Leserfragen an Dania Schiftan«Mein Freund hat keine Zeit für mich – was soll ich tun?»

Plötzlich hat der Freund keine Zeit mehr. Obwohl unsere Leserin erst vor kurzem mit ihrem Freund zusammengezogen ist, nimmt die gemeinsame Zeit stetig ab. Psychotherapeutin Dania Schiftan verrät woran das liegen könnte und wie man wieder mehr kuschlige Paarzeit in den Alltag integrieren kann.

Frau alleine

Liebe Dania

Mein Freund und ich sind seit 3 Jahren zusammen, seit einem halben Jahr wohnen wir zusammen. Leider hat er aber fast keine Zeit für mich. Er arbeitet in seinem ersten richtigen Job nach dem Studium und wir sehen uns jede Woche nur ein paar Stunden – wenn’s hoch kommt.

Unter der Woche ist er zum Teil so lange im Büro, dass ich schon schlafe, wenn er nach Hause kommt. Und in letzter Zeit arbeitet er sogar am Wochenende. Sein Job gefällt ihm und er verdient sehr gut, aber er versteht nicht, wie sehr unsere Beziehung darunter leidet. Ich bin es langsam Leid, ihn ständig darauf anzusprechen und Wochenenden immer nur mit meinen Freunden oder alleine zu verbringen. Wie nimmt er mich endlich ernst? Oder ist unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt?

Sandra, 26

Über Dania Schiftan

Dania Schiftan beantwortet Leserfragen

Als Dr. in Psychotherapeutin (FSP, Eidg. anerkannt) mit eigener Praxis in Zürich arbeitet Dania Schiftan seit 2008 als selbständige Psychotherapeutin.

Nebst ihrer Praxistätigkeit bietet Dania Schiftan seit einigen Jahren auch eine Online Therapie an.

Hier geht es zu Dania Schiftans Webseite.

Liebe Sandra

Eine sehr spannende Frage, die du mir stellst. Denn, geht es ums «einander ernst nehmen» oder steckt etwas anderes dahinter?

So wie du schreibst, sollte man doch davon ausgehen können, dein Partner habe verstanden, worum es geht – dass ihr euch viel zu wenig seht, dass etwas auf dem Spiel steht, ihr euch auseinander zu leben droht. Glaubt er dir nicht? Wie kann es sein, dass du vermeintlich so klar bist darin und er dennoch nicht richtig zuhört?

Ich stelle zwei Vermutungen an: Entweder du bist ihm gegenüber nicht so deutlich, wie du selber annimmst, oder aber er ignoriert deine Hinweise und Warnungen tatsächlich. In Hinblick auf die zweite Option würden böse Zungen die Diskussion lostreten, wieso du eigentlich mit jemandem zusammen bist, der dich einfach ignoriert.

Aber wieso soll er denn davon ausgehen, dass du einfach ein wenig vor dich hin schimpfst, ohne es selber richtig ernst zu nehmen? Daher gebe ich die Frage zuerst zurück an dich: Wie ernst ist es dir wirklich?

Überlege dir, wie viel Zeit du wirklich mit ihm möchtest, wie sie gestaltet sein soll, und was ihr miteinander machen wollt.

Du musst ein ganz konkretes Bild davon haben, bevor du überhaupt beginnst, ihm Vorwürfe zu machen.

Du musst ein ganz konkretes Bild davon haben, bevor du überhaupt beginnst, ihm Vorwürfe zu machen. Wärst du in der Tat bereit, einen Riesen Streit vom Zaun zu brechen und alles aufs Spiel zu setzen? Oder nervt es einfach und du findest es nicht so toll, die Abende und Wochenenden alleine zu verbringen?

Sobald du dir über diese Fragen im Klaren bist und weisst, wie du dir alles vorstellst, geht es anschliessend darum, mit ihm in Dialog zu treten. Ihr werdet gewiss viele andere Punkte in eurer Beziehung ansprechen und euch überlegen müssen, warum was wie erst jetzt gekommen ist, wie es ist, was die Selbstverständlichkeit ausmacht, die er lebt, und wie er sich alles vorgestellt hat.

die Flucht in die Arbeit ist erfahrungsgemäss ein verbreitetes Phänomen, vor allem bei Männern.

Gut möglich, dass der Hund an einem anderen Ort begraben liegt – die Flucht in die Arbeit ist erfahrungsgemäss ein verbreitetes Phänomen, vor allem bei Männern. Der Grund dafür ist, dass sie bei der Arbeit ganz genau wissen, was sie machen müssen, gut darin sind, weil sie dort Bestätigung bekommen und sie ihnen das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Auf viele Männer warten abends beim nach Hause kommen einige Erwartungen und Anforderungen, denen gerecht zu werden sie sich nicht in der Lage fühlen.

Was euch passiert, ist übrigens häufig auch eine Nebenwirkung, wenn Paare frisch zusammenwohnen. Jeder bringt seine guten und schlechten Gewohnheiten mit und braucht normalerweise einen gewissen Raum für sich selbst. Das heisst, dass ihr miteinander besprechen solltet, wer was von wem erwartet und erwarten kann. Auch solltet ihr miteinander abmachen, wie oft ihr euch seht.

Es ist sehr wichtig, das Zusammenwohnen gut zu organisieren und sich genügend Paarzeit einzuplanen.

Die meisten Paare machen ja, solange sie nicht zusammenwohnen, grundsätzlich miteinander ab, und wollen eine gewisse Regelmässigkeit darin. Das Zusammenziehen erweckt dann den Eindruck, dass man sich ab jetzt immer und die ganze Zeit sieht. Sich «by the way» zu sehen führt in der Regel aber nur zu Frust anstatt Lust. Daher ist es sehr wichtig, das Zusammenwohnen gut zu organisieren, sich genügend Paarzeit einzuplanen, in welcher man die schmutzige Wäsche einfach schmutzige Wäsche und den Fünfer grad sein lässt und sich einfach nur geniesst.

Alle Leserfragen an Dania Schiftan:

Titelbild: Torwai/iStock

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