Leserfragen an Dania Schiftan«Meine Kollegin wird von ihrem Freund geschlagen – was kann man bei Gewalt gegen Frauen tun?»

Gewalt gegen Frauen ist schrecklich. Wie hilft man einer Freundin, die häusliche Gewalt erfährt und von ihrem Freund psychisch fertiggemacht wird? Psychotherapeutin Dania Schiftan hat Tipps, was nun zu tun ist.

Gewalt gegen Frauen: Was kann ich tun, wenn meine Freundin häusliche Gewalt erfährt?

Liebe Dania

Eine Kollegin von mir (gleich alt wie ich) erlebt von ihrem Freund körperliche und auch psychische Gewalt.

Ich möchte, dass sie mir weiterhin davon erzählt und sich mir anvertraut. Die Tipps und Ratschläge gehen mir aber langsam aus und nur zuhören ist einfach nicht genug.

Meine Kollegin ist stur und will sich nicht von ihm trennen, auch wenn sie eigentlich weiss, dass sie etwas Besseres verdient hat und Gewalt gegen Frauen ein No-Go ist. Sie sagt, sie haben auch gute Zeiten miteinander und dass sie ihn trotzdem liebt, auch wenn er ihr im Streit manchmal eine Ohrfeige gibt und sie seelisch fertigmacht.

Wie soll ich damit umgehen? Wie kann ich ihr helfen und sie dazu bringen, dass sie sich endlich trennt?

Anonym, 26

Über Dania Schiftan

Dania Schiftan beantwortet Leserfragen

Als Dr. in Psychotherapeutin (FSP, Eidg. anerkannt) mit eigener Praxis in Zürich arbeitet Dania Schiftan seit 2008 als selbständige Psychotherapeutin. Nebst ihrer Praxistätigkeit bietet Dania Schiftan seit einigen Jahren auch eine Online Therapie an. Hier geht es zu Dania Schiftans Webseite.

Liebe Femelle-Leserin

Was du erlebst mit deiner Freundin, ist mitunter eines der ohnmächtigsten Erlebnisse, die man haben kann. Bei psychischer und körperlicher Gewalt gegen Frauen wird einem direkt vor Augen geführt, wie stark jemand leiden kann. Und wenn man jemanden mag, dann ist es gar nicht einfach auszuhalten, diese Person so leiden zu sehen.

Was bei dir noch erschwerend dazu kommt ist, dass deine Freundin nicht einzusehen scheint, dass sie leidet. Und genau das empfinde ich auch als einen Konflikt, den deine Freundin mit sich selbst hat. Damit möchte ich sagen, dass deine Freundin gewiss spürt, dass sie sich in einer toxischen Beziehung befindet, welche ihr nicht gut tut. Aber offensichtlich gibt es eine andere Stimme in ihr, die sie immer wieder motiviert, bei ihm zu bleiben. Daher: ein Dilemma. Für beide von euch.

Es gibt verschiedene Ratschläge und Regeln für solche Momente, auf die ich dich hinweisen möchte. Das erste ist, nicht in Panik zu geraten und unreflektiert zu agieren. Das machst du sehr gut, wie du beschreibst. Denn es ist von grosser Bedeutsamkeit für deine Freundin wahrnehmen zu können, dass sie auf dich zählen kann und dass du eine Freundin bist, die sich gut überlegt, was sie tut, bevor sie handelt.

Gerate nicht in Panik und agiere unreflektiert.

Gleichzeitig ist es aber sehr wichtig, dass du spürst, wenn es für dich selber zu viel wird. Das heisst auch – obwohl du deine Freundin wirklich magst –, dass es relevant ist ihr sagen zu können, wenn du sie mal nicht hören magst oder eine Verabredung absagen musst, weil es dir gerade nicht gut tut. Du darfst ihr in solchen Momenten auch sagen, was ihre Situation mit dir macht. So versteht sie, weshalb du vielleicht ein wenig Abstand brauchst.

Um eine gute Freundin sein zu können, muss man auf sich selber aufpassen können. Denn wenn es ihr schon schlecht geht und dir aufgrund dessen letzten Endes auch, dann hilft das niemandem von euch beiden. Sich für jemand anderes aufzuopfern, löst sehr oft einen Domino-Effekt aus – bäm bäm bäm – und das ist wohl das weitaus schlechteste Resultat.

Im Hinterkopf behalten solltest du auch, dass du deiner Freundin keine Entscheidung abnehmen kannst. Für dich mag alles sehr logisch sein; deine Freundin aber steckt in einer anderen Haut. Das Bedeutendste, was du ihr bieten kannst, ist ein Ohr. Eines das zuhört und für sie da ist, ein Ohr, das sie sich leihen darf – wenn sie es braucht.

Wenn du es schaffst, ihr zu vermitteln, dass sie sich jederzeit an dich wenden darf, aber nicht muss, wird sie motiviert bleiben, auf dich zuzukommen und sich zu offenbaren. Solltest du eine ablehnende Haltung ihr gegenüber entwickeln aus dem Gefühl heraus, endlich handeln zu wollen oder sogar gegen sie zu agieren, damit es ihr besser geht, wird sie sich verschliessen.

Das Bedeutendste, was du ihr bieten kannst, ist ein Ohr.

Du solltest also nicht einfach so zur Polizei zu laufen, ohne vorab von deiner Freundin das Einverständnis einzuholen. Das bedeutet auch, dass du keine juristischen Schritte für sie übernehmen kannst. Was ich dir aber empfehlen würde: Kontaktiere eine Frauenberatungsstelle oder hole dir weiteren Rat bei lilli.ch. Diese Stellen können dir helfen zu sortieren, welche Schritte welche Auswirkungen haben können. Was beispielsweise unternommen werden könnte, wenn sich deine Freundin trennen würde und ihr Freund diese nicht zuliesse; oder wie vorgegangen werden könnte, wenn der Druck auf deine Freundin oder die Erlebnisse schlimmer würden.

Es tut immer gut, selber über die rechtlichen Konsequenzen und Massnahmen informiert zu sein. Denn je sicherer du dich fühlst, desto mehr kannst du deiner Freundin eine Stütze sein. Ich hoffe, ich konnte dir mit diesen Hinweisen weiterhelfen. Du musst wissen, dass das alles nicht leicht ist. Beziehungen, die einem nicht gut tun, sind immer eine unglaublich heikle, sensible und schwierige Angelegenheit. Ich wünsche euch alles Gute! 

Alle Leserfragen an Dania Schiftan:

Titelbild:     CSA-Printstock/DigitalVision Vector

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