GenitalverstümmelungSara Aduse über ihre traumatische Beschneidung

Sara Aduse ist Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung. Als Teil der gemeinnützigen Stiftung gegen Mädchenbeschneidung und Botschafterin von «Bye Bye FGM», will sie jetzt ihre eigene Anlaufstelle für missbrauchte und traumatisierte Menschen gründen und hat so ihre Mission fürs Leben gefunden. 22 Jahre nach ihrer Beschneidung hat sie die Frau getroffen, die ihr das angetan hat und sie damit konfrontiert. Ihre Geschichte kann man aktuell im Kino sehen.

Sara Aduse nutzt ihre Erfahrung mit Genitalverstümmelung

Fremdbestimmt, machtlos, genitalverstümmelt: Sara Aduse (29) wurden als siebenjähriges Mädchen die inneren Schamlippen abgetrennt und die Klitoris abgedeckt.

Ihre Grossmutter hatte diesen Akt damals in Äthiopien initiiert. Nun lebt Sara Aduse seit 17 Jahren in der Schweiz.

Sara, statt «nur» über Genitalverstümmelung zu reden, willst du handeln, Lösungen finden. Fühlst du dich selbst von deiner Erfahrung geheilt?

Wenn ich an meine Beschneidung zurückdenke, berührt es mich jedes Mal und ich könnte weinen. Mittlerweile habe ich gelernt, wie ich meinem Trauma eine neue Bedeutung geben kann. Ich habe meine Wut in Liebe und Vergebung umgewandelt. Da steckt viel Arbeit an mir selbst dahinter. Das hat mich zu einem Punkt gebracht, an dem ich sagen kann, Heilung ist möglich.

Wie hast du es geschafft deiner Grossmutter zu verzeihen?

Ich habe verstanden, wieso sie mir das angetan hat. Seit klein auf wird der Brauch der Genitalverstümmelung den Menschen beigebracht und mit der Religion gerechtfertigt – was eine totale Fehlinformation ist. Frauen seien ohne die Beschneidung schmutzig und nicht heiratswürdig. Schlussendlich ist meine Grossmutter genauso ein verletztes Mädchen wie ich. Nach ihrer Beschneidung wurde sie zusammengenäht, übergeblieben ist nur ein zündholzkopfgrosses Loch für den Urin und die Periode. Auch wenn das Paradox klingen mag, hat es meine Grossmutter aus Liebe für mich getan. Als ich für meinen Film nach Äthiopien zurück gereist bin, bin ich ihr auf Augenhöhe begegnet und konnte sie neu kennenlernen. Jetzt pflegen wir eine sehr schöne Beziehung.

Wie hattest du sie in Erinnerung?

Sie hat mich sehr streng erzogen, was aus mir ein rebellisches Kind gemacht hat. Zuwendung und Liebe gehörte nicht zu der Erziehung. Nach der Beschneidung fühlte ich mich verloren, fremdbestimmt und überfordert. Was war an mir so falsch, dass man es mir wegschneiden musste? Die einzige Erklärung, die ich gehört habe, war: «Du bist jetzt eine richtige Frau». Eine grosse Wut hatte sich in mir aufgestaut, die ich auch noch als Erwachsene hauptsächlich an meiner Mutter ausgelassen habe…

Als du 24 Jahre alt warst, hattest du aber einen «Turningpoint», richtig?

Genau. Dieser ereignete sich als ich vor 800 Menschen bei einem Seminarbesuch spontan über meine Beschneidung gesprochen habe und mich erstmals verletzlich zeigte. Die Reaktion der anderen Teilnehmer war unglaublich. Ich fühlte mich unterstützt und wertgeschätzt. Für mich bisher eine unbekannte Emotion. Später habe ich in einem anderen Seminar über das Thema Selbstliebe realisiert, dass ich zuerst lernen muss, mich selbst wertzuschätzen. Das war der Punkt, an dem ich Verantwortung für meine Gefühle und mein Schicksal übernahm. Ich habe meinen Job als Pflegefachfrau gekündigt und habe mich selbstständig gemacht. Heute bin ausgebildete Mentorin und Personal-Coach.

Was ist daraus geworden?

Viel Aufregendes. Ich habe ein Buch geschrieben, das meinen Heilungsprozess behandelt. Ich möchte Frauen, die genitalverstümmelt worden sind, und Menschen, die ein Trauma erlebt haben, ein Werkzeug in die Hand geben, wie man mit Wut und Emotionen umgehen kann. Dafür gründe ich auch meine eigene Stiftung und werde im In- und Ausland mit meiner Aufklärungs- und Hilfsarbeit starten.

Wie sieht es mit deiner körperlichen Heilung aus?

Im Februar 2018 habe ich eine Wiederherstellungsoperation im Triemli Spital machen lassen. Nach der Operation habe ich mich selbstbewusster und als ganze Frau gefühlt. Aber die OP hat meinem psychischen «Struggle» nicht geholfen. Der Körper ist das eine, aber die seelische Heilung beansprucht die grössere und wichtigere Arbeit.

Titelbild: zvg Sara Aduse

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