissenschaften entscheiden.

Es ist sicher so, dass es immer noch Branchen gibt, wo Unternehmen auf wesentlich weniger ausgebildete Frauen als Männer zurückgreifen können. Hier braucht es weitere Massnahmen. Ein Unternehmen muss sich als frauenfreundliches Unternehmen präsentieren, denn mit einem frauenfreundlichen Image kann man davon ausgehen, dass es eher Informatikerinnen findet als ein Unternehmen, das patriarchalisch wirkt. Auch im Bildungsbereich muss mehr getan werden: Es sollte nicht mehr vorkommen, dass es Männer- und Frauenberufe gibt, d.h. Berufe, in denen das eine oder andere Geschlecht massiv übervertreten ist. Wichtig ist, dass verschiedenste Akteure auf verschiedenen Ebenen im Bereich der Gleichstellung tätig sind. Schade ist, ist wenn Unternehmen die Verantwortung den Schulen übertragen und die Schule der Gesellschaft und die Gesellschaft wieder jemandem. Jeder Akteur hat seinen eigenen Wirkungsbereich und sollte da aktiv werden. Dann funktioniert es auch.

Steckt der grösste Widerstand nicht in unseren Köpfen? Erst heute Morgen habe ich von einer Strassenumfrage zur neuen Blick-Chefredakteurin Andrea Bleicher gehört. Der Radiosender wollte wissen, was die Menschen davon halten, dass Frau Bleichers Kinder beim Vater und nicht bei der Mutter aufwachsen.

Es gibt offenbar nur Rabenmütter, keine Rabenväter. Männer in Führungspositionen, die ihre Kinder während der Woche nie sehen, sind genauso abwesend wie Frau Bleicher. Aber das ist nie Thema. Da haben wir noch eine grosse Baustelle, denn es müsste egal sein, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Man kann berufstätige Frauen natürlich fragen was mit den Kindern ist, aber diese Frage muss man auch den Männern stellen.

Die Idee der umsorgenden Hausfrau, die zuhause bleibt und sich den Kindern widmet, gilt als eine Erfindung des wohlhabenderen Bürgertums um sich gegenüber der Arbeiterschicht abzugrenzen. Man tut aber so, als wäre das schon immer so gewesen.

Richtig, es ist nicht so, dass das immer so war. Historisch betrachtet ist es eine sehr kurze Periode, in der es sich die Gesellschaft leisten konnte, dass die Frau zuhause bleibt. Dieses bürgerliche Familienmodell gibt es erst seit den 50er Jahren.

Auch ohne Quote geht es manchmal nach oben. Hat es eine Frau aber in eine Führungsposition geschafft, muss sie oft hart dafür bezahlen. Ob Frau Bleicher, Frau Calmy-Rey oder Angela Merkel, sobald eine Frau sich in einer bis dato klassisch männlich besetzen Domäne beweist, hat sie mit Vorwürfen zu tun, die einem Mann niemals gemacht würden. Da ist ihr Outfit nicht weiblich genug oder zu weiblich. Da reagiert sie zu gefühlbetont oder eiskalt...

Und natürlich ist sie eine Rabenmutter! Sie haben Recht, Frauen begegnen immer noch vielen Hindernissen und Vorurteilen. Ich habe viel mit jungen Frauen geredet, die überzeugt sind, ihnen stehe alles offen und sie können jeden Beruf lernen, die daran glauben, das alles möglich ist. Ich finde es gut, wenn sie das glauben, aber es ist mir ein Anliegen, dass sie auch erkennen, dass es Schwierigkeiten gibt.

Gleichzeitig gibt es immer wieder Stimmen von feministischer Seite, die sagen, dass Frauen oft der Mut fehlt gegen Schwierigkeiten anzukämpfen. Der Vorwurf lautet, dass sie viel zu sehr damit beschäftigt sind gefallen zu wollen und es gut finden, dass ihnen die Verantwortung für die Kinder eine Rückzugsmöglichkeit in eine Welt gibt, in der sie von ihren Kindern täglich bedingungslose Liebe erfahren. 

Es kann nicht sein, dass sich Frauen, die Führungspositionen anstreben, an die männlichen Kulturen anpassen müssen. Wenn ich von einer paritätischen Vertretung von Männern und Frauen in Führungspositionen spreche, dann gehe ich davon aus, dass diese auch eine Vielfalt mit sich bringt.  Frauen auf ein männliches Normmuster hin zu trimmen sehe ich als nicht erstrebenswert an. Ich finde es auch wichtig, dass nicht zu stark stereotypisiert wird. Ich finde, dass man Frauen, zum Beispiel bei der Frage der anhaltenden Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern, dazu ermutigen sollte in Lohnverhandlungen selbstbewusster aufzutreten, aber - gerade bei diesem Thema – macht man es sich auch sehr einfach, wenn man sagt, würden die Frauen nur sicherer auftreten, dann wäre alles anders. Gerade die gerechte Lohnfindung liegt in der Verantwortung des Arbeitgebers. Es ist nicht Aufgabe der Frau dafür zu sorgen, dass der Arbeitgeber sie nicht diskriminiert.

Welchen Rat würden sie einer jungen Frau mitgeben wollen, die jetzt von der Schule kommt und sich ins Berufsleben stürzt?

Für mich ist es wichtig, dass diese Frau einen Beruf erlernt, der ihren Interessen, Neigungen und Fähigkeiten entspricht. Und dass sie sich nicht einschränken lässt und auch Unübliches anschaut. Meine 17-jährige Tochter findet zum Beispiel, dass sie keine Begabung für Mathematik hat und es interessiert sie auch nicht. Das ist ein klassischer Stereotyp – trotzdem sollte sie ohne Scheuklappen darauf schauen. Wichtig ist auch sich Unterstützung dort zu holen, wo man sie bekommt: Wenn das nicht die Eltern sind, dann ist es vielleicht der Lehrer. Und diese junge Frau sollte sich nicht darauf einrichten, irgendwann mal Kinder zu haben und den Beruf nur als Zwischenstation sehen. Natürlich kann man sich das als 17-Jährige noch nicht vorstellen, aber sie könnte sich  überlegen wo sie sich – auch beruflich – mit 50 Jahren sieht, einfach um ein Gefühl für eine lebenslange Perspektive zu bekommen.

UN Women Schweiz

Die UN Women Schweiz leistet wichtige Informationsarbeit und unterstützt ausgesuchte Projekte der UN Women international. Der Schwerpunkt der UN Women Schweiz liegt bei der Förderung der Women’s Empowerment Principles für Unternehmen zur Stärkung der Frau im Erwerbsleben sowie der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Die UN Women Schweiz engagiert sich ehrenamtlich für die Gleichstellung von Frau und Mann. Um die wichtige Arbeit fortzuführen und auszubauen ist die Frauenorganisation unter dem Dach der UNO dringend auf Spenden angewiesen. Helfen Sie mit!

UN Women Schweiz Spendenkonto:

Berner Kantonalbank, 3001 Bern, PK 30-106-9
IBAN: CH45 0079 0042 3508 9356 1, Postkonto: 85-245622-3

Interview: Nathalie Türk, 07. Mai 2013

Mehr dazu