Urban GardeningWenn Städter in der Erde wühlen

Selten haben wir uns so gern dreckig gemacht wie jetzt. Mit Genuss wühlen wir in der Erde, säen, jäten und ernten. Urban Gardening ist in der Schweiz angekommen: In Stadtquartieren finden sich temporäre Gärten und in Kursen lernen wir die Basics im Obst- und Gemüse pflanzen. Warum finden wir das so toll? Aus vielen Gründen!

Urban Gardening: Gärtnern als neuer Lifestyle-Trend

Sie kniet vor einem Gemüsebeet und setzt jungen Salat in die Erde. Ein Beet weiter gedeihen Tomaten, Zucchini und Auberginen. Michelle Obama packt bei der Pflege der Obst- und Gemüsebeete, die sie vor einigen Jahren im Garten des Weissen Hauses anlegen liess, tatkräftig mit an. Schliesslich hat man als Präsidentengattin Vorbildfunktion. Und auch für ihre Initiative, die eine gesunde Ernährung fordert, lässt sie sich hin und wieder medienwirksam beim Graben, Pflanzen und Ernten begleiten.

Michelle Obama tut, was viele tun und mittlerweile zu einem richtigen Trend wurde. Urban Gardening, das Anbauen von Gemüse, Obst und Kräutern in Städten, ist nun auch in der Schweiz angekommen. Die Gründe für das urbane Gärtnern sind vielfältig. Neben dem Erlebnis- und Spassfaktor, den das gemeinsame Wühlen in Gemüsebeeten bringt, lernt man einen bewussteren Umgang mit Nahrungsmitteln. Was wir bisher selbstverständlich aus dem Supermarktregal geholt und in den Einkaufswagen gelegt haben, pflanzen wir nun selber an. Wir sähen, giessen, jäten und warten, bis wir endlich ernten können. Eine schrumpelige, aber ansonsten einwandfreie Karotte landet dann vermutlich nicht einfach im Müll, sondern wird verwertet – schliesslich wuchs sie im Schweisse unserer Angesichts.

Ein weiterer Vorteil des Urban Gardening ist der Ansatz, den Michelle Obama verfolgt: Wir ernähren uns gesünder. Unser Gemüse wurde nicht chemisch behandelt oder gespritzt, sondern landet frisch auf unserem Teller. Wir wissen von wo es kommt und was wir essen. Trotzdem kann ein städtisches Gemüsebeet den Einkauf natürlich nicht ersetzen – schliesslich können wir Tomaten und Karotten erst dann ernten, wenn sie reif sind und nicht dann, wenn uns gerade die Lust nach knackigem Salat überkommt. Die tägliche Portion Gemüse wird also nicht garantiert, vielmehr dient Urban Gardening als Ergänzung. 

Blumen-Power statt Einheitsgrau

Hinter dem Trend steckt aber noch ein zweiter Gedanke, der so gar nichts mit gesunder und bewusster Ernährung zu tun hat. Hier geht es allein um die Stadt, genauer: um die grüne Stadt. Wird unattraktiven, grauen Flächen der Kampf angesagt, spricht man von Guerilla Gardening, einer Form des Urban Guardening. Samenbomben, die aus getrockneter Erde und Blumensamen bestehen, werden heimlich in der Stadt verteilt und sorgen auf den Grünflächen zwischen Strassen für eine bunte Blumenpracht. Die kreative Gestaltung und Verwandlung des öffentlichen Raumes steht beim Guerilla Gardening im Vordergrund. Der erste, der in der Schweiz heimlich pflanzte, war Maurica Maggi. Bereits seit 1984 verteilt er in Zürich Malvensamen, outete sich aber erst 2004. Die Stadt war ihm nicht böse und ruft nun mit der Aktion «Für ein blühendes Zürich» und den kostenlosen Samenmischungen «Malven-Power» und «Wilde Blume» sogar selbst zum spontanen Säen auf.

Aktiv werden kann man auch in einer der unzähligen Initiativen, die es in der Schweiz zum Urban Gardening gibt. «Veg and the City» bietet beispielsweise Kurse an, in denen man lernt, wie man richtig gärtnert und sich auf dem Balkon oder im Gemeinschaftsgarten verwirklichen kann. Mit dem Slogan «Hol dir den Garten nach Hause» stösst das Projekt auf Begeisterung bei allen, die das urbane Gärtnern lernen wollen. Und auch das junge Unternehmen «Urban Farmers» holt Anbauflächen mitten in die Stadt. Im Interview mit der NZZ erklärt Gründungsmitglied Roman Gaus, dass hinter Urban Farmers der Wunsch steht, die Nahrungsmittelproduktion wieder ins tägliche Leben zu rücken. Mit mobilen Gärten, die in Containern auf Dächern oder Freiflächen abgestellt und bewirtschaftet werden, verzeichnen die Jungunternehmer bereits grossen Erfolg.

Landleben für Städter

Der Trend des Urban Gardening mag neu erscheinen, beruht aber auf einer alten Massnahme, die oft aus der Not entstand. In Zeiten des Krieges war die städtische Bevölkerung von Lebensmittellieferungen abgeschnitten und darauf angewiesen sich selbst zu versorgen. In sogenannten Victory Gardens wurden während dem ersten und zweiten Weltkrieg in Amerika und Europa Gemüse und Obst angebaut um die Bevölkerung zu versorgen.

Warum also ist eine Idee, die es schon lange gibt, plötzlich so populär? Auch Zeitschriften, die das Landleben thematisieren und bisweilen idealisieren, finden reissenden Absatz. Bio-Produkte, ob in Kosmetik oder Lebensmittelindustrie, erleben seit einiger Zeit ein richtiges Hoch. Der bewusste, nachhaltige Lebensstil scheint in zu sein. Und mit ihm der Anbau von eigenem Gemüse und das Gefühl etwas Gutes zu tun – sich und der Umwelt. Städter holen sich mit ihren Mini-Gärten ein bisschen Landleben ins urbane Grau und können für einige Stunden dem Alltag entfliehen. Hoffen wir, dass der Trend bleibt und zu einer langfristigen Bewusstseins- und Verhaltensänderung führt. 

Text: Nina Grünberger

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