ÜbergewichtWarum werden wir dick?

Ob Schoggi, Steak oder Sellerie, Speck setzt nur der an, wer mehr schlemmt, als sein Körper an Energie verbraucht. Aus was die Kalorien bestehen ist in punkto Übergewicht dann vollkommen egal. Das nahm man zumindest bisher an. Gary Taubes rüttelt nun an dieser einfachen Gleichung. Ob wir dick werden, hänge sehr wohl damit zusammen, was wir essen. Schuld seien die Kohlenhydrate.

Die Kohlenhydrate sind Schuld an unseren Fettablagerungen.

Sein Name ist Gary Taubes. «Good Calories, Bad Calories» heisst sein Buch, das eine Revolution in der Ernährungswissenschaft auslösen könnte. Auf rund 570 Seiten erklärt der Wissenschaftsjournalist der New York Times, warum Ernährungswissenschaftler bei den Ursachen des Übergewichts bisher offenbar völlig falsch lagen. Die These «Wer mehr isst, als er braucht, nimmt zu» klinge derart schlüssig, dass sie sich über Jahrzehnte in unseren Köpfen festgesetzt habe. Jedoch sei letztlich nicht ein Zuviel an Nahrung die Ursache von Übergewicht, sondern der Körper entwickle aufgrund einer Fehlsteuerung des Hormonspiegels ein übergrosses Hungergefühl dem zu Übergewicht neigende Menschen früher oder später nachgeben müssen. Auslöser des Übergewichts sei dabei nicht das Fett in unserer Nahrung, sondern Kohlenhydrate, die unsere Fettzellen manipulierten. Also Dinge, die wir täglich und selbstverständlich essen wie Brot, Cerealien, Pasta, Kartoffeln oder Reis. Um das zu verstehen, müssen wir tiefer in den Mikrokosmos unseres Körpers eintauchen.

Abteilung Übergewicht: Die Fettverbrennung unseres Körpers

Guten Tag! Wir befinden uns in der Abteilung «Fettverbrennung» unseres Körpers. Hier arbeiten Insulin-Hormone als Postboten. Allerdings liefern Sie keine Briefe aus, sondern Fettpakete. Die Insulin-Hormone holen das Fett aus unserer Nahrung und bringen es zu den Zellen, die das Fett für den Energiebedarf des Körpers verbrennen. Überschüssiges Fett bringt das Insulin in die Abteilung «Fettlagerung». Hier wird das Fett von den so genannten Fettlagerungszellen eingelagert und der Fettverbrennung zur Verfügung gestellt, wenn der Körper wieder Energie braucht. Bei zu Übergewicht veranlagten Menschen sind die Fettlagerungszellen laut Taubes jedoch kleine Miesepeter. Sie lagern das Fett bei sich ein und rücken nur ungern wieder damit raus. Die Folge: Die Insulin-Hormone schaffen es nicht, das Fett von der Abteilung «Fettlagerung» zur Abteilung «Fettverbrennung» zu bringen. Die Abteilung «Fettverbrennung» fordert deshalb nach mehr Nahrung, weil sie glaubt es sei nicht genügend Fett zur Energiegewinnung vorhanden. Ein Teufelskreis entsteht.

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Hätten Sie ihn erkannt? Das Insulin ist der Postbote unseres Fettverbrennungssystems. Quelle: wikipedia.org

Insulin arbeitet am Idealgewicht

Doch wie kommt es, dass sich bei manchen Menschen die Fettlagerung so quer stellt? Laut Taubes sind daran in erster Linie die Kohlenhydrate schuld. Zu viele Kohlenhydrate erhöhen den Blutzuckerspiegel. Den will unser Körper wieder senken und schüttet deshalb vermehrt Insulin-Hormone aus. Die Insulin-Hormone wandeln so viel Zucker wie möglich in Energie um, sodass der Blutzuckerspiegel wieder sinkt. Der Zucker, der dann noch übrig bleibt, wird von den Insulin-Hormonen in Fett umgewandelt und in den Fettlagerungszellen eingelagert. Warum rücken diese aber nicht mehr damit raus?

Übergewicht: Fettzellen sind genervt

Taubes zufolge werden die Zellen durch den erhöhten Insulinspiegel mit der Zeit zunehmend insulinresistent. In der Abteilung «Fettlagerung» bewegen sich immer mehr Insulin-Hormone auf dem Flur, die Fettlagerungszellen sind genervt – sie nehmen zwar noch Fettpakete von den Insulin-Hormonen entgegen, ignorieren diese aber, wenn sie die Pakete zur Fettverbrennung wieder auslagern wollen. Der Körper bildet schliesslich mehr und mehr Fettgewebe, gleichzeitig verlangt der Körper weiter nach Fett, weil die Fettreserven nicht zur Verbrennung gelangen. 

Taubes: Revolutionär der Ernährungswissenschaft?

Taubes stellt damit die gängige Annahme «Zu viel Essen macht dick» vom Kopf auf die Füsse, in dem er behauptet: «Dicke wollen mehr essen.» Wird Taubes Insulin-These von der Wissenschaft akzeptiert, so würde dies eine ernährungswissenschaftliche Revolution bedeuten. Denn Übergewicht wäre demnach nichts anderes als eine hormonelle Krankheit, die durch einen Überschuss an Kohlenhydraten ausgelöst wird.

«Good Calories, Bad Calories» in der Kritik 

So sehr Taubes Theorie in den Medien eingeschlagen hat, aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es jedoch noch einige kritische Aspekte:

  • Es gibt verschiedene Arten von Kohlenhydrate. Diese werden auch jeweils verschieden vom Körper verarbeitet. Welche Sorte Kohlenhydrate der Übeltäter sei, liess Taubes aber offen.
  • Auch die Kombination der Nährstoffe kann einen unterschiedlichen Effekt auf den Körper haben. Kohlenhydrate im Übermass könnten den Taubes-Effekt hervorrufen. Kohlenhydrate sind aber nach wie vor für den Körper wichtig und sollten nicht zu stark reduziert werden.
  • Taubes zufolge ist eine kohlenhydratarme Ernährung die Lösung. Jedoch zeigt die Low-Carb-Diät bei manchen Menschen Nebenwirkungen. Taubes Ernährungs-Revolte müsste nachweisen, dass Low-Carb-Diäten bei allen Menschen Erfolge zeigen. 
  • Insulin ist nicht das einzige Hormon, das sich um die Fetteinlagerung und -verbrennung kümmert. Darüber hinaus beeinflusst zum Beispiel auch das Hormon Leptin unser Hungergefühl.

Bild: iStock

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