Kommentar Hört auf, euch an Depp und Heard aufzugeilen

Amber Heard und Johnny Depp haben den Auftritt ihres Lebens in den Gerichtssälen von Fairfax (Virginia) – neun Millionen Menschen schauen zu und lachen über Amber Heard. Ihre Aussagen sind Memes und TikTok-Trend geworden. Aber Mitlachen verhindert, dass Opfer von Gewalt ihre Geschichte erzählen und setzt ein falsches Zeichen – findet Redaktorin Jenny. Ein Kommentar.

Amber Heard und Johnny Depp
Amber Heard und Johnny Depp © Shutterstock

Ob Bachelor, Liebe macht Blind oder Keeping Up with the Kardashians – Reality-TV hat einen ganz besonderen Reiz. Irgendwie fühlt man sich ein bisschen besser, wenn man sieht, wie sich andere blamieren. Ein harmloses Guilty Pleasure eben. Ganz vorn in den aktuellen Trends: der Verleumdungsprozess von Amber Heard und Johnny Depp.

Gerade verfolgen ihn neun Millionen Menschen live auf Court TV oder YouTube. Das Aufgeilen an der Promi-Schlammschlacht ist jedoch keineswegs harmlos. Vielmehr ist es ein Schlag ins Gesicht jeder Frau, die sexualisierte oder häusliche Gewalt erlebt hat.

Depp in der Rolle des Helden, Heard spielt verrückte Ex

#Justiceforjohnny trendet momentan auf Twitter. Johnny Depp ist zum Helden vieler geworden, während Amber Heard durch den Dreck gezogen wird. Es hat sich längst ein Urteil gebildet, das sie als Lügnerin abstempelt. Johnny Depp umwirbt mit Charme und Coolness den Zeugenstand, während man Amber Heard als Opfer nicht mehr ernst nimmt – einfach weil er sympathischer ist. Und das hat niemand verdient.

Klar, Amber Heard ist kein Unschuldslamm. Sie hat nachweislich schlimme Dinge getan: Depp ins Bett gekackt, Depp betrogen, Depp mit einer Glasflasche beworfen und damit einen Teil seiner Fingerkuppe abgetrennt. Währenddessen hat Johnny Depp ihr gedroht, sie umzubringen und danach ihre Leiche zu ficken, sie als Geisel festgehalten, ihr zwischen die Beine gefasst und dort nach seinem Kokain gesucht. Ist es nicht zu früh, ein Urteil darüber zu bilden, wer lügt? Eigentlich sieht es noch gar nicht danach aus, dass Johnny Depp den Prozess gewinnt, weil beide Parteien belastendes Material haben. Er hat aber die breitere Fan-Base, was in der «post Me Too Ära» wichtiger scheint.

«Sie hat so viele Lügen erzählt, dass sie nicht mehr weiss, was wahr ist», schreibt ein User über Amber Heard. Dabei ist klar: Zeugenaussagen sind schwer zu deuten, weil der Mensch Gedächtnislücken hat oder zu Scheinerinnerungen tendiert. Zudem ist es wichtig zu wissen, dass Amber Heard an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Die ganze Debatte ist eine Täter-Opfer-Umkehr, die gängigen Mustern folgt und vor allem Frauen im Stich lässt.

Opfer zeigen ihre Täter selten an

Fakt ist: Der gefährlichste Ort für Frauen ist das eigene zu Hause. 27 Prozent aller Frauen ab 15 erleben mindestens einmal körperliche und oder sexuelle Gewalt in ihrer Partnerschaft. In der Schweiz werden nur acht Prozent aller sexuellen Übergriffe angezeigt. 64 % der Opfer gehen laut gfs.bern aus Scham nicht zur Polizei. Wenn man sich das vorstellt, ist es erschreckend, dass über Amber Heard gelacht wird und der Prozess überall thematisiert wird.

Es ist verlockend, auf den Zug aufzuspringen und sich am Gossip über Heard und Depp zu beteiligen. Dennoch fordert es hier eine klare Position. Wie können wir über Amber Heard lachen und gleichzeitig Opfer von sexualisierter oder häuslicher Gewalt ermutigen, ihre Täter anzuzeigen? Also hört auf, euch am Heard-Depp-Prozess aufzugeilen oder daran zu ergötzen. Es ist einfach nicht lustig.

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