Baby-BesserwisserWie Schwangere bevormundet werden

Sie haben Stress, Sie essen gern Schokolade und haben manchmal schlechte Laune. Und das alles, obwohl Sie schwanger sind. Sind Sie wahnsinnig? Oder sogar eine schlechte Mutter? Oder sind Sie vielleicht einfach nur eine Frau, die Ihren Instinkten, statt gesellschaftlichen Instruktionen folgt? Schluss mit Schwangerschaft als Spiessrutenlauf!

Kontroll- und Gesundheitswahn macht auch nicht vor Müttern halt

Dass sich psychischer Stress auch körperlich auswirkt, ist längst erwiesen. Magenschmerzen oder Erschöpfung sind typische Warnzeichen des Körpers. Dass auch Babys im Mutterleib mit Stress-Symptomen in Berührung kommen, wenn der Schwangeren Ärger oder Aufregung widerfährt, ist eine Schlussfolgerung, die logisch ist, aber wohl keiner werdenden Mutter gefällt. Vor allem nicht, wenn sie die erschreckenden Ergebnisse einer Studie von einem seriösen Magazin serviert bekommt, nach denen Babys, die im Mutterleib Stress ausgesetzt sind, sich im späteren Leben zu schüchternen Persönlichkeiten entwickeln und aller Wahrscheinlichkeit nach an Asthma erkranken. Und überhaupt, nichts so entscheidend ist für die Entwicklung des Kindes wie die ersten neun Monate im Mutterbauch («Neun Monate, die unser ganzes Leben prägen») weiss Der Spiegel: «Das Leben vor der Geburt: Krebs und Diabetes, Depression und Herzinfarkt: Das Fundament vieler Leiden wird bereits im Mutterleib gelegt. Vor allem Stress und Ernährung der Mutter hinterlassen Spuren - auch in der Psyche des Kindes.»

Das klingt furchtbar. Doch, liebe Mamis, lassen Sie sich davon nicht in Panik versetzen. Oder wollen Sie etwa Stress erzeugen und Ihrem Kind damit buchstäblich die Luft zum Atmen nehmen? Und übrigens: Essen Sie zur Entspannung bloss kein Stückchen Schokolade. Damit begünstigen Sie nämlich das Entstehen von Schwangerschaftsdiabetes und das wiederum erhöht das Krebsrisiko Ihres Kindes. Auch das haben Studien angeblich erwiesen.

Studien stressen: Schwangere werden verunsichert

Forschungen und  Berichte, die die Auswirkungen des Verhaltens einer Schwangeren und der späteren psychischen und physischen Gesundheit des Kindes zu ergründen versuchen, sind dieser Tage überpräsent. Wissenschaftler und Eltern zerbrechen sich über das Wohl der Kinder gleichermassen die Köpfe, um folgenschwere Fehler in der ersten Prägungsphase zu verhindern. Doch was dabei heraus kommt, sind nicht allein gesunde Erkenntnisse, sondern vor allem enorm verunsicherte Mütter und Väter. Natürlich wollen alle Eltern nur das Beste für ihr Baby, doch mit jeder neuen Schlagzeile wächst die Angst genau das Gegenteil zu tun.

Fundiert oder verzerrt: Wie glaubhaft sind Studien?

Hetzerische Headlines verkaufen sich gut. Und genau hier trennt sich die wissenschaftlich fundierte Spreu, vom reisserischen und teils schlecht recherchiertem Weizen. Denn Fakt ist: Nicht-repräsentative und nicht hinreichend belegte Studienergebnisse, die verallgemeinert und ohne Kontext wiedergegeben werden, sind selbst bei grossen Blättern keine Seltenheit. Aufgepasst: Verzerrend wirken dabei vor allem solche Darstellungen, die nicht mit ungeschminkten absoluten, sondern mit aufgeblähten relativen Zahlen belegt werden. Denn oft verbergen sich hinter den absoluten Zahlen weitweniger erschreckende Ergebnisse. Teilweise wird auch schlicht der Zusammenhang unter den Tisch fallen gelassen.

Die Wissenschaftsjournalistin Kathrin Zinkant hat sich die Mühe gemacht einem als Fakt präsentiertem Beispiel bis an den Ursprung zu folgen. Die Schlussfolgerung einer Havard-Forscherin, dass Babys, die bei der Geburt über 4000 Gramm wiegen, ein doppelt so hohes Brustkrebsrisiko in sich tragen, klinge nämlich besonders gewaltig, wenn man nur den relativen Wert kennt und nicht erfährt gegenüber welchem Gewicht sich das Brustkrebsrisiko so vervielfacht. Tatsächlich resultiert das Ergebnis der sechzehn Jahre alten Studie aus einem Vergleich zwischen einem 2500 Gramm schweren Neugeborenen und damit schon untergewichtigen Kind und der Obergrenze des Normalgewichts. In absoluten Zahlen ausgedrückt, heisst das dann: «Wenn von 1.000 Frauen, die als dünner Hering auf die Welt gekommen sind, später 60 an Brustkrebs erkrankten, wären es unter den dicken Babys 90 von 1.000 – also drei Prozent mehr». Aber mit diesen Zahlen und Fakten lässt sich schlicht weniger schocken und überhaupt gar nichts anfangen. Oder sollten jetzt Schwangere auf untergewichtige Babys hoffen? Wohl nicht.

Bei vielen vermeintlichen Schrecksmeldungen macht oft nur der Ton – und viel zu selten die Tatsachen – die Musik. Besorgte Schlagzeilen verkaufen sich eben gut. Vor allem an noch besorgtere Mütter. Betroffene Schwangere sollten den Hintergrund von hetzerischen Meldungen und vermeintlich fundierten Forschungen daher penibel hinterfragen. Doch damit allein ist es nicht immer getan. Denn selbst, wenn sich die werdende Mami von Horror-Meldungen nicht in Panik versetzen lässt, gibt es oft genug andere Menschen, die dies für sie tun.  Die Tante, die Bäckerin oder Nachbarin meinen oft am besten zu wissen, was das Beste für das Baby ist. Vor gut gemeinten Ratschlägen sind Schwangere oft nicht mal unter Fremden sicher.

Schwangeren-Spagat: Wie macht man es allen recht?

Die Appelle an Schwangere sind nicht nur allgegenwärtig, sie sind oft vor allem unmöglich zu befolgen. Oder wie macht man es Meinungen recht, nach denen sich Schwangere keinesfalls stressen lassen sollen, gleichzeitig aber verlangen, dass werdende Mütter tough genug sind, um bis kurz vorm Kreissaaltermin zum Dienst zu erscheinen? Eine Schwangerschaft ist schliesslich keine Krankheit, heisst es dann. Doch spätestens, wenn eine Schwangere es wagen sollte, wegen all dieser Widersprüchlichkeiten oder auch einfach nur wegen der allmorgendlichen Übelkeit, schlechte Laune zu bekommen, bekommt sie den Stempel der Rabenmuter aufgedrückt. Das arme Kind, miese Laune oder gar Depressionen sind schliesslich ganz schlecht fürs Kind. Und abgesehen davon, ist es doch etwas Schönes ein Baby zu erwarten. Warum also die miese Laune? Denn wie Mütter sich zu freuen haben, ist bekanntlich auch festgelegt.

Instinkte irren nicht

Aber es stimmt! Schwanger zu sein ist eigentlich etwas Wunderbares. Und übrigens auch etwas absolut Natürliches. So natürlich, dass die Natur alle Mütter dieser Welt mit gesunden Instinkten ausgestattet hat, die sie wissen lassen, was gut für sie und ihren Nachwuchs ist. Vielleicht wollen das weder Studien, noch Schlaumeier glauben. Aber gerade deshalb sollten werdende Mütter viel öfter auf die Stimme aus ihrem Bauch, und nicht auf die Meinung ihres Umfeldes hören. Eine schöne, stressfreie und selbst bestimmte Schwangerschaft wünschen wir Ihnen!

Die bekanntesten Ammenmärchen

Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Diese Ratschläge sind definitiv falsch:

«Wenn man während der Schwangerschaft viel Schokolade isst, bekommt das Kind Geburtsflecken.»

Hierfür gibt es keinerlei fundierte Beweise. Geburtsflecken, die übrigens auch Storchenbiss genannte werden, entstehen durch erweiterte Blutgefässe, die bei fast jedem Kind auftreten, völlig normal und bedenkenlos sind und sich wieder zusammenziehen, wenn das Kind wächst. Mit dem Verzehr von Schokolade hat dieses Phänomen nichts zu tun.

«Wer in der Schwangerschaft auf seine Figur achtet, bekommt keine Dehnungsstreifen»

Schwangerschafts- oder Dehnungsstreifen sind kleine Vernarbungen des Bindegewebes, die durch übermässigen Zug auf die elastinen Fasern der Haut entstehen. Sie sind weder gefährlich noch treten sie besonders bei Frauen auf, die während der Schwangerschaft stark zunehmen. Die Neigung zur Streifenbildung hängt nämlich allein von der individuellen Beschaffenheit des Bindegewebes ab. Schwaches Gewebe zeichnet bereits bei minimalem Zug Streifen ab. Andersrum kann ein starkes Gewebe selbst eine enorme Dehnung aushalten, ohne Streifen zu bilden.

«Gymnastik kann Fehlgeburten auslösen!»

Bewegung und leichter Sport beleben den Kreislauf einer Frau, macht sie agiler und nachweislich sogar fröhlicher. Kleine Trainingseinheiten tun Mutter und Kind daher gut. So lange nicht übermässig viel oder intensiv trainiert wird und die Sportarten keinerlei Gefahr (z.B. Boxen oder Reiten) mit sich bringen, können dadurch weder Fehlgeburten ausgelöst noch dem Kind geschadet werden. Erst unmittelbar vor der Geburt oder bei auftretenden Beschwerden ist Vorsicht geboten.

«Schwangere müssen für zwei essen»

Jede Schwangerschaft verläuft individuell. Daher lässt sich auch das Ess- oder Appetitverhalten nicht über einen Kamm scheren. Der Körper verlangt ganz automatisch nach den Nahrungsmitteln und Mengen, die er braucht, um sich und das Kind optimal zu versorgen. Dass eine Schwangere pauschal für zwei Personen essen muss, ist falsch.

Bild: iStock

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