Feministischer Streik Basel Wieso wir auch 2023 noch streiken

Die Sonne scheint. Es ist heiss. Mehr und mehr Menschen strömen in die Stadt. Ein ganz normaler Tag in Basel könnte man meinen. Doch an diesem Mittwoch, 14. Juni 2023, sind es keine Touristen und Einkaufende, die sich bereits am Vormittag in der Stadt versammeln. Es wird gestreikt! Am feministischen Streik in Basel und an der Demo am Abend wurden die Forderungen des Streik-Komitees von Zehntausenden auf die Strasse getragen. Ich habe die Teilnehmenden gefragt, wieso der feministische Streik auch heute noch wichtig ist.

«Mir hän e Patrairkater» Banner am Feministischen Streik Basel 2023
Lila, laut und fordernd zeigte sich Basel am feministischen Streik. © Vanessa Gygax

Mehr und mehr Menschen versammeln sich auf dem Theaterplatz. Die Sonne drückt, die Musik läuft. Die Stimmung ist gut: es wird getanzt, geredet und die Transparente hervorgeholt. Der Demonstrationszug setzt sich langsam in Bewegung. Es geht hoch in Richtung Bankverein. Die Menge ist geprägt von lilaner Kleidung, Schirmen und Accessoires.

Ich stehe heute hier, um Gleichstellung, gleiche Rechte und gleichen Lohn für alle zu fordern. Als junge Frau ist man jeden Tag mit dem Thema konfrontiert. Wenn nicht für das kämpfen, für was dann? – Anna, 27

Ein Mann steht auf dem Platz. «Sonnencreme?» fragt er in den Demonstrationszug. Viele sind den ganzen Tag schon unterwegs, da kommt das Angebot mehr als recht. Er macht genau das, was vom Aktionskonsens gefordert wird: CIS-Männer übernehmen am Streik die Care-Arbeit. Und so können sich die FLINTAQs* ganz auf ihre Forderungen fokussieren. Dieser Meinung ist auch Ralf, 35, den ich gefragt habe, wieso er als CIS-Mann den feministischen Streik unterstützt: «Ich bin hier, damit ein Mensch mehr hier ist und zur Masse beiträgt. Der Platz gehört aber den Frauen, auch für die Statements.» 

Als Frau müssen wir rausgehen und für unsere Rechte einstehen. Wir müssen uns zeigen, um wahrgenommen zu werden. – Christine, 40

Teilnehmende der Demo vom Feministischen Streik Basel 2023 mit Transparenten
Die Wettsteinbrücke ist voll: Zehntausende nehmen an der Demonstration teil. © Muriel Regenhart

Ich bin sonst nicht so aktiv, doch heute bin ich hier, um die ganze Bewegung und die Anliegen aller Frauen zu unterstützen. Es betrifft uns alle. – Sarah, 43

Die Demonstration stoppt für einige Augenblicke den Basler Alltag. Autos kommen nicht mehr durch, die BVB hat den Tramverkehr eingestellt, Velofahrende müssen absteigen und Einkaufende anhalten. Bei der Wettsteinbrücke wird die Grösse der Demo sichtbar. Die 371 Meter lange Brücke ist komplett voll und sicherlich für eine Stunde nicht befahrbar, was so einige Art-Besuchende und Arbeitende überrascht.

Der Zusammenhalt ist wichtig. Wir sind hier, um für die Zukunft für uns Frauen in der Schweiz, aber auch aus anderen Ländern, zu demonstrieren. – Wilma, 18

Die Demo zieht weiter durch die Innenstadt, vorbei an Restaurants und durch die Freie Strasse. Einkaufende und Art-Basel-Touristen schauen sich die ausgelassene Menge an. Zwei Autos stecken am Marktplatz mittendrin fest. Für sie gibt es kein Weiterfahren, nur ein Ausharren. Und viele feministische Sticker obendrauf.

Ich habe heute gearbeitet – darauf bin ich nicht stolz. Je länger ich auf dem Arbeitsmarkt bin, desto mehr realisiere ich, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Ich bin hier, um die Bewegung zu unterstützen, für eine Revolution des Arbeitsmarktes. – Zoë, 36

An der Demonstration nehmen FLINTAQ jeglichen Alters teil. Junge Frauen, Mütter mit kleinen Kindern, Arbeitende, Studierende, aber auch Seniorinnen sind auf der Strasse, um Gerechtigkeit einzufordern. Allgemeine Verkürzung der bezahlten Arbeitszeit, Elternzeit für jede Erziehungsperson für mindestens ein Jahr sowie systematische Massnahmen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer, sexualisierter und häuslicher Gewalt sind einige der genannten Forderungen vom Feministischen Streik Basel.

I bi hässig! Ich bin hier, um ein Zeichen zu setzten. Wir sind hier alle, für die gleichen Anliegen. Wir sind eine grosse Bubble. – Laura, 29

Eine der Teilnehmenden, Lisa, 45, ist dieses Jahr am Streik dabei, weil sie vor allem wütend ist, dass die versprochenen Absicherungen der Pensionskasse vom Bundeshaus nicht eingehalten wurden. Denn da Frauen mehr unbezahlt und Teilzeit arbeiten, haben sie Lücken bei den Rentengeldern. Die Schliessung des «Gender Pension Gap» ist ebenfalls eine Forderung des feministischen Streiks.

Die Teilnehmenden der Demonstration vom Feministischer Streik Basel 2023
Bei der Mittleren Brücke tragen riesige Seifenblasen zur guten Stimmung bei. © Muriel Regenhart

Die Demonstration ist gut organisiert: So gibt es auch mehrere Wagen, die gross mit «Wasser H2O» angeschrieben sind. Alle Teilnehmenden haben eine grosse Awareness: Es gibt kein Gedrücke, wenn der Demonstrationszug stoppt und alle schauen, dass es den anderen Teilnehmenden gut geht. Schliesslich sind alle hier, um eine Umverteilung von Zeit, Macht und Geld, zu fordern, so dass alle Menschen Zugang zu einem guten Leben haben. Feministische Rechte einfordern bedeutet, dass es allen gut geht und nicht nur einzelnen.

Obwohl vieles schon passiert ist, müssen sich Frauen immer noch so viel bieten lassen. Kommentare, wie man aussieht, was man macht, was man kann oder nicht kann. Wir müssen uns Dinge anhören, die man nie kommentieren würde, wenn es nicht eine Frau wäre. – Muriel, 27

Auf der Rückseite des T-Shirts der Frau vor mir steht «Was hattest du an?». Mit den Mitdemonstrierenden rede ich über unsere Erfahrungen zu sexualisierter Gewalt. Darüber, wenn ein fremder Mann dein Aussehen kommentiert und dir sagt, dass du auch ohne Make-up schön aussiehst. Darüber, wenn beim Einkaufen ein fremder Mann dir die ganze Zeit hinterher läuft. Darüber, wenn du in der Nacht nach Hause läufst und im vorbeifahrenden Auto ein Mann wichst. Wir müssen nicht lange überlegen, welche Erfahrungen wir gemacht haben. Die Beispiele sind alle aus den letzten Monaten. Denn sexualisierte Gewalt passiert immer! Auch 2023. Auch in der Schweiz.

Es gibt zu viel Ungleichheiten der Geschlechter. Das ist auch in der Schweiz spürbar. Der Scheiss soll endlich aufhören! Uns geht es erst gut, wenn es allen gut geht. – Ivy, 17

Die Demonstration endet, wo sie angefangen hat: Beim Steinenberg wird auf der Strasse getanzt, getrunken und geredet. Viele Teilnehmende nutzen die Gelegenheit, um sich etwas zu Essen zu holen und kurz zu sitzen. Es werden Unterschriften für Initiativen gesammelt und Flyer für ähnliche Veranstaltungen verteilt. Viele bleiben noch, denn der Streik ist noch nicht vorbei. So wird es laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums auch noch 132 Jahre dauern, bis die Gleichstellung der Geschlechter in der Schweiz erreicht ist, weiss eine Teilnehmerin.

Ich gehöre zu der 68er-Bewegung. Damals haben wir gegen viel demonstriert und für Frauen gekämpft; für Anliegen, die heute zum Glück selbstverständlich sind. Heute bin ich hier, um meine Solidarität mit der Bewegung zu zeigen. Es geht weiter. – Maya, 70

Kurz vor 22 Uhr wird der letzte Song gespielt, «Weil ich ein Mädchen bin». Es wird getanzt und mitgesungen. Wir fühlen uns verstanden. Das erste Trämli steht bereit zur Durchfahrt. «Bitte macht Platz und räumt den Abfall weg», hören wir aus dem Lautsprecher, wo gerade noch die Musik herkam. Das Tram fährt durch, die Menge jubelt. Irgendwoher ertönt ein Summen eines Beatles-Songs.

Hier in der Schweiz haben wir die Möglichkeit zu demonstrieren, das nutzen wir auch, um für Frauen einzustehen, die diese Möglichkeit anderswo nicht haben. – Lil, 17

Zehn Minuten später ist alles wieder so, wie es war. Die Trams fahren ihre gewohnten Wege, die Taxis suchen nach Fahrten und die Velos kämpfen sich den Hügel hoch. Doch die Energie und der Zusammenhalt, die aus der Demonstration mitgehen, werden uns auch die nächsten Tage noch begleiten.

* Der Frauenstreik hat sich dieses Jahr schweizweit umbenannt und schliesst beim feministischen Streik FLINTAQ im Namen mit ein. Damit sind Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans, agender und queere Personen gemeint.

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