SCHÖNE FLUCHTENWarum wir Lifestyle-Blogs lieben

Ob zwischen selbstgehäkelten Sofakissen, beim Vegan-Cupcake-Backen oder den Stylo-Kinderwagen schiebend, auf Lifestyle Blogs zelebriert frau die heile Welt. Doch der Preis dafür ist hoch. Nicht nur für die bloggenden Superfrauen, sondern auch für ihre Zaungäste.

Hassliebe Lifestyle-Blog!

Ich gestehe: Ich liebe Lifestyle Blogs. Es ist zu einer regelrechten Sucht geworden. Immer wieder, zwischendurch muss ich durch die Fotos mit all den fröhlichen Menschen, den bunt angerichteten Tellern und perfekt gestylten Wohnungen klicken. Ich tauche ein in das Leben von perfekten Frauen, die oft auch zuckersüsse Babys haben (Jööö!), irre viel auf Partys eingeladen sind und auch sonst mega die Zeit haben. Und inzwischen kenne ich sie alle so gut, dass ich in ihren Wohnungen, Freundeskreisen und oft sogar in ihren Beziehungen zu hause bin. Es fühlt sich an, wie damals bei Oma und Opa, wo es niemals Ärger, dafür immer frischen Apfelkuchen gab.

Allerdings bin ich inzwischen erwachsen geworden. Ich weiss, dass bei meinen Grosseltern auch nicht immer alles so lecker war. Sie haben nur für uns den Zuckerguss drüber gekippt - und wir haben gerne davon genascht. Und wir alle sind facebook- und instagramerprobt genug, um zu wissen, dass die Bilder und Videos auf Lifestyle-Blogs nicht echt sind. Natürlich sind die Bilder in realen Wohnzimmern, mit realen Kindern und auf realen Wochenend-Trips entstanden. Allerdings nicht ohne vorherige Posing-Vorbereitungen und anschliessende Foto-Filter. Oder ist es bei Ihnen immer perfekt aufgeräumt? Dennoch sind die Bilder gerade noch halb-professionell genug, dass wir sie nicht für kommerziellen Werbekram halten, sondern ihnen glauben wollen. So könnte sie doch aussehen, die perfekte Welt!

Von Beruf Lebensstil

Lifestyle-Blog-Geschichten erzählen sich ähnlich wie Märchen. Nur mit dem Unterschied, dass die Hauptrollen heute jeder selbst übernehmen kann. Man kann sich ein Krönchen aufsetzen und das Ganze knipsen und posten. Als moderne Prinzessin sitzt man zwar in keinem Schloss, dafür daheim vor dem Laptop. Jedenfalls, wenn man nicht gerade zu irgendeinem coolen Blogger-Event geladen ist (Unter uns, diese Partys sind oft furchtbar, furchtbar langweilig, gerade weil jeder jedezeit geknipst werden kann).

Und Bloggen ist tatsächlich mehr als ein Märchen. Es ist Arbeit - und ein Beruf, wenn es gut läuft. Verkauft wird das eigene Leben: das Frühstück, die Wohnung, die Katze; selbst die Kinder werden zur Ware, die es perfekt zu inszenieren gilt. Lohn sind Klickzahlen, Werbe-Deals, Party-Einladungen und natürlich der Ruhm, der gute Blogger zu einer Art Promi macht. Doch wie in allen Prinzessinnen-Filmen gibt es auch hier einen goldenen Käfig.

Bloggerinnen sind in ihrer digitalen Märchenwelt gefangen. Während der Leser nach ein paar Klicks die Traumkulisse wieder verlässt, müssen Lifestyle-Blogger dafür Sorge tragen, dass ihr eigener Lebensstil immer wieder fotogene Highlights hergibt. Dafür muss das Wohnzimmer immer anders dekoriert, das Outfit immer neu und die Laune immer top sein. Die ausgestellte Lässigkeit ist anstrengend. Und vor allem, sie lässt wenig Privates. Der Leser ist immer dabei. Selbst im Urlaub werden die perfekt manikürten Zehennägel in die Kamera gehalten.

Keiner kocht so gut wie Mutti

Einen hohen Preis für den schönen Schein zahlen übrigens nicht nur die Bloggerinnen, sondern auch die Follower. Und zwar dann, wenn sie den modernen Märchen einen zu grossen Glauben schenken. Denn bei der Überdosis an Bildern, die sich vor Glück und Glitzer überschlagen, ist es manchmal gar nicht so leicht, den Blick für die Realität zu wahren. Wie schafft die, dass die Sahne so glatt auf dem Kuchen bleibt? Wie kriegt sie ihren Sohn auf Hund zum Mittagsschlaf? Und warum sieht sie nach drei Cüpli nicht aus wie eine pralle Tomate im Regen?

Denn obwohl ich neben all diesen digitalen Super-Frauen wie ein Aschenputtel wirke, kann ich es nicht lassen, mich in die schönen Scheinwelt der Lifestyle Blogs zu flüchten. Es geht um den kurzen, aber schönen Moment, einen Blick von dieser besseren, heileren, hübscheren Welt zu erhaschen. Hier gibt es keine Steuerklärungen, überquellende Mülleimer oder Pickel auf der Stirn. Was es auch nicht gibt: gekaufte Kuchen, Kinder in der Kita oder vergessen Geburtstage, weil man mal wieder ewig im Büro sass. Denn eine Welt blendet der bebilderte Lifestyle völlig aus: den der berufstätigen Frau. Die hat nämlich dafür wenig Zeit.

Doch befriedigend sind Lifestyle-Blogs trotzdem irgendwie. Warum? Vielleicht weil es einfach schön ist zu träumen. Genau, wie es schön ist Märchen zu lesen. Davon gibt es im Alltag schliesslich eindeutig zu wenig. Holen wir sie und daher doch hin und wieder vor den Bildschirm. Und dann machen wir, was wirklich Wichtiges.

Foto: iStock

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