Lächelnde BeleidigungDas steckt hinter passiv-aggressiven Sprüchen

«Das wollte ich mir auch kaufen, fand es dann aber doch zu billig.» Autsch! Verbale Ohrfeigen haben einen Boomerang-Effekt. Denn letztlich treffen passiv-aggressive Sprüche denjenigen am meisten, der sie ausspricht. Warum wir uns manchmal zwanghaft stutenbissig verhalten: Eine Betroffene gesteht.

Wer passiv-aggressiv austeilt, steckt am Ende am meisten ein.

Ich konnte mir den Seitenhieb einfach nicht verkneifen. Also lächelte ich mild, stimmte meine sanfteste Tonlage ein und schoss den verbalen Giftpfeil direkt in das Herz meiner Nachbarin: «Toll, dass du die Karriere für dein Baby aufgibst. Den Mut hätte ich nie. Aber du hast ja auch Glück, einen Mann zu haben, auf den man sich verlassen kann.» Autsch. Das tat weh. Zumal ich weiss, dass sie oft Streit mit ihrem Göttergatten hat und sich eigentlich selbst nicht so sicher ist, wie gut die Entscheidung, ihren Job zu kündigen, wirklich war. Soll sie doch ruhig ins Grübeln kommen.

Ha! Das hat gesessen. Wie der passiv-aggressive Ausbruch, den ich neulich gegenüber meiner Kollegin hatte, die mir voller Stolz berichtete, sich eine Jeans in Grösse 26 gekauft zu haben. Natürlich wusste ich darum, dass sie sich monatelang auf diese Grösse hin gehungert hatte. Dennoch musste ich ihr den Spass vermiesen und ihr um die Ohren hauen, wie gross diese Jeans-Marke doch schneidert. «Auf die Grössenangaben kann man sich einfach nicht mehr verlassen. Bei mir schlabbert manchmal sogar eine 25er», fauchte ich freundlich.

Passive Aggression ist subtil, aber schmerzhaft

Zugegeben, ich hatte schon mal subtilere Seitenhiebe auf Lager, die meine Gegner mit einem Nebensatz verbal niederstreckten. Aber egal wie galant ich meine Sticheleien auch austeile, unterm Strich muss ich wohl eines zugeben: Ich bin passiv-aggressiv. Jedenfalls hin und wieder. Warum? Ganz einfach: Weil es sich im ersten Moment einfach gut anfühlt mit einem kleinen, gezielten Stich ein Herz zum Bluten zu bringen. Und es kommt – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht so aggressiv rüber wie eine offene Beleidigung.

Bei passiv-aggressiven Zickereien wird der Dolch der Boshaftigkeit nämlich stets von einer gewissen Freundlichkeit oder Unschuldigkeit umhüllt. Das Opfer sieht die Feindseligkeit nicht auf den ersten Blick, spürt sie dafür im Nachgang umso deutlicher. Der passiv-aggressive Mensch gibt sich wie eine zarte Rose, deren Blütenpracht bezaubernd duftet. Doch wehe, man bekommt die spitzen Dornen dieser Königspflanze zu spüren – dann fliesst Blut.

Dass passiv-aggressive Äusserungen natürlich alles andere als ein Geniestreich sind, fällt mir hinterher auch immer ein. Erst hinterrücks mit dem Knüppel drüber ziehen und dann die Keule unschuldig aus der Hand fallen zu lassen, klappt nicht. Ein Hieb bleibt ein Hieb, ob in Geschenkpapier gehüllt oder nicht. Und es ist arm, irgendwie. Denn passiv-aggressives Verhalten zeigt nur, dass man wütend ist und keinen Mut hat, dies offen zu zeigen.

Passiv-aggresiv: Typisch Frau?

Die Wissenschaft behauptet übrigens, passiv-aggressives Verhalten sei typisch Frau. Stets sanft und freundlich zu sein, gehöre zu unserer erlernten Geschlechterrolle. Wir wollen gefallen. Und wer mag schon aggressive Frauen? Also verstecken wir unseren Ärger und leben ihn passiv aus.

Aggressionen durch ein Hintertürchen an die Öffentlichkeit zu schleusen machte theoretisch Sinn, als Frauen noch kein Mitspracherecht hatten. Nicht, dass es die Sache besser machte. Und heute, wo wir uns selbstverständlich emanzipiert nennen, sollten wir auch fähig sein, unsere Frau zu stehen, wenn uns irgendwas quer sitzt.

Passiv-aggressive Persönlichkeiten sind Täter und Opfer in einem

Passive Aggression ist deshalb ein Zeichen von Schwäche. Mangelnder Mut einer Situation forsch entgegen zu treten, spannt den Bogen für verbale Giftpfeile. Das gebe ich sogar zu: Erstens traue ich mich nicht, meinen Ärger an anderen offensiv auszulassen. Und zweitens will ich einfach nicht als Zicke dastehen. Viel schlimmer ist aber, dass ich durch mein passiv-aggressives Verhalten erst recht zickig wirke.

Vielleicht geht es mir damit so wie allen anderen passiv-aggressiven Menschen auch: Wir ärgern uns eigentlich nicht so sehr über die anderen als viel mehr über uns selbst. Ich bin unzufrieden mit mir – und das ist oft sowohl die Ursache als auch das Resultat meiner Kratzbürstigkeit.

Manchmal bin ich neidisch. Hin und wieder fühle ich mich blossgestellt oder sogar angegriffen von Menschen, die etwas anders machen als ich. Und dann? Dann ziehe das Messer hinter meinem Rücken hervor, natürlich ohne dabei mein freundliches Lächeln zu verlieren.

Was das bringt? Nichts! Ausser, dass ich mich noch mieser fühle. Und schon entsteht ein Teufelskreis: Sobald ich den Giftstachel wieder aus meinen Opfer ziehe, lässt die vermeintliche Genugtuung auch schon nach und stattdessen setzt Reue und Scham für mein passiv aggressives Verhalten ein. Ich ärgere mich, wie zickig und plump ich war und schon bin ich noch frustrierter als vorher.

Wie werde ich die passive Aggression los?

So kann es also nicht weiter gehen. Aber wie kann ich diesen Teufelskreis durchbrechen? Mutiger werden und Aggressionen offen austragen? Vielleicht. Noch besser wäre es doch aber, gar nicht erst aggressiv zu werden. Vielleicht sollte ich mir also die Gründe ansehen, warum ich diese Wut in mir trage. Warum verhalte ich mich passiv-aggressiv? Welche Menschen, Situationen oder Lebensumstände sind es, die mich so fies werden lassen? Und was hat all das überhaupt mit mir zu tun? Was geht mich es an, ob meine Nachbarin Kind gegen Karriere tauscht und sich finanziell auf ihren Mann verlässt? Warum gönne ich ihr dieses heile Familienleben nicht? Vielleicht, weil ich es mit selbst nicht gönne. Weil ich mich wirklich nicht traue, meine Karriere an den Nagel zu hängen? 

Oder was ist mit meiner Kollegin? Warum musste ich ihr die Freude über ihre erschlankte Figur kaputt machen? Vielleicht, weil ich selbst gern ein, zwei Kilo verlieren würde?

Aber – was heisst hier eigentlich «vielleicht»? Wenn ich gerade mal nicht passiv-aggressiv, sondern einfach nur ehrlich bin, kann ich das Wörtchen «vielleicht» streichen. Dann würde ich nämlich die Ursachen für meine passive Aggressivität erkennen und selbige endlich besiegen können...vielleicht!

Titelbild: ian dooley/Unsplash

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