Die BabyprobeWer ist die Giraffe im Zimmer
Selbst als mein Sohn vier Monate alt war, wollte es Jule noch nicht glauben. Das kam aus dir raus? Meine beste Freundin blickte auf ihn, wie eine Giraffe, die sich im Wohnzimmer breit machte. Das ist doch verrückt! Recht hatte sie. Denn ein Kind verändert alles, auch die beste Freundschaft.
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Aber wir müssen wohl nochmal im Text zurückspulen. Es war ein verregneter Urlaubstag in Kroatien. Theo und ich spielten Bier-Trivial-Pursuit, ich tötete für ihn eine Riesenspinne und ein paar Wochen später weinte ich grundlos, war immerzu müde und meine Brüste…
So genau wollt ihr das wahrscheinlich auch nicht wissen. Aber das war ja das Problem mit dem ersten Mal schwanger und dann gleich noch Mutter sein (man sollte das vielleicht fairer aufteilen): Es passierten so viele Dinge mit meinem Körper und meinem Leben, die ich selbst höchst merkwürdig fand. Wie eigentlich immer hatte ich keinen Plan A. Und als das Pipimeter «Baby» sagte, fand ich das schrecklich beunruhigend. Aber erzählen konnte ich es dem Julchen auch nicht. Ich wurde ja Mutter und musste überglücklich sein. Zumindest dachte ich das immer.
Ich war noch nie so sehr zu zweit, zu dritt, zusammen und allein, wie in der Zeit als ich schwanger war. Ein Alien wuchs in meinem Bauch und ich hatte so viele Fragen.
Werden meine Brüste jetzt immer so gross bleiben? Spürt mein Kind, dass ich Angst davor habe, wenn es raus kommt? Wie zum Teufel soll die Melone da unten durch? Wird es auch Schaden davon tragen, dass ich den Billig-Fiberthermometer gekauft habe und nicht den teureren, von Stifung Warentest für sehr gut befundenen? Wird das wirklich so sehr tropfen, dass ich Einlagen für den BH brauche? Werde ich jetzt auch nur Blödsinn glucksen, wie all die anderen Mütter? Ja, also wir kaufen ja nur pädagogisch korrektes Spielzeug! Das ist besser für die frühkindliche Bildung. Gell, Vincent-Karl-Amadeus, utzi guti butzz, ja was hast du denn da für ein Gschmäckli? Mhmm, riecht das gut. Au ja fein, gut gemacht, die Mami freut sich schon dein Gschenkli auszupacken. Jooooo!
Das Gehirn von Eltern wird vor lauter Liebe manchmal ganz schön weichgespült. Jule und ich wollten absolut nicht in diesen Verein eintreten. Deshalb schlossen wir einen Pakt. Lass uns zusammen Kinder kriegen, dann merken wir nicht, wie blöd wir sind. Ich brach ihn.
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Phase eins unserer neuen Fernbeziehung bestand darin, dass ich sie die ersten drei Monate die ganze Zeit angelogen habe. Schliesslich, weiss man ja nie, ob alles gut gehen wird. Es ging gut und ich wurde Meisterin im Ausreden erfinden. Sorry, ich muss Antibiotika nehmen, ich muss unseren Prosecco-Donnerstag leider ausfallen lassen. Puh die Bergluft hat mich so müde gemacht, geh mal ohne mich zum Aprés-Ski. Jetzt hat Theo doch ausversehen mein Bier weggetrunken! Nee, ich will jetzt nicht mehr rauchen, ich habe gelesen, wenn man mit 30 aufhört, lebt man zehn Jahre länger! Es war mir bis dahin nicht bewusst, wie viel unserer gemeinsamen Zeit eigentlich im Feiern bestand.
Plötzlich fielen alle diese Momente weg - und sie fehlten mir unglaublich. Aber ich hatte plötzlich nicht nur mich, auf die Jule und Theo schon aufpassten, ich hatte Verantwortung für ein neues Leben und die musste ich schon selber tragen. Das Jule sich die ganze Zeit gefragt hatte, warum ich so anders geworden bin, nahm ich in Kauf. Bis zu Jules Dreissigstem.
Der Dreissigste war in unserer Teenager-Zeit immer ein Datum, dass es sich gerade nocht lohnte zu erreichen. Deshalb hatten wir vor mit Getöse von der Bühne geschubst zu werden. Doch die gemeinsame Party fand nicht statt. Ich war schwanger und Jule musste die ganze Sambucca-Flasche alleine trinken.
Während ich Wal wurde und zuschaute wie das Giraffenbaby wuchs, heiratete, eine neue Wohnung suchte und sämtlichen Babykram zusammen trug, ohne Jule, tat Jule, was sie immer tat, ohne mich. Die Treffen wurden immer weniger, die Telefongespräche pflichtschuldiger. Ich vergass, was sie am Wochenende vorhatte, wohin sie in Urlaub fahren wollte, wann die Weissheitszähne gezogen wurden. Mit anderen Worten, wir waren voll in Phase zwei unserer Fernbeziehung angekommen.
Wir lebten in einer Welt mit zwei Zeitrechnungen. Replay: Für mich war alles was Jule machte, ein Leben, das ich mir einst selbst so ausgesucht hatte, jetzt aber zur Vergangenheit gehörte. Fast Forward: Und Jule stutzte nur noch, wie eilig ich es mit der Zukunft hatte.
Obwohlich bei den Hechelübungen immer nur schummelte, brachte ich eine ziemlich gelungen Giraffe auf die Welt. Sie beschloss bei mir zu bleiben und ich, dass sie das auch musste, weil ich absolut verschossen in sie war. Egal wie müde und ahnungslos ich war, ich war noch so ausgeglichen und einverstanden mit mir und der Welt, wie seit dem Tag als die Giraffen geboren wurde.
Und dann kam irgendwann eine Nachricht. «Brasilien oder Chile?», fragte Jule. «Say Whaaat?! Urlaub, wie schön!», glaubte ich. «Nee, ich muss auswandern.» In Julchen-Sprache heisst das, ich bin kurz davor Riesenscheiss zu bauen. Was hatte ich verpasst? Warum hatte sie mir das nicht erzählt? Ich bat eine gemeinsame Freundin um Rat und bekam einen Schlag ins Gesicht als Antwort.
Du must einfach verstehen, dass ihr jetzt in einer anderen Lebensphase seid, Jule hat einfach keine Lust jemandem von ihrem Liebeskummer zu erzählen, der am rechten Finger einen goldenen Ring und einen am linken Plastikschnuller trägt. Ich wurde ausgetauscht! An diesem Abend weinte ich mich in den Schlaf, wie es früher nur bei richtigem hartem Liebeskummer tat.
Was würde der Paartherapeut jetzt sagen? Ich hatte keinen und zog deshalb meinen besten aller Plan-Bs zurate, wenn ich nicht weiss, was ich machen soll. Nämlich nichts. Abwarten, was die Zeit bringt. Ich meldete mich bei Jule genauso häufig und selten wie zuvor, nur die Chancen, dass wir bald mal wieder Quality-Time haben konnten wuchsen mit jedem Zentimeter der Giraffe.
Nochmal von vorne bitte: Es ist lustig, aber Jule und ich haben uns ohne es zu wissen denselben Konfirmationsspruch ausgesucht. «Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.» Theo hatte nämlich recht. Wir haben die Erwartungen an unsere Freundschaft über all die Jahre so hoch geschraubt, dass wir uns gegenseitig irgendwann enttäuschen mussten. Aber Jule und ich hatten auch recht: das ist gut so. Denn die wirklich guten Freunde bleiben.
Egal wie weit weg sie sind, wie häufig man sich sieht und wie schwer es wird füreinander da zu sein. Und ja, es wird weniger. Und man ist manchmal ziemlich weit weg voneinander, auch räumlich. Aber es wird immer diese Momente geben, in denen wir uns näher sind, als mit jedem anderen Menschen auf dieser Welt.
Liste der Dinge, die Jule für den Wal und die Giraffe gemacht hat:
- Als ich Jule erzählte habe, dass ich schwanger bin, hat sie zwei Nächte vor Aufregung nicht geschlafen.
- Zu meinem Geburtstag hat mir Jule kein Buch über Babys geschenkt, sondern ein Gutschein für ein Konzert.
- Bei meiner Hochzeit hat Jule so lange getanzt bis ihr die Beine wegknickten.
- Jule hat der Giraffe, das lustigste Kuscheltier der Welt geschenkt.
- Jule hat nie gemeint zu wissen, wie die Giraffe besser gross gezogen wird.
- Jule hat mir nie vorgeworfen, dass ich wegen der Giraffe ihren Geburtstag sausen liess.
- Jule hatte Tränen in den Augen, als die Giraffe alleine seine Milch trinken konnte.
- Jule hat die Giraffen-Mama mit auf ein giraffenfreies Wochenende mitgenommen.
- Jule lässt mich nie vergessen, dass ich nicht nur ein Muttertier bin, sondern auch eine Frau mit einem wilden Mädchenherzen. Und das wird immer im gleichen Takt mit deinem schlagen.
Text: Karen O.