Wer hat bei Ihnen das Sagen?Wie Beziehungen von Macht bestimmt werden
Liebe und Macht haben nichts gemein? Setzen Sie die rosarote Brille lieber jetzt ab. Denn bereits in den ersten Minuten schreibt sich ein Machtcode in unsere Beziehungen ein. Wer liegt oben auf im Bett, wer verdient die Kohle und wer braucht den anderen weniger? Frauen zeigen ihre Zähne dabei meist erst spät, oft zu spät.
«Love is a battlefield». Pat Benater singt, was viele Paare jeden Tag erleben. In Beziehungen geht es um Macht. Wer kommt zuerst angekrochen, wer stellt das Essen auf den Tisch und wer bewahrt dabei seine Unabhängigkeit? Soweit so normal. Denn ob es uns Romantikerinnen gefällt oder nicht, soziale Beziehungen beruhen nie auf vollkommen gleichgestellten Partnern. Der Paartherapeut Wolfgang Krüger hat darüber sogar ein ganzes Buch geschrieben. Und die wichtigste Frage zu beantworten versucht: Wie viel Kampf ist normal und ab wann kippt die Wippe?
Kennengelernt haben sich Sabrina und Olli in einer Bar. Erst heimliche Blicke, dann heftet Olli einen Post-it an ihr Auto: «Morgen um 19 Uhr beim Italiener in der Königstrasse.» Sabrina, gerade verlassen worden, fühlt sich von dieser klaren Ansage geschmeichelt und kommt. Olli hält der Auserwählten die Türe auf, bringt Sie zum Lachen und küsst sie noch am selben Abend. Jackpot! Olli und Sabrina sind nun seit fünf Jahren zusammen und in der Beziehung ist Olli nach wie vor der, der die Zettel schreibt. Natürlich ist es er, der der den Antrag macht. In der gleichen Bar, auf dieselbe Art. «Um 9 Uhr morgen vor dem Rathaus Aufgebot bestellen.» Romantisch...
Bereits beim Kennenlernen entscheidet sich, wer in der Beziehung den Ton angibt, sagt der Paartherapeut Dr. Wolfgang Krüger. Schmachtende Blicke, neckische Spiele und sogar stundenlange Knutschorgien in den ersten rosa-roten Wochen dienen dem subtilen Ausloten. Wer ist forscher? Wer nimmt Rücksicht? Wer agiert? Und wer reagiert?
Und wer hat die Hosen in der Beziehung an?
Oft sind es die Frauen, die am Anfang einer Beziehung eher passiv auftreten. Sie trauen sich weniger zu sagen, was sie sich wünschen und was sie brauchen. Sie wollen dem anderen gefallen. Und sie tun sich schwer neben dem Herz, auch auf ihre Vernunft zu hören, wenn sie verliebt sind. Das ist menschlich. Schliesslich glauben 70 Prozent beider Geschlechter: wo wirklich geliebt wird, gibt es Macht gar nicht. Das ist so menschlich wie das Irren. Denn gerade weil es viele Frauen versäumen, die Wolken für eine klarere Sicht zur Seite zu schieben, haben sie beruflich und privat oft die schlechtere Startpositionen, sagt Krüger. Wer dem anderen blind vertraut, wird manipuliert.
Olli verdient als Kieferchirurg inzwischen ziemlich gut. Sabrina mag zwar ihre Arbeit als Touristmanagerin, aber sie will auch eine gute Mutter sein. Eine Krippe kommt für beide nicht in Frage. Sein Lohn reicht für die geplante Familie mit zwei Kindern aus. Erst kommt Charlotte, zwei Jahre später Emil und lange hat Sabrina nicht viel mehr gebraucht, als das Lachen ihrer Kinder und Olli, der nie ohne ein liebes Post-it am Kühlschrank das Haus verliess.
Auch wenn der Anfang einer Beziehung schon den Grundstein für die Machtverteilung legt, muss es nicht so bleiben. Machtkämpfe begleiten die gesamte Beziehung hindurch. Und oft sind es Frauen, die sich auf der langen Strecke als erstes ins Ziel laufen. Aber zu welchem Preis?
Dass Frauen sich immer noch oft als passive, liebe, zarte und naive Wesen anwerben lassen, ist nicht so selbstlos wie es scheint. Frauen wissen, dass sie auf dem Beziehungsmarkt schlechtere Karten haben, wenn sie zu fordernd auftreten. Laut Krügers Umfrage unter 460 Frauen und Männern wären 80 Prozent aller Männer am liebsten mit einer romantische Frau zusammen, die im Streit eher nachgibt und ihren Partner bewundert. Selbstbewusstsein ist auch nicht unbedingt erwünscht. Gerade mal jeder dritte Mann fühlt sich zu selbstbewussten Frauen hingezogen.
Chef Haus, Chef Kinder, Chef Schlafzimmer
Also machen viele Frauen am Anfang einer Beziehung auf lieb und anspruchslos. Sie geben in Vielem nach, im Glauben, dass sich ihr Schatz schon noch ändern wird. Doch «das klappt nie. Sie muss es sofort tun, wenn der Mann etwas von ihr will», rät Paartherapeut Krüger.
Sabrina ist stolz auf Olli. Er hat eine Stelle am renommiertesten Spital der Schweiz bekommen. Sie ziehen von Chur nach Zürich und versprechen die Grosseltern oft zu besuchen. Aber seit er seine neue Stelle am Unispital hat, ist er nur noch selten zuhause und wenn, dann ist er oft zu müde um mit Charlotte das Velo Fahren zu üben oder mit Emil sieben mal hintereinander dasselbe Buch anzuschauen. Sabrina versucht ihn aufzuheitern, indem sie ihm seine Lieblingsgerichte kocht, ihn seine Science Fiction Filme schauen oder ihn am Wochenende ausschlafen lässt. Dass sie sich in Zürich alleine fühlt und ihr der alte Job immer mehr fehlt, merkt er nicht. Der Karton Post-its ist aufgebraucht. Er will bald wieder welche kaufen.
Vor allem in Beziehungen die nach traditionellen Rollenmustern leben - er verdient die Brötchen, sie backt sie – schlägt das Machtpendel früher oder später zugunsten der Frau aus. Die Frau ist der Chef im Haus, bei den Kindern und ob es nach dem Spielfilm um zehn noch körperliche Zuneigung gibt. Und glücklich ist meist keiner damit. Der Mann sehnt sich das Zepter zurück und die Frau fühlt sich mit ihren vielen Hüten überfordert.
Die Veränderung wird dabei gerade von Männern erst spät erkannt. Sie wundern sich, warum die Frau jetzt nur noch nörgelt, wo sie früher doch nicht genug von ihm bekommen konnte. Und die Frauen sind gekränkt, dass ihre Arbeit im Haushalt und mit den Kindern nicht anerkannt wird. Der Braten ist kalt, weil er wieder mal zu spät nachhause kam, die dreckigen Turnschuhe liegen wieder einmal auf dem frisch polierten Parkett und in all den Jahren: nicht mal ein mickriger Strauss Blumen.
Sie hätte ja auch mal früher was sagen können, bevor sie die Bratensosse hysterisch in seine neuen Trekkingschuhe leeren muss. Aber hat er denn zugehört, als sie erzählt hat, was für wunderschön gebundene Sträusse der neue Blumenladen neben der Post hat? Krüger gibt den Frauen recht: «Sanfte, entgegenkommende, kompromissbereite Methoden greifen nicht.» Wenn Frauen gehört werden wollen, müssen sie schon poltern. Und ihre Schmerzgrenze wird immer tiefer. Die meisten Trennungen gehen von Frauen aus.
Kein Tag ohne eine Partie Schach-Macht
«Ich muss soviel arbeiten, dass wir uns die Wohnung mit Garten auf dem Zürichberg, die Ferien in der Provence und das zweite Auto überhaupt leisten können», sagt Olli, als Sabrina schon wieder meckert, weil er später kam. Aber was soll er denn machen? Die Frau mit dem vereiterten Kiefer mit Schmerztabletten bis morgen vertrösten, weil seine Tochter ein Einrad-Tournier hat? «Ich könnte ja auch wieder arbeiten gehen», sagt Sabrina. Aber wer kümmert sich dann um die Kinder? Es bleibt alles wie geplant. Olli macht Karriere, Sabrina bepflanzt den Garten für die perfekte Familie. Aber perfekt ist schon lange nichts mehr. Bei jeder Kleinigkeit geht sie in die Luft, ihr Herz pocht so heftig, dass sie erst mal heimlich eine rauchen muss. Wenn sie sich versöhnen will, sagt Olli ihr erstmal, wie sehr sie stinkt. Olli versteht nicht, warum Sabrina so unglücklich ist, sie hat alles und muss nicht einmal arbeiten. Er sollte rauchen müssen, schliesslich hat er den ganzen Stress. Er glaubt, sie liebt ihn nicht mehr. Wie unkompliziert ist dagegen der Flirt mit der neuen Ärztin.
Aber wie fing das alles eigentlich an? Der Alltag ist die grösste Spielwiese für Machtkämpfe. Wer bringt den Müll raus und die Kinder zum Klavierlehrer? Wer entscheidet, wohin der nächste Reise geht und welche Farbe die neuen Gardinen haben? Aber auch das Buhlen um Anerkennung oder das Erkämpfen von Freiheiten gehören zum alltäglichen Machtgerangel zwischen Partnern. Es geht letztendlich schlicht um das Durchsetzen von Interessen. Wie bei einem Tauschgeschäft wird gekungelt und gehandelt. Wer seinen Kopf öfter durchsetzt ist der, der die Hosen an hat – und den anderen weniger braucht.
Machtkämpfe in der Beziehung finden keineswegs immer laut und massiv satt. Nur selten sind es klare Forderungen, Befehle oder gar Gewalt, die Liebende als Machtmittel benutzen. Vielmehr wird der Machtkampf der Liebe dort ausgetragen, wo Liebe auch stattfindet: Auf emotionaler Ebene. Ganz subtil, zwischen den Zeilen lassen Paare die Muskeln spielen. Dabei können die Mittel der Macht ebenso stumm wie wirkungsvoll sein: Eine hochgezogene Augenbraue im passenden Moment kann so treffend und erhaben sein, wie der Peitschenhieb eines Gladiators. Klassische Kampfmittel zwischen Mann und Frau sind ausserdem der Entzug von Nähe oder gar körperlicher Zuneigung, die Zuteilung von Geld oder sogar die Manipulation der Kinder.
Sabrina weint nicht, als sie durch einen Zufall herausfindet, dass Olli sie betrügt. Sie packt seine Sachen, lädt sie in seinen SUV und legt ihm ein Post-it dazu: «Ich hoffe, du hast viel Geld verdient. Du hörst von meinem Anwalt.»
Feine Nadelstiche vs. Aussitzen
Frauen und Männer sind in Machtfragen nicht pauschal so aufgestellt wie Olli und Sabrina. Aber es gibt Muster, die sich in den meisten Beziehungen wiederholen. Männer sitzen Machtspiele eher aus. Sie ignorieren Absprachen und wirken gleichgültig durch ihr passives Verhalten. Der Klügere schweigt?
Glaubt man Krüger spielen nämlich auch Männer unfair. Sie schaffen Verunsicherung indem sie die Intelligenz ihrer Partnerinnen anzweifeln oder ihr Äusseres mokieren. Das ist Schwachsinn! Du wirst aber auch immer runder. Wenn du dich aufregst, hast du eine ziemlich hässliche Furche auf der Stirn.
Frauen hingegen gehen zwar massivem Streit lange aus dem Weg, taktieren dafür vorher umso agiler. Nörgeln, Meckern und das Blossstellen des Partners in der Öffentlichkeit ist typisch Frauensache. Oder ist es für sie schwer zu erraten, ob der Mann oder die Frau das gesagt hat: «Vielleicht hat er kein so grosses Auto wie du, aber dafür was zwischen den Beinen!»
Wieviel Machtkampf ist normal und wie spielt man fair?
Emotionales Armdrücken unter Liebenden – das klingt nicht gerade nach Romantik. Wie steht es also um die Beziehung an sich, wenn ständig um die Macht gerungen wird? Krüger sagt: Das Spiel um die Macht gehört in jede Beziehung. Es ist normal. Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Beziehungen sind dynamische Strukturen, in denen zwei Individuen kooperieren müssen, die nicht nur verschiedene Eigenschaften, sondern auch ständig neue, veränderbare Bedürfnisse und Lebenssituationen haben. All das muss unter einen Hut gebracht werden. Und ohne taktisches Ausloten dieser Interessen und Bedürfnisse geht es nicht. Und auch wenn es nicht so tönt, sind Machtspiele in stabilen Beziehungen nicht auf ein Gegeneinander, sondern auf ein Miteinander gerichtet. Gesunde Machtspiele suchen keinen Gewinner oder Verlierer, sondern Kompromisse. Liebe ist ein Tauschgeschäft, das dann gut funktioniert, wenn Geben und Nehmen im Gleichgewicht bleiben. Wenn sie gerade oben auf der Wippe schwingt, sollte er als nächstes dran sein.
Macht hat in einer Beziehung aber noch eine weitere wichtige Funktion. Sie dient der Abgrenzung und damit der Selbsterhaltung. Wer seine eigenen Bedürfnisse kommuniziert und auch hin und wieder durchsetzt, grenzt sich ab und verhindert, dass er seine Persönlichkeit komplett an den Partner verliert. Jeder braucht ein eigenes, abgestecktes Reich. Das kann Freundeskreis, ein Hobby oder auch ein eigenes Konto sein. Das unbewusste, aber gesunde Ziel solcher Abgrenzungen ist die Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls. Man zeigt sich und dem Partner, dass die eigene Persönlichkeit nicht nur an die Beziehung gekoppelt ist und das ist nur gut für eine Beziehung, sagt der Paartherapeut Krüger.
Und natürlich dürfen wir unseren Partner kritisieren, sagt Krüger. Aber Lob und Kritik müssen dagegen absolut aus dem Gleichgewicht sein. Eine ehrliche Kritik verlangt fünf ehrliche Komplimente. Und ein reinigendes Gewitter ist besser als jeden Abend Nieselwetter. Also, lassen sie es lieber mal auf eine grosse Auseinandersetzung ankommen, als ständig kleine Giftpfeile zu schiessen.
Ab wann zerstört Macht die Beziehung?
Hätten Olli und Sabrina eine Chance gehabt, wenn Sabrina Ihren Job nicht aufgegeben hätte? Und hätte Sabrina Olli nicht sagen müssen, dass ihr eine wunderschöne Wohnung mit Garten nichts wert ist, wenn sie diese nicht zusammen geniessen?
Belastend werden Machtspiele immer dann, wenn sie zu einseitig oder extrem werden. Oder, wenn um Belange gerungen wird, die für die Beziehung essentiell sind. Geraten grundlegende Beziehungsbausteine, wie Treue, Nähe, Intimität oder Vertrauen in den Machtkampf, kann das mehr zerstören, als nützen. Die tief verletzte Seele will nämlich nun, dass auch der andere leiden soll. So fügt jeder dem anderen kleine seelische Wunden zu – durch gezielte Sticheleien, demonstrative Gleichgültigkeit, Repression oder Liebesentzug, um sich selbst besser zu fühlen und sich emotional vom Partner zu lösen. Denn «das Gefühl der Unterlegenheit führt immer dazu, dass man zu unfairen Mitteln greift», sagt Krüger.
Das geschieht nach Trennungen um so unerbittlicher. 90 Prozent aller Trennungen enden laut Krüger in Vernichtungskämpfen.
Sabrina nörgelte und meckerte, liess Olli aber solange den Ton angeben, bis er sie mit einer anderen betrog. Zu spät. Wie weit sie nun gehen wird, um als Sieger aus der Beziehung zu gehen, bestimmt, ob die Kinder die drohende Scheidung gut verarbeiten können und ob auch Olli die Chance für einen fairen Neuanfang mit oder ohne Sabrina bekommt.
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