Neujahrsvorsätze«Das Leben ist kurz, iss den Kuchen!»

Alle Jahre wieder nehmen wir uns wieder vor gesünder zu essen, weniger zu rauchen oder mehr Sport zu treiben. Vernünftiger und länger leben ist das Ziel, weniger Genuss oft der Preis dafür. Aber wie viel Vernunft ist wirklich vernünftig?

Wieviel Vernunft ist vernünftig?

An Silvester beginnt ein Scheideweg. Zum Jahreswechsel beschliessen wir traditionell auch einen Wechsel des Lebensstils. Nächstes Jahr soll alles anders werden. Ob es aber wirklich immer besser ist, weniger zu feiern und dafür gesünder zu leben wird dabei oft ebenso wenig hinterfragt, wie umgesetzt. Denn unseren guten Vorsätzen folgen meist nur gute Ausreden. Was bleibt ist das schlechte Gewissen. Jedoch völlig zu Unrecht, wie der Österreichische Philosoph Robert Pfaller behauptet.

Zeitgeist Vernunft

DennKaterstimmung und Gewissensbisse nach einer durchtanzten Nacht sind nach Ansicht des Philosophen nichts anderes als hausgemachte Spassbremsen. Wir verbieten uns selbst verschwenderisch mit unserem Leben umzugehen, weil wir dann nicht mehr so funktionieren, wie wir es von uns erwarten oder es von uns erwartet wird. Denn vernünftig zu leben, ist in unserer Gesellschaft heute absolut hoch angesehen. Wer unter der Woche feiert, ist am nächsten Tag nicht fit genug für die Arbeit. Wer sich eine Weltreise gönnt, hat vielleicht im Alter zu wenig auf der Kante. Wer früher stirbt, ist länger tot.

«Eine ganze Generation neigt dazu sich übermässig zu mässigen. Die Leute werden dazu angehalten, ihr Leben als Sparguthaben zu betrachten.», sagt Pfaller. Das führe dazu, dass unsere Gesellschaft, ein völlig gestörtes Verhältnis zu Genuss und Lust entwickelt habe. Ob Schlagsahne ohne Fett oder Kaffee ohne Koffein, jeglichem Genuss werde bewusst und gewollt das Lustvolle geraubt, mit dem Ziel länger und leistungsfähiger zu leben. Aber wofür?

Dass Disziplin, Fitness und gesunde Ernährung heute ein derart hohen Stellenwert habe, sei ein Phänomen der Jetztzeit. Schliesslich wurde Genuss und Lust in den 60er und 70er Jahren noch wesentlichunzensierter. Rauchen galt seinerzeit sogar als chic, freie Liebe als erstrebenswert und Fett als genussvoller Geschmackträger.

Natürlich war man sich auch schon damals darüber im Klaren, dass all diese Genüsse mit Risiken behaftet sind. Rauchen ist ungesund, Sex kann krank machen und fettes Essen dick. Warum die moralische Messlatte heute derart hoch gelegt wird, könne, laut Pfaller, daher nicht allein mit der Angst oder dem Bewusstsein gegenüber den besagten Risiken zusammenhängen. «Dass Rauchen schädlich ist, wussten die Menschen früher auch schon. Mehr noch: Wenn sie es nicht gewusst hätten, hätten sie wahrscheinlich niemals geraucht. Es ist nämlich gerade die Schädlichkeit, die Zigaretten zu etwas Erhabenen machen», sagt der Philosoph. Die heutige Generation sei also keineswegs schlauer geworden als ihre Vorgänger, sondern nur verhaltener.

Vernunft bringt Selbstachtung und Sicherheit

Wenn aber vernunftvolles Handeln wie eine Bremse des Lebens wirkt, bleibt doch fraglich, warum diese Ratio den heutigen Zeitgeist trifft. Pfaller erklärt die freiwillige Askese mit dem Wunsch des Einzelnen nach Selbstachtung. Denn Menschen, die bewusst auf etwas verzichten, empfänden sich selbst immer als etwas Höherwertiges. Es gehört schliesslich eine MengeDisziplin und ein eiserner Wille dazu, auf fettes Essen, Alkohol und andere verlockende Reize zu verzichten. Anstelle von Lust und Genuss trete bei einem solchen Verhalten das Gefühl der Selbstachtung. Und mit ihm eine Art der Sicherheit. Denn in einer unsicheren Welt, die vor allem in westlichen Industriegesellschaften mehr und mehr von Abstiegsängsten geprägt ist, mag vielen die Ratio als beste Mittel und Alleinstellungsmerkmal des Menschen erscheinen, das das moderne Überleben sichert.

Wie sehr wir uns nach Sicherheit sehnen, zeigt auch die Umfrage des Thinktanks weiterdenken.ch. Auf die Frage, was sich Schweizer für die Gesellschaft wünschen, hoffte ein Grossteil der Befragten in Folge der Finanzkrise auf mehr Sicherheit. Dahinter tritt die Selbstverwirklichung mehr und mehr zurück.

Denn persönlicher Genuss und Unvernunft bringt zwar Spass, aber keine Sicherheit. Übertriebener Müssiggang hat in der leistungsorientierten Berufswelt keinen Platz, Rauchen kann noch immer tödlich enden und fettes Essen macht nicht nur dick, sondern auf Dauer krank. Wer solche gefährlichen Genüsse hingegen konsequent meidet, geht risikobefreiter und vielleicht sogar länger durchs Leben.

Was macht das Leben lebenswert?

Genuss hat immer auch etwas mit Gefahr zu tun. Und trotzdem ist der Reiz, etwas unvernünftig Genussvolles zu tun, verlockend gross. Mehr noch: Hin und wieder sehnen wir uns richtiggehend nach der Gefahr.  Einfach mal über die Stränge schlagen – das klingt verlockend, obwohl oder vielleicht gerade weil es das Risiko in sich birgt.

Vielleicht macht ja gerade dieses Risiko den Reiz - und damit den Genuss aus. Vielleicht sind Gefahren gerade die Zutat des Lebens, die das Lebenswerte an ihm erst bewusst machen. So wie man Licht nur durch Schatten wahrnehmen kann, scheint das  Lebensgefährliche erst das Wertvolle am Leben selbst zu zeigen. Denn erst «wenn wir unvernünftige Dinge tun, tanzen, trinken oder uns verlieben, haben wir das Gefühl, dass es sich zu leben lohnt. Man muss ein bisschen verschwenderisch mit dem Leben umgehen, damit es nicht mehr Mittel nur zum Zweck ist, sondern um seiner selbst Willen existiert.», sagt Pfaller.

Das Leben ist kurz, iss den verdammten Kuchen!

Denn wer immer das Richtige tut, vergisst aus lauter Vorsicht dabei das Leben. Immer alle Konsequenzen zu durchdenken, nie den Moment zu leben, gleicht dann eher einer vorzeitigen Leichenstarre. Dann töten die Massnahmen, die unser Leben verlängern sollen, vielleicht das Leben selbst?

Geniessen oder Geisseln?

Was ist nun also richtig? Sorgsam und lange zu leben? Oder das Risiko eines kurzen, aber dafür spürbaren und lustvollen Lebens einzugehen? Was fürchten wir mehr? Den Tod? Oder ein tot langweiliges Leben? Und wie will man das beantworten?

Ohne alle Varianten des Lebens einmal ausprobiert zu haben, kann man doch eigentlich gar nicht mitreden. Worauf warten wir also noch? Brav waren wir doch lange genug. Pfeifen wir für einmal auf gute Vorsätze. Küssen wir unseren heimlichen Schwarm, Tanzen oder Singen wir, obwohl wir es nicht können, nur wei es Spass macht.

Was zählt sind ohnehin nur gute Taten und noch bessere Momente  - wie auch immer diese für dein persönliches Glück auszusehen haben. Oder um es mit Coco Chanels Worten zu sagen: «Man bereut immer nur das, was man nicht getan hat.»

Viel Vergnügen!

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