Cüpli, Wein & Co. Warum ist Alkoholtrinken eigentlich so cool?

Ein Cüpli zum Anstossen, eine Flasche Wein zum Abendessen, ein paar Drinks zum Feiern – Alkohol hat einen festen Platz in unserer Gesellschaft. Wer nicht mittrinkt, wird oft nach einer Erklärung gefragt. Zusammen mit Ernährungspsychologin Ronia Schiftan wollte ich herausfinden, warum ein Nein zu Alkohol selten über unsere Lippen kommt.

Zwei Menschen auf einer Homeparty. Auf der Kommode stehen viele verschiedene Spirituosen.
Wie problematisch ist unsere Einstellung gegenüber Alkohol? © Tobias Tullius / Unsplash

«Wieso trinkst du keinen Alkohol?» Auf diese Frage gibt es viele mögliche Antworten, doch nicht jede scheint «richtig» zu sein. Aus religiösen oder gesundheitlichen Gründen ist der Verzicht schnell akzeptiert. Einfach keine Lust zu haben, ist aber für viele keine Entschuldigung.

Diese Erfahrung habe ich kürzlich selbst gemacht, als mich eine Freundin fragte, weshalb ich nichts trinke. Auf meine Antwort, dass ich keine Lust habe, meinte sie: «Du bist mega langweilig geworden.» Dieses Erlebnis hat mich nachdenklich gemacht – und war die Motivation unser Trinkverhalten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. 

Ernährungspsychologin Ronia Schiftan half mir dabei, meine Gedanken einzuordnen. Sie erklärte mir, wieso Alkohol bei uns in Westeuropa so wichtig ist und warum es als cool gilt, Alkohol zu konsumieren. 

Warum trinken wir eigentlich Alkohol?

«Der Konsum von Alkohol schafft ein Zugehörigkeitsgefühl», sagt die Ernährungspsychologin. Ein Grund, warum viele von uns gerne und oft ins Glas schauen. Auch ich mag es, mit meinen Freunden eine Flasche Wein zu teilen oder ein Bier zu trinken. Klar ist, Alkohol lockert nicht nur die Stimmung auf. Schiftan erklärt: «Alkohol kann auch soziale Ängste und Hemmungen lösen».

Über Ronia Schiftan

Ronia Schiftan
© zVg

Ronia Schiftan ist ausgebildete Psychologin. Nach ihrem Master in Psychologie hat sie sich auf den Fachbereich Ernährungspsychologie konzentriert. Schiftan bietet unter anderem gesundheitspsychologische Beratungen im Einzelsetting sowie zum Themengebiet «Ernährung im BGM» an und hilft bei Projekten im Bereich der Gesundheitsförderung.

Trinken wir also nur, um uns als Teil einer Gruppe zu fühlen? Schiftan meint dazu: «Der Mensch hat Angst davor, ausgeschlossen zu werden.» Wir wollen alle Teil eines grösseren Ganzen sein. «Und in den meisten Gruppen gehört Alkoholtrinken einfach dazu», fügt sie an. Es ist aber nicht nur das Zugehörigkeitsgefühl, das den Konsum von Alkohol für viele so attraktiv macht.

Was macht Alkohol mit uns?

«Alkohol hat einen eskapistischen Effekt auf uns», so Ronia Schiftan. Das heisst, dass Menschen durch den Konsum ihrem Alltag entfliehen. «Zudem verändert sich durch den Alkoholkonsum unsere Wahrnehmung», weiss die Ernährungspsychologin. Er hilft Menschen also, aus der eigenen Haut zu kommen und die Hüllen fallen zu lassen.

Doch ist dies nicht auch sonst möglich? Sind unsere sozialen Zwänge so stark, dass man sie nur durch einen Rausch einreissen kann?

Trinken wir nur, um dazuzugehören? 

An meiner Befürchtung scheint etwas dran zu sein. Denn wer nicht trinkt, fällt auf. Entscheidet sich in einer Gruppe jemand, keinen Alkohol zu trinken, muss mit Fragen wie «bist du schwanger oder auf Entzug?» gerechnet werden. Schiftan bestätigt: «In unserer Gesellschaft gilt es als normal, Alkohol zu trinken – auch in grossen Mengen.»

In der Psychologie spricht man in diesem Kontext von In- und Out-Group. Wir identifizieren uns mit unseren Kollegen in der In-Group, also mit all denen, die Alkohol trinken. Trinkt eine Person keinen Alkohol, gehört sie zur Out-Group. Diese Fremdgruppe wird kritisch und genau beobachtet und beurteilt. Genau das ist mir und meiner Freundin am erwähnten Abend passiert. Durch meinen Entschluss, nicht zu trinken, war ich nicht mehr Teil «ihrer» Gruppe.

Wieso darf man nicht einfach mal keine Lust haben?

Wie mir Schiftan erklärt, tragen all diese Prozesse dazu bei, dass viele öfter Alkohol konsumieren als sie es tatsächlich wollen. Wer will sich schon bewusst ins Aus katapultieren... Wieso wird nicht akzeptiert, dass man halt einfach mal keine Lust hat? Der «Vollsuff» mit Kater hingegen scheint für alle in Ordnung, ja sogar erstrebenswert, zu sein.

Schiftan nickt. «Das ist das Problem: Exzessiver Alkoholkonsum wird sehr lange von der Gesellschaft akzeptiert.» So haben viele von uns ein Konsumverhalten, das als problematisch gilt. Und dies, ohne es zu wissen. 

Wie problematisch ist dein Alkoholkonsum?

Du bist dir nicht sicher, ob dein Konsum von Alkohol bereits problematisch ist? Ronia Schiftan rät, den Selbsttest der Suchtprävention des Kantons Zürich zu machen.

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